Kleine Kriminalistik für Krimis
Heute: Wie lange ist er denn nun schon tot? Im Krimi lautet Kommissar Krautkopfs erste Frage an den Leichenbeschauer immer: „Wann trat der Tod ein?“ Gerichtsmedizinerin Mimi Metzger hockt bei der Leiche, schaut aufs Thermometer und verkündet zuversichtlich: „Der Tot ist gestern Abend zwischen 21.30 und 23 Uhr eingetreten. Morgen nach der Autopsie kann ich es genauer sagen.“
Trotz 200 Jahren Forschung ist das nur in Krimis möglich. Tatsächlich kann man den Todeszeitpunkt nur auf eine Spanne von 5 Stunden eingrenzen. Fünf Stunden!
In den ersten Stunden nach dem Tod gibt es allerdings eine bisher nur Rechtsmedizinern bekannte Möglichkeit zur Todeszeitbestimmung: Große Muskeln reagieren noch auf Schläge. Haut man 1,5 bis 2,5 Stunden nach dem Tod auf den Bizeps, dann zieht er sich sogar so heftig zusammen, dass der Arm des Toten hochschnellt. Nach 4–5 Stunden bildet sich bei einem Schlag im Muskel nur noch der sogenannte idiomuskuläre Wulst, ein fühlbarer Hubbel, der nicht verschwindet.
Alle anderen Hinweise sind sehr relativ. Totenflecken tauchen nach 20–120 Minuten an der Unterseite der Leiche auf, es sei denn Blutgerinnungshemmer haben das Blut flüssig gemacht. Die Körpertemperatur des Toten sinkt im mitteleuropäischen Klima um gut 1 Grad pro Stunde. Doch welche Temperatur der Sterbende hatte, weiß man nicht. Nach einem Kampf kann die Temperatur über 38 Grad gelegen haben. Bei Unterkühlung lag sie vielleicht unter 36 Grad. Das macht schon mehr als eine Stunde aus! Wenn die Rechtsmedizinerin am Fundort der Leiche außer der Umgebungstemperatur noch die Rektaltemperatur misst (sie muss dazu der Leiche die Hosen runterziehen), würde sie im Vergewaltigungsfall mehr Spuren zerstören als Informationen gewinnen. Deshalb wird erst auf dem Obduktionstisch gemessen. Mithilfe eines Computerprogramms errechnet man aus Rektaltemperatur, Umgebungstemperatur, Körpergewicht, Bekleidung, Feuchtigkeit und Fundortmerkmalen ein Todeszeitpunkt. Auf etwa 5 Stunden genau!
Auch die Leichenstarre hilft nicht viel. Sie beginnt im Gesicht nach 1–4 Stunden. Doch selbst wenn zwei Menschen im selben Moment am selben Ort sterben, verläuft sie unterschiedlich. Nach sportlichen Höchstleistungen geht sie beispielsweise schneller. Hat man eine Leiche, die halbwegs starr ist, so kann man sagen, dass der Tod noch keine 12 Stunden, aber wohl mehr als 4 Stunden her ist. Und auf dem Sektionstisch hat Rechtsmedizinerin Mimi Metzger in den ersten beiden Tagen nach dem Tod des Opfers übrigens eine ziemlich starre Leiche liegen. Sie kann nicht einfach die Hand heben und drehen, um Kommissar Krautkopf eine Strommarke im Handteller zu zeigen.
Christine Lehmann
Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.