Geschrieben am 14. März 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde N° 5

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: Keine Wasserleiche treibt rücklings an der Wasseroberfläche. … auch wenn sie in Fernsehkrimis gern mit rosigen Gesichtern angeschwemmt werden. Versuchen Sie auch niemals wie im Fernsehen einem bewusstlosen Jungen Wasser aus der Lunge zu pressen, den Sie gerade aus einem Badesee gezogen haben. Denn da ist kein Wasser in der Lunge.

Ertrinken kennt keine Gnade. Gerät man mit dem Kopf unter Wasser, hält man etwa eine halbe Minute lang die Luft an. Weil man zugleich zappelt, um an die Oberfläche zu kommen, siegt schnell der Zwang Luft zu holen. Schon kleine Mengen Wasser, die in die Lunge dringen, führen zu Husten und einem Stimmritzenkrampf. Also fängt man an, Wasser zu schlucken. Der Magen revoltiert und erbricht sich. Der Stimmritzenkrampf löst sich dann meistens. Der Ertrinkende zieht mit dem Atemreflex Wasser und Erbrochenes in die Lunge. Dort bildet sich Schaum. Der Organismus erstickt und übersäuert. Der Tod tritt nach 2–5 Minuten ein.

Der weiße Schaumpilz vorm Mund ist ein typisches Zeichen für den Tod durch Ertrinken. Der Gerichtsmediziner findet anschließend kein Wasser in der Lunge. Denn Süßwasser wird sofort per Osmose aus den Atemwegen abtransportiert, sogar noch nach dem Atemstillstand. Die Ertrinkungslunge ist grauweiß und überbläht. Die Schnittfläche ist trocken und von einem steifen Schaum benetzt. Es knirscht wie Schnee im kalten Winter, wenn das Messer des Gerichtsmediziners eine solche Lunge anschneidet.

Wasser in der Lunge gibt es nur, wenn jemand in Salzwasser ertrunken ist. Dann holt das Salz per Osmose Wasser aus den umliegenden Körperzellen.

Die Arten von Kieselerde in den Lungen helfen bei der Zuweisung zu einem bestimmten Ort des Ertrinkens. Das ist deshalb nötig, weil eine Wasserleiche selten dort auftaucht, wo sie untergegangen ist. Ein Ertrunkener verschwindet nämlich sofort von der Wasseroberfläche. Er sinkt nach unten und wird von Strömungen mitgenommen. Erst viele Tage später treiben Fäulnisgase ihn an die Wasseroberfläche. In ruhigem Wasser treibt die Wasserleiche dann bäuchlings, Kopf, Arme und Beine hängen nacht unten. Stirn, Nase, Knie und Füße sind an Steinen, Holz und Flussgrund wund geschlagen und zeigen das, was Gerichtsmediziner typische Treibverletzungen nennen. Die Haut ist schrumpelig, die Haare sind locker, Algen sind gewachsen, Fische und Krebse haben geknabbert und Schiffschrauben ihre Scharten geschlagen. Und nochmal: Keine Wasserleiche der Welt treibt rücklings an der Wasseroberfläche.

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

| Zur Homepage von Christine Lehmann