Geschrieben am 17. Oktober 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde N° 18

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: Eine Tablette gegen Zyankali. Zyankali oder Blausäure kennt jeder als bewährtes Krimigift. Tatsächlich aber sind Morde mit Zyankali selten. In den meisten Fällen von Blausäurevergiftungen handelt sich um Selbstmord oder Unfälle.

Zyanide sind Salze der Blausäure, und viele Industrie- und Forschungszweige haben damit zu tun. Man kauft Zyanid im Großhandel, muss aber einen Sachkundenachweis bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erbringen. Wer ein Dispensierrecht hat – das Recht Medikamente herzustellen (Apotheker, Tierärzte, Pflegepersonal) – kauft es in der Apotheke. Die berühmten Zyankalikapseln enthalten oder enthielten meist Kaliumzyanid. Die Blausäure entsteht erst, wenn das Salz im Magen mit Salzsäure in Kontakt kommt. Sie riecht nach Bittermandeln oder Marzipan. 30–50 % aller Menschen können den Geruch allerdings nicht wahrnehmen. Zyanide sind auch in vielen Samen enthalten, etwa in Kernen von Kirschen, Pfirsichen oder Aprikosen, aber auch Leinsamen oder Süßkartoffeln. Unser Körper hat einen natürlichen Abwehrmechanismus gegen Zyankali in geringer Dosierung. 50 Bittermandeln sollen tödlich sein. Nur wer kann die essen?

Zyankali hemmt im Körper ein Enzym, das dafür sorgt, dass der eingeatmete Sauerstoff den Zellen zur Verfügung gestellt wird. Die Zellen ersticken. Das Blut von Zyankalitoten ist kirschrot, weil es weiterhin Sauerstoff führt. Die Zyankalileiche hat deshalb hellrote Totenflecken. Und sie riecht nach Marzipan. Zyanid in letaler Dosis (150–200 mg) tötet innerhalb weniger Minuten. Man stirbt unter Krämpfen.

Zyanide werden übrigens auch über die Haut aufgenommen, und besonders über Schleimhäute. In den 70er Jahren brachte ein Chemie-Hilfsarbeiter aus Bad Tölz seine Freundin mit vergifteten Tampons um. Es dauerte eine Weile, bis die Ermittler darauf kamen. Heute könnte er Zyankali in die Cola mischen und gemeinsam mit ihr aus demselben Glast trinken. Nur sie würde sterben. Denn er hätte vorher eine Tablette genommen. US-Forscher haben die Tablette gegen Zyanidvergiftungen für Feuerwehrleute entwickelt, die bei Schwelbränden Zyanidgase einatmen. Sie soll etwa eine Stunde lang schützen. Das sogenannte 4-DIMAP wandelt Hämoglobin im Blut so um, dass es Zyankali bindet und verhindert, dass es in die Zellen gelangt und sie erstickt. In Deutschland injizierte erstmals 1972 ein Arzt 4-DMAP einer Frau mit Zyankalivergiftung. Sie färbte sich blitzblau und war sofort wieder da. Aber eine Tablette lässt sich natürlich viel schneller einwerfen (auch an viele Leute verteilen). Und sie wirkt länger.

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

| Zur Homepage von Christine Lehmann