Kleine Kriminalistik für Krimis
Heute: Und schon kommt der Profiler. »Unser Profiler wird Sie unterstützen«, sagt Kriminalrat Obermann zu Kriminalkommissar Krautkopf. »Sie werden Ihn brauchen, denn bei einem Tötungsdelikt mit einer so perfekten Inszenierung könnte ein Triebtäter infrage kommen.«
An der Form, wie Profiler bei uns in Krimis vorkommen, stimmt so ungefähr gar nichts. Doch sie faszinieren uns. Vielleicht, weil sie anscheinend wie einst Sherlock Holmes den Tatort sehen und wissen, wie alt der Täter ist und wo er lebt, und weil sie sich wie Chestertons Pater Brown in die Psyche eines Serienkillers hineinversetzen und sagen, was er als nächstes tut. In unseren Krimis treten sie einzeln auf und sind genial.
In deutscher Wirklichkeit heißen sie Fallanalytiker und haben nichts mit Psychologie zu tun. Die Operative Fallanalyse (OFA) besteht aus einem Team, das beim jeweiligen Landeskriminalamt angesiedelt ist. In Deutschland ereignen sich rund 50 bis 80 Fälle pro Jahr, bei denen man sie braucht. Sie kommen erst zum Einsatz, wenn die Polizei mit ihren ausgefeilten Mitteln eine Tat nicht aufgeklärt kriegt. Die Fallanalytiker sind deshalb die meiste Zeit mit anderen Dingen beschäftigt: Sie erstellen Datensätze über Serienverbrechen für die seit 2002 bestehende Falldatei ViCLAS (Violent Crime Linkage Analisis System), analysieren mithilfe der Datenbank Gewaltserien, veranstalten Fortbildungen, sichten neue Ermittlungsmethoden, reden in Gremien, schreiben Bücher über Serienkiller.
Fallanalytiker werden bei der Polizei selbst ausgebildet, geprüft und zertifiziert. Psychologie spielt dabei eine ausgesprochen untergeordnete Rolle. Polizeipsychologen bei der OFA sind eher für Statistik und statistische Soziologie zuständig. Und anders als in den USA wird die Fallanalyse in Deutschland prinzipiell im Team mit den Ermittlern der zuständigen Polizeidienststelle gemacht. Gemeinsam rekonstruiert man den Tathergang und erarbeitet daraus Schlüsse. In Deutschland glaubt man einfach, dass gut moderiertes Gruppenwissen umfassender ist als das eines Einzelnen. Solche Sitzungen können übrigens durchaus einige Tage in Anspruch nehmen.
Detektivin Susi kann sich weiterhin auf ihre Intuition verlassen und alleine agieren, aber falls Sie in Ihrem Krimi als Protagonistin eine Fallanalytikerin beim LKA Ihres Ermittlungsortes planen, sind Teamqualitäten und statistische Kenntnisse nötig. (Mehr zur Fallanalyse beim nächsten Mal.)
Christine Lehmann
Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.