Geschrieben am 31. Januar 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde N° 3

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: Alles nix, wenn die Voraussetzungen nicht stimmen. Fanny Frust hat eine Mordswut auf ihren Mann. Sie schubst ihn gegen die Eichenschrankwand. Von oben fällt ihm eine Bronzeplastik auf den Schädel. Er ist tot!, stellt Fanny fest. O Gott, o Gott! Wer wird ihr glauben, dass sie ihn nicht ermordet hat? Kommissar Kalle Krautkopf jagt sie erbittert. Und dann trifft er sie zufällig in der Sauna, verhaftet sie und triumphiert: „Für diese Tat kommen Sie für den Rest Ihres Lebens ins Gefängnis.“ Wie soll sie ihm beweisen, dass sie nicht zugeschlagen hat? Also ergreift sie sein Handtuch und erdrosselt ihn.

Wenn Sie die Geschichte so erzählen, erzählen Sie vom Drama einer Frau, die ihren Mann durch einen unglücklichen Zufall ins Jenseits befördert, sich als Gejagte sieht und in der Angst, für den Rest des Lebens für eine Tat büßen zu müssen, die sie nicht begangen hat, zur Mörderin wird. Psychologisch interessant, aber in der Realität würde das sich ums Verrecken nicht so entwickeln können.

Das erste Hindernis wäre das Ergebnis der Tatortanalyse. Die Kriminaltechnik würde aus der Lage der Leiche, der Kopfverletzung, den Kampfspuren am Ort des Geschehens und weiteren Spuren schließen, dass der Geschädigte mit dem Rücken gegen die Schrankwand geprallt und die Bronzeplastik ihm auf den Kopf gefallen ist. Man würde vermuten, dass die Ehefrau ihn gestoßen hat. Das wäre höchstens gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge. Aber für unterlassene Hilfeleistung wird Fanny sich verantworten müssen. Sie hätte unbedingt den Notarzt rufen müssen. Und daraus kann sogar eine Mordsache werden, wenn man ihr nachweisen kann, dass sie gemerkt haben musste, dass ihr Mann noch nicht tot war. Aber auch ihr Mann hätte ihr ein Strich durch die Rechnung machen können. Denn nach einiger Zeit wäre er mit brummendem Schädel aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und hätte selbst den Arzt rufen können. Schädelverletzungen entfalten ihre tödliche Wirkung oft erst im Laufe von Stunden, manchmal sogar Tagen, wenn sie nicht medizinisch betreut werden.

Fanny hätte sich den Mord in der Sauna also sparen können. Denn was Kommissar Krautkopf über sie denkt, ist irrelevant für die Gerichtsverhandlung. Er kann ihr in der Sauna gern entgegenschleudern, sie komme für den Rest ihres Lebens wegen Mordes ins Gefängnis, doch zu entscheiden hat er das nicht. Und verhaften kann er Fanny auch nicht, denn dazu bräuchte er einen vom Richter unterschriebenen Haftbefehl, er kann Fanny bestenfalls vorläufig festnehmen.

Und wenn Fanny so dumm ist, dass sie dennoch morden muss, dann sollte sie nicht Krautkopfs Saunahandtuch nehmen, um ihn zu erdrosseln, sondern die Kette, die Krautkopf trägt. Nur dann kann sie ihn schnell handlungsunfähig machen. Eine Viertelstunde aber müsste sie schon zuziehen. Sonst ist auch er nicht tot. Dann aber wäre es Mord gewesen, auch wenn die Planung der Tat nur ein paar Minuten gedauert hat. Überdies war sie heimtückisch und sie geschah aus niederen Beweggründen …

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

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