Geschrieben am 20. Juni 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde N° 12

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: Wie geht Profiling? „Klar, da kommen zuerst die Profiler“, erklärt mir eine Journalistin. „Nein!“, sage ich. „Doch“, widerspricht sie. „Ich glaube schon, dass die Profiler am Tatort Spuren sichern müssen, um ein Täterprofil zu erstellen.“ Na gut, wenn das Glaubenssache ist …

Die ersten am Tatort sind die Leute mit den Ganzkörperkondomen, Fotoapparaten, Pinseln und Klebestreifen von der Tatortgruppe oder die Kriminaltechnische Abteilung (KTA). Falls es nach einer Serientat aussieht und ein Tatverdächtiger fehlt, kann die OFA (Operative Fallanalyse) weiterhelfen.

Eine Fallanalyse wird zusammen mit den zuständigen Ermittlern unternommen. Sie findet im Büro statt, kann ein paar Tage dauern und läuft nach einem festgelegten Schema ab. Zuerst kommt die Bestandsaufnahme aus Daten, Fotos und Luftaufnahmen des Tatorts und seiner Umgebung. Eine Tatortbesichtigung mit eigenen Augen ist durchaus üblich. Die Leiche ist da allerdings schon lange weg. Dann wird das Verbrechen klassifiziert. Dabei wird beispielsweise überlegt, welches Motiv sichtbar ist, ob das Opfer ein hohes Risiko hatte, Opfer zu werden (Prostituierte) und der Täter demzufolge ein kleines Risiko einging oder umgekehrt. Danach beginnt die Tathergangsanalyse. Die Tat wird Sekunde für Sekunde rekonstruiert und klassifiziert. War sie geplant oder ungeplant, ist da was aus dem Ruder gelaufen, weil das Opfer eine wehrhafte Person war? Wie hat der Täter Kontrolle ausgeübt, welche Dynamik hatte die Tat? Gab es eine Inszenierung, gibt es eine Handschrift? Im Anschluss daran, kann ein Täterprofil erstellt werden. Man sucht nach seinen Schwachstellen und erstellt Empfehlungen an die Ermittler.

Dabei werden alle Informationen über bereits Verdächtige strikt ausgeklammert. Denn sie könnten den Blick auf die objektiven Gegebenheiten verstellen. Mit den Informationen aus der Fallanalyse ziehen die Ermittler erneut los. Sie bringen eventuell neue Erkenntnisse mit, die neue Daten liefern, mit denen die Fallanalyse modifiziert werden muss oder nicht.

Eine Vorhersage können Fallanalytiker durchaus machen: Die Hälfte aller Serienmörder mit sexuellen Motiven kehrt an den Tatort zurück, um zu gucken, wie es der Leiche geht. Eine andere Vorhersage können Profiler aber NIE machen: Das nächste Opfer desselben Täters wird nicht auch blond und langbeinig sein. Sexualmörder bevorzugen keinen bestimmten Frauentyp, nicht einmal ein bestimmtes Alter, oft nicht einmal ein bestimmtes Geschlecht. (Mehr beim nächsten Mal.)

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

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