Geschrieben am 9. Januar 2010 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde – N° 3

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: In der Rechtsmedizin – die äußere Leichenschau. Es gibt etliche Krimis, welche die Arbeit von Rechtsmedizinern ins Zentrum stellen und sie dabei auch in die Rolle operativer Ermittler stecken. Aber ein Gerichtsmediziner ermittelt nicht. Er ist auch nicht Teil der Polizei. Er befragt keine Zeugen und rennt nicht herum, um selbst Spuren zu sichern. Der Zeuge, den er zum sprechen bringt, ist die Leiche.

An einer Obduktion sind immer zwei Rechtsmediziner beteiligt, zwei Obduzenten, denen ein Assistent hilft. Meistens wird parallel gearbeitet, einer schneidet den Bauch auf, einer sägt am Kopf, der Assistent reicht Organe an einen Obduzenten, der sie auf einem Seitentisch untersucht.

Bevor die Leiche aufgeschnitten wird, wird sie von außen begutachtet und beschrieben: ins Diktafon. Größe, Gewicht, Ernährungszustand und Hautfarbe, dann Lage und Farbe der Totenflecke und Ausprägung der Totenstarre. Der Obduzent schneidet, wenn die Leiche am Fundort nicht entkleidet wurde, Lage für Lage die Kleidung des Toten auf,  untersucht sie auf alles, was über die Todesumstände Auskunft geben könnte, und verpackt sie in beschrifteten Plastikbeuteln. Es kann auch sein, dass Polizisten der Kriminaltechnik dabei sind und von den Kleidern und dem Körper des Toten, wenn sie es nicht schon am Fundort getan haben, mithilfe von Klebestreifen Fasern abnehmen und sie für ihre Untersuchungen asservieren.

Der Obduzent misst die Körpertemperatur, die zur Abschätzung des Todeszeitpunkts notwendig ist, und errechnet ihn mithilfe einschlägiger und probater Tabellen. Er schaut nach Hautveränderungen, Narben, Tätowierungen, Pigmentflecken und anderen Auffälligkeiten, sucht nach Verletzungen, Einstichstellen von Nadeln und Spuren äußerer Gewalteinwirkung. Er kratzt unter den Fingernägeln Dreck hervor und asserviert ihn. Bei Sexualdelikten durchkämmt er das Schamhaar, um fremde Haare zu finden. Er macht Abstriche aus allen Körperöffnungen, entnimmt Proben sämtlicher Körperflüssigkeiten und stellt sie für die Chemiker bereit.

Wenn wir unsere Leser und Leserinnen in die Leichenhalle zur Sektion führen, sollten wir uns übrigens klar machen, dass die Leichenstarre 6 bis 12 Stunden nach dem Tod voll ausgeprägt ist und sich erst etwa 36 bis 48 Stunden nach dem Tod gelöst hat, wenn es kalt ist (wie in der Leichenhalle), dann noch später. Der Rechtsmediziner kann also nicht einfach die schlaffe Hand eines Toten umdrehen und dem Kommissar die Strommarke in der Handfläche zeigen.

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung. Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
Ariadne im Argument Verlag 2009. 250 Seiten. 16,90 Euro.

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