Geschrieben am 30. Januar 2010 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Dr. Lehmanns Sach- und Warenkunde – N° 4

Kleine Kriminalistik für Krimis

Heute: In der Rechtsmedizin – die innere Leichenschau. Hat die Rechtsmedizinerin den äußeren Zustand der Leiche begutachtet und dokumentiert, kann die innere Leichenschau beginnen. Und die ist nichts für empfindliche Menschen. Es riecht nach Schlachthaus und, wenn die Rechtsmedizinerin den Darm verletzt, nach Latrine. Leichen, bei denen der Verwesungsprozess eingesetzt hat, stinken nach verfaultem Fleisch. Routinierte Obduzenten gewöhnen sich daran.

Wir haben in Fernsehkrimis inzwischen oft den Y-förmigen Schnitt gesehen, der vom Kehlkopf zu den Schultern und zum Schambein geht. Zum Glück sehen wir nicht, was dann kommt. Die Haut wird abgehoben und weggeklappt. Jetzt sieht man Fettgewebe, Magen, Leber und Darm grünlich, braun oder gräulich glänzen. Zuerst wird das ganze lange Gedärm herausgeholt und beiseite gelegt, damit die restlichen Organe nicht mit Fäkalien verunreinigt werden. Mit der Knochensäge werden die Rippen durchgesägt und das Brustbein abgenommen. Jetzt kommt man an Lungen, Luftröhre und Herz heran und kann sie herausnehmen. Darauf folgen Milz, Leber, Bauchspeicheldrüse, Magen und schließlich Nieren, Blase und Sexualorgane.

Alle Organe werden herausgenommen, gewogen, unter fließendem Wasser abgewaschen und vom zweiten Obduzenten weiter seziert. Wenn verlangt, werden Gewebeproben entnommen, die im Labor chemisch untersucht werden. Auch Rückenmark wird konserviert. Der Obduzent untersucht in festgelegter Reihenfolge Zunge, Halsschlagader, Speiseröhre, Kehlkopf, Luftröhre, Schilddrüse, Lungen, die großen Blutgefäße und das Herz, Magen, Darm, Nebennieren, Nieren, Milz, Bauchspeicheldrüse, Leber, Blase, Gebärmutter und Eierstöcke oder Hoden.

Um an das Gehirn zu kommen, wird ein zweiter Schnitt gesetzt, quer über den Kopf, von Ohr zu Ohr. Die Kopfhaut wird nach vorn gezogen und übers Gesicht geschlagen. Dann wird der Schädeldeckel mit einer elektrischen Säge geöffnet, die übrigens keine Flex ist, also keine Kreissäge, sondern hin und her sägt, und abgehoben. Der Obduzent holt das Gehirn heraus. Dabei muss er die Sehnerven, die Arterien und das Rückenmark durchtrennen. Das Hirn wird gewogen und für weitere Untersuchungen in Formaldehyd aufbewahrt. Es dauert ein paar Tage, bis es fest genug ist, dass man es in Scheiben schneiden kann.

Übrigens nennen sich unsere Rechtsmediziner nicht Pathologen. Denn sie beschäftigen sich mit unnatürlichen Todesursachen und nicht – wie die Pathologen von Haus aus – mit krankhaften Veränderungen im Körper.

Christine Lehmann

Christine Lehmann & Manfred Büttner: Von Arsen bis Zielfahndung.
Das aktuelle Handbuch für Krimiautorinnen und Neugierige.
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