Geschrieben am 2. Januar 2009 von für Crimemag, Porträts / Interviews

Donald E. Westlake ist tot

Donald E. Westlake – Ein Mann mit vielen Namen

Am 31.12. 2008 ist Donald E. Westlake in San Tancho (Mexico) gestorben. Er gehörte, wie Georges Simenon, zu der seltenen Spezies von Autoren, bei denen die erkleckliche Quantität der Produktion nicht automatisch zum Qualitätsverlust führt. Jan Christian Schmidt und Claus Kerkhoff haben ihn porträtiert.

Donald Edwin Westlake wird 1933 als Spross einer irischstämmigen Familie in New York City geboren. Er besucht eine katholische Schule in Albany und das Champlain College in Plattsburgh. Von 1954 bis 1956 dient er in der U.S. Air Force und geht anschließend an das Harpur College nach Binghamton, New York. 1958 zieht Westlake nach New York City und jobbt in diversen Berufen. Schließlich wird er freier Mitarbeiter des legendären New Yorker Literaturagenten Scott Meredith, bei dem sich auch Ed McBain verdingt hatte. Westlake schreibt in dieser Zeit ungezählte Short Stories, von denen gut zwei Dutzend veröffentlicht werden, und mehrere erotische Romane unter unterschiedlichen Pseudonymen. Seit 1959 arbeitet Westlake als freier Schriftsteller.

Westlake war ein ungemein produktiver Autor und schrieb mehrere Romane pro Jahr. 1972 z.B. erschienen in den USA gleich fünf Romane aus seiner Feder. Viele seiner Bücher veröffentlicht er unter Pseudonymen, wie Tucker Coe, Richard Stark, Curt Clark und Timothy J. Culver. Er ist einer der Pioniere der crime novels und hard-boiled novels: Die meisten Helden seiner Romane – besonders die Serien-Helden Parker (ohne Vorname), John Archibald Dortmunder und Alan Grofield – sind professionelle Verbrecher. Der notorische Dieb Dortmunder etwa – der gut für Lawrence Blocks Rhodenbarr-Serie Pate gestanden haben könnte – hat in seinem Leben wohl keinen einzigen ehrlichen Dollar verdient.

Gangster und Gauner waren schon vor Westlake Protagonisten in der Kriminalliteratur, doch seine Charaktere sind nicht die bis dahin üblichen Kriminellen, die den ganz großen Coup planen – Westlakes Figuren ist ihr kriminelles Treiben ganz alltäglicher Broterwerb. Dabei zeichnet der Autor sie als durch und durch normale Menschen, ausgestattet mit den üblichen privaten und beruflichen Problemen. Kein Wunder also, dass seine Romane Anfang der 60er Jahre für einige Aufgeregtheiten in der amerikanischen Literaturszene sorgten. In Deutschland riefen seine Bücher sogar die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf den Plan.

Den großen Durchbruch hatte Westlake 1962 mit The Hunter – der erste Parker-Roman, geschrieben unter dem Pseudonym Richard Stark. Es sei damals, so Westlake, eine landläufige Vorstellung der Verlagsindustrie gewesen, dass Frauen Hardcover und Männer Taschenbücher kaufen:

„Ich verkaufte ein Buch pro Jahr an Random House, was das Höchste ist, was ein Verlag von einem Autor vertragen kann (noch eine landläufige Vorstellung), und ich suchte einen anderen Verleger, bei dem ich andere Sachen machen konnte. Okay, Taschenbücher, für Männer. Also schrieb ich diese Verrat-und-Rache-Story mit einem harten Typen, einer eiskalten Hauptfigur, die am Ende geschnappt wurde. Pocket Books haben es gekauft und mich gefragt, ob der Kerl am Schluss nicht doch entkommen und in weiteren Büchern erscheinen könnte. Ich merkte, dass man’s so machen kann, und so wurde Parker geboren. Hätte ich geahnt, dass er in mehr als zwanzig Bücher zurückkehrt, hätte ich ihm einen Vornamen gegeben. Wie dem auch sei, in diesem ersten Buch habe ich ihm keine der weichen Eigenschaften gegeben, die man einem Serien-Charakter normalerweise geben sollte, und ihm auch keine Bande von Kumpels an die Seite gestellt, mit denen er plaudern kann, weil er sich nur durch ein Buch durchschlagen sollte und tschüss. Als er erstmal ein Serien-Charakter wurde, traf ich die bewusste Entscheidung ihn nie wie einen Serien-Charakter agieren zu lassen (…).“
Aus einem Interview mit Joe Hartlaub im April 2001

Ebenfalls unter dem Pseudonym Richard Stark schreibt Westlake vier Romane um den Wanderschauspieler Alan Grofield, der sich Geld ergaunert, um ein eigenes Theater zu eröffnen. Dem Pseudonym Tucker Coe ist die kleine Serie um Mitch Tobin vorbehalten, einem ehemaligen Cop der New Yorker Police Force. Während Tobin sich mit einer Frau im Bett vergnügte wurde sein Partner bei dem Versuch, einen Verdächtigen zu verhaften, erschossen. Tobin malträtiert sich mit Selbstvorwürfen – er ist eine Art Negativheld und muss in einem langwierigen Prozess erkennen, dass er nicht die Schuld der ganzen Welt schultern kann. Diese Figur des gebrochenen Ex-Cops ist einer der eindringlichsten Charaktere Westlakes.

1970 erscheint mit The Hot Rock der Auftakt zu einer der ersten humoristischen Serien der Kriminalliteratur: die Romane um den Gentleman-Einbrecher John Archibald Dortmunder und seine Gang um Andy Kelp, Stan Murch und Tiny Bulcher. Bestechen die hardboiled-Romane um Parker durch ihre düstere Atmosphäre, zeichnet sich die Dortmunder-Serie durch Ironie, Humor und Persiflage aus.

„Ich hatte die Idee zu einer mehrfachen Raub-Geschicht und ich dachte, die wäre ideal für Parker, weil sie ihn so wütend machen würde. Doch dann merkte ich, dass ich riskieren würde, Parker zu einer Witzfigur zu machen, und das hätte seine Glaubwürdigkeit für immer ruiniert. So entstanden John Dortmunder und The Hot Rock.“
Aus einem Interview mit Joe Hartlaub im April 2001Interview mit Joe Hartlaub im April 2000.

In diesem ersten Roman planen Dortmunder, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, und seine Kumpel den Raub eines sagenhaften Smaragden. Wie fast immer bei Dortmunder ist der Plan besser als seine Ausführung – die Pechvögel jagen ihrem Glück im Flugzeug, im Zug und im Auto hinterher und brechen in die unglaublichsten Gebäude ein, doch der Stein kommt ihnen immer wieder abhanden.

Westlake erhielt 1968 für God save the Mark den Edgar Allan Poe Award (Best Novel); er wurde 1967 mit The Busy Body, 1971 mit The Hot Rock und 1983 mit Kahawa für diesen Preis nominiert. Im Jahre 1993 wurde Westlake zum Grandmasters der Mystery Writers of America ernannt.

Das Schaffen vieler junger amerikanischer Kriminalautoren ist von den Werken Westlakes beeinflusst. Zu ihnen gehört auch Joe Gores, einer der profiliertesten amerikanischen Thriller-Autoren und mehrfacher Edgar-Preisträger. Gores und Westlake sind einander in enger Freundschaft verbunden – ein Freundschaft, die sogar soweit geht, dass sie mehrfach ihre Figuren austauschten: In Dead Skip, Gores erstem Roman um die Privatdetektei Dan Kearny & Associates aus dem Jahre 1972, hat Westlakes Figur Parker einen Gastauftritt. Westlake revanchierte sich im gleichen Jahr und gewährte dem Kearny-Team einen kleinen Auftritt in seinem Roman Plunder Squad. Einmal tauschten die beiden gleich ein ganzes Kapitel aus, das allerdings jeweils aus anderer Perspektive erzählt wird: In Westlakes Drowned Hopes (1990) und Gores 32 Cadillacs (1992) treffen die Dortmunder-Gang und die Detektive der Dan Kearny & Associates aufeinander.

Westlake selbst hat mehrfach Szenen und Personal seiner Reihen getauscht: Der Alan Grofield-Roman The Blackbird und der Parker-Roman Slayground enthalten ein gemeinsames Kapitel. Die Figur Alan Grofield tritt außerhalb ihrer Serie noch in anderen Werken auf: in den Parker-Romanen The Score (1964), The Seventh (1966) und Butcher’s Moon (1974) sowie in dem Dortmunder-Roman The Hot Rocki (1970). Alan Grofield hatte also schon zwei Gastauftritte in den Parker-Romanen, bevor Westlake den Schauspieler zur Hauptfigur einer eigenen Reihe machte.
(Ein paar weitere Anekdoten zum umfassenden Werk Westlakes finden sich hier.)

Viele Romane Westlakes wurden in den USA und in Frankreich verfilmt. Westlake selbst reüssierte nicht nur als Romancier, sondern auch als Drehbuchautor – sein Drehbuch zu The Grifters, der Verfilmung eines Jim Thompson-Romans, wurde für den Oscar nominiert.
Mit Fragen Sie den Papagei gelang Westlake, der noch im November 2008 auf einer Deutschland-Tour war, eine viel beachtetes Comeback auf dem deutschsprachigen Markt.

Jan Christian Schmidt/Claus Kerkhoff

Weiter zur Bibliographie geht es hier.