Geschrieben am 1. Juli 2022 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2022

Dietrich Leder zu Bittermann/ Pohrt

Sich den eigenen Widersprüchen stellen…

Klaus Bittermann: Der Intellektuelle als Unruhestifter: Wolfgang Pohrt – Eine Biographie. Critica Diabolis 301. Hardcover, mit Fotos, 696 Seiten, 36 Euro.

In diesen Tagen, in denen heillose Geschichtsvergleiche angestellt werden, nach denen Selenskji ein Nazi oder Putin Hitler sei, und in denen antisemitische Karikaturen als indonesische Volkskunst von der Documenta präsentiert werden sollten, schmerzt der Verlust der Stimme von Wolfgang Pohrt, der 2018 starb, besonders. Wie kein anderer hatte der 1945 geborene Sozialwissenschaftler und Publizist, der einst über „Theorie des Gebrauchswerts“ promovierte, die Verwerfungen und die Untiefen der gesellschaftlichen Debatte in Deutschland bissig kommentiert. So führte er Ende der 1970er-Jahre seinen Leserinnen und Lesern vor Augen, dass jene westdeutsche Linke, die Israel meinte moralisch kritisieren zu können, vor allem sich selbst überschätzte: „Der Massenmord an den Juden verpflichtete, so meinte man, Deutschland dazu, Israel mit Lob und Tadel moralisch beizustehen, damit das Opfer nicht rückfällig werde.“ 

Früh erkannte er in der Friedenssehnsucht der 1980er-Jahre den aufkommenden Nationalismus in Deutschland, der sich spätestens mit der Wiedereinigung Bahn brach: „Und wenn manche Friedensbewegte meinen, gerade als zweimaliger Kriegsverursacher habe Deutschland eine besondere Verantwortung für den Frieden, so ist dies ein Kalkül, welches den Bock zum Gärtner macht, ohne dabei zu erröten.“ Gleichzeitig wies er schon kurz nach dieser Wiedervereinigung daraufhin, dass sich im Osten der neuen Bundesrepublik rechtsradikale Gruppen als Mob bewaffnet hatten und zum Angriff auf all die übergegangen waren, die sie zu ihren Feinden erklärt hatten. 

Wie sehr und wie oft Wolfgang Pohrt, der wie kaum ein anderer pointiert zu schreiben wusste, Recht behielt, können nun alle diejenigen überprüfen, die seine Biografie lesen, die Klaus Bittermann schrieb und unter dem Titel „Der Intellektuelle als Unruhestifter“ in seinem eigenen Verlag Edition Tiamat veröffentlichte. Bittermann hatte in den 1980er-Jahren, als ihn der Rotbuch-Verlag nicht mehr publizieren wollte, begonnen, Pohrts Aufsätze und Essays in Sammelbänden herauszubringen. Diese waren zunächst auch im Spiegelund in der Zeit erschienen oder wurden von öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen gesendet, ehe nur noch Konkret oder die Tageszeitung bereit waren, seine Schriften wider den Mainstream einer links-liberalen Öffentlichkeit zu veröffentlichen. Und selbst dort gab es oft genug interne wie öffentliche Diskussionen, ob man sich Pohrt, der regelmäßig große Gruppen in der Leserschaft brüskierte, noch leisten könne. 

Dass seine Texte heute zugängig sind, ist Bittermann zu verdanken, der seit einigen Jahren die Gesammelten Werke von Pohrt in elf Bänden herausgibt, von denen mittlerweile neun erhältlich sind. In ihrer Gestaltung verweist die Ausgabe ironisch auf die blauen Bände der Marx-Engels-Ausgabe, die einst in der die DDR erschienen waren und in den 1970er-Jahren in vielen Wohngemeinschaft herumstand. Pohrt wird das gefallen haben.

In der Biografie rekonstruiert Bittermann, wie Pohrt allmählich in die Rolle des Ideologiekritikers hineinfand, der ernst nahm, was andere im alltäglichen Meinungsbetrieb übersahen oder ignorierten. Er verweist auf die Tradition, der sich Pohrt verpflichtet fühlte, etwa auf die essayistischen Schriften von Theodor W. Adorno („Minima Moralia“) und Max Horkheimer („Dämmerung“). Er zeigt, wie Pohrt in seiner radikalen Kritik vor nichts oder niemanden Halt machte, der von ihr auch jene nicht ausnahm, die ihn publizierten. Er machte sich mit niemandem gemein. Der ökonomischen oder sozialen Korruption konnte ihn niemand zeihen. So floh er aus dem Universitätsbetrieb wie er sich später systematisch mit denen anlegte, die seine Studien oder auch Texte finanzierten. Ein Leben in ökonomischer Sicherheit ermöglichte das nicht. In seinen letzten Lebensjahren musste Pohrt Lohnjobs, die ihm das Arbeitsamt vermittelte oder aufzwang, übernehmen. Seine dortigen Erfahrungen kommentierte er in Briefen, die Bittermann ausführlich zitiert. Nach dem Tod seiner Frau zog sich Pohrt weitgehend aus der ihm verbliebenen Öffentlichkeit zurück. 

Was hier vielleicht von besonderem Interesse ist: Pohrt war ein begeisterter Krimi-Leser. Er, der Ende der 1990er-Jahre unter den Titel „Brothers in Crime“ eine große Studie über Banden und Gangs  geschrieben hatte, fand in den realistischen Kriminalerzählungen jene Gewalt beschrieben, welche für ihn die bürgerliche Gesellschaft durchherrscht. „Rote Ernte“ („Red Harvest“) von Dashiell Hammett bezeichnete er als sein „Lieblingsbuch“. Begeistert las er die Romane von Eric Ambler. Honoré de Balzac widmete er gar mehrere Aufsätze, die gesammelt als Band 3 der Werkausgabe wiederveröffentlicht wurden. Den Kriminalroman, den er selbst schreiben wollte und den er im Briefwechsel mit Bittermann skizzierte, brach er ab. Seine Kritik machte vor auch sich selbst nicht halt: „Wenn ich zum Beispiel nur ein bißchen schreiben könnte, wäre ich kaputt gegangen in der Zeit, wo man mir immer brillanten Stil bescheinigt hat.“ 

Bittermanns Buch ist keine Hagiografie. Es bilanziert auch die Irrtümer, die Widersprüche und die späten Idiosynkrasien des Wolfgang Pohrt. Es beschreibt das Dilemma des Ideologiekritikers, dessen Schriften nichts mehr bewirken, aber ob ihrer besonderen Form goutiert werden. Es rekonstruiert nebenbei die Geschichte linker und liberaler Diskussionen in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1970er-Jahren. Vieles, von dem man hoffte, es vergessen zu haben, taucht hier wieder auf. In das fügt sich vieles, was man gegenwärtig an Meinungen zum Krieg in der Ukraine wie zur Documenta liest, mühe- wie fugenlos ein. Pohrt im Original oder in den Texten, die Bittermann in seiner Biografie zitiert, lesen, heißt sich den eigenen Widersprüchen stellen. 

Dietrich Leder

Siehe auch seine Kolumne „Crime im TV“ hier in dieser Ausgabe nebenan.

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