Geschrieben am 8. November 2008 von für Comic, Crimemag

David Chauvel/Erwan Le Saëc: Cosa Nostra I. Die Anfänge

Crime in the City

La Cosa Nostra – Blut und Entsetzen, cementa shoesa und Luca Brasi bei den Fischen. So stellt man sich das vor, und das ist auch völlig richtig. Aber es geht auch anders – und nicht minder spannend. Nämlich in einem Pracht-Comic von David Chauvel und Erwan Le Saëc, den sich Thomas Wörtche angesehen hat. Con mucho gusto

Der Gründungsmythos von La Cosa Nostra und die mythische Dimenson von New York City laufen zu manchen Zeiten parallel. In New York City entstanden die Strukturen, die später als Organisiertes Verbrechen, als la mafia oder eben als „Unsere Sache“ mit dem allgemeinen ökonomischen, sozialen und politischen Leben der Stadt und der Vereinigten Staaten und etlicher anderer Nationen gleich mit, irreversibel verknüpft sein werden. Wie das alles so genau kam, funktionierte und sich entwickelte, ist hochkomplex. So komplex auf jeden Fall, dass man ausgerechnet einem Medium die Fähigkeit, diese Geschichte kompetent zu erzählen, sicher nicht auf den erste Blick zutraut: Dem Comic.

Erst auf den zweiten, wie das wunderbare Projekt La Cosa Nostra von Szenarist David Chauvel und Zeichner Erwan Le Saëc beweist. Es funktioniert nämlich. Die ersten drei Teile der Saga, die es jetzt in einem Band zusammengefasst gibt (Fortsetzung folgt), schildern aus der Perspektive – oder besser: aus dem Munde eines Straßenbengels die frühen Jahre von Alfonse Capone (die einzige Unstimmigkeit des Bandes: Ich habe nirgends sonst je gelesen, dass die Familie Kapaun, also Cappone, sich je Caponi geschrieben hätte, wie hier behauptet wird, bevor sie als Capone weltberühmt wurde, aber vielleicht wissen die Philologen da mehr …), von Salavatore Lucana, der sich später Lucky Luciano nannte, von Arnold Rothstein, dem genialen Spieler und anderen einschlägigen Figuren. Selten ist der Begriff „oral history“ übrigens so genial ein- und ausgeführt worden, wie in den ersten Panels des Projektes, das die „Kamera“ vom Detail aufs Panorama soooo weit aufzieht, als sei’s ein Film von Sergio Leone.

Veduten und Profite

Man sieht – ich fange gleich an, über die kluge Machart zu schwärmen. Denn wie hier die Story mit der Stadtgeschichte von NYC verknüpft ist, ist vor allem ästhetisch großartig gelöst. Die Perspektive der Panels und Sequenzen switcht blitzschnell von schnellen Filmschnitten zu Totalen (wo bei auch die einzelne Seite meistens präzise strukturiert und gewichtet ist – eher episch breit, oder eher dynamisch), zu Draufsichten bis hin zu klassischen Veduten, die nicht nur die Farbbrillanz und die Tönung, sondern auch die fast klassizistische Formstrenge von Bellotto und Canaletto (den Großmeistern der Stadt Veduten im rationalen 18. Jahrhundert haben). Wobei David Chauvel und Erwan Le Saëc dringend vermeiden, die berühmten „dunklen Seiten der Gesellschaft“ grafisch zu beglaubigen. Auch da, wo’s finster wird, sind die Bilder durchschaubar. Und deswegen auch der Analyse zugänglich.

Was direkt intentional angelegt und folgerichtig zu den Erzählinhalten führt: Denn in dieser Geschichte des Organisierten Verbrechens gibt es nichts Numinoses, irrational Wütendes (nur außer Kontrolle geratene Affekte, aber das ist etwas anderes …), Geheiminsvolles oder Nebelhaftes. Verbrechen, wie es hier erzählt wird, ist die von Misha Glenny prägnant beschriebene „rationale Option“ zur Profiterzielung – nachdem es zunächst die rationale Option fürs Überleben, fürs Prosperieren und fürs bessere eigene Leben war, und sich schließlich mit wachsendem Erfolg in die ökonomischen Makrostrukturen einklinkte. Deswegen erzählen die einzelnen Episoden auch – ganz besonders deutlich und pointiert das zweite Kapitel: „So starb Herman Rosenthal“ –, dass Deeskalation das bessere, klügere und vor allem effektivere Geschäftsprinzip ist. Nicht umsonst werden die Großmeister dieses Prinzips, Lucky Luciano und Meyer Lansky, ganz allmählich in den Fokus der Saga gerückt. Beides Köpfe, die das blutrünstige Abschlachten von Rivalen, Feinden und manchmal auch Freunden, nicht etwa aus moralischen Gründen ablehnten – sie hatten keine Skrupel, dergleichen aus geschäftlichen Gründen oder irgendeiner anderen raison anzuordnen –, sondern weil es störend war bei ihrem großen, ehrgeizigen Projekt: Die Profite aus den illegalen Aktivitäten als „sauberes Geld“ zirkulieren zu lassen.

Too much und viel zu abstrakt für einen Comic? Ach was – und wegen der Bilder auch eine Freude fürs Auge. Und wegen der sehr intelligenten und durchdachten Kombination von Bildern und Erzählen in Bildern extrem spannend und überzeugend. Bald geht’s weiter …

Thomas Wörtche

David Chauvel/Erwan Le Saëc: Cosa Nostra I. Die Anfänge. Comic. Deutsch von Resel Rebiersch. München: Schreiber & Leser 2008. 126 Seiten. 22,80 Euro.