Die Zerrissenheit des dünnen Mannes
– Dashiell Hammett, weltberühmter Hard-boiled-Autor des „The Maltese Falcon“, starb vor 50 Jahren am 10. Januar 1961. Ein Rückblick und gleichzeitig ein Klassiker-Check von Peter Münder.

Don Herron
Mit dem Hammett-Experten Don Herron in San Francisco die wichtigsten Schauplätze aus dem „Malteser Falken“ zu besichtigen, ist vielleicht die amüsanteste Art, sich der Vita des berühmten dünnen Autors zu nähern. Der in Maryland geborene Hammett lebte von 1921–29 in San Francisco und schrieb hier die drei Romane Red Harvest, The Dain Curse und The Maltese Falcon (1930 veröffentlicht). Seit über 30 Jahren führt Taxifahrer Herron, mit Trenchcoat und breitkrempigem Hut im stilechten Nostalgie-Look ausstaffiert, die Besucher der Hammett-Tour zum Flood Building an der Market Street, wo Dashiell Hammett (1894–1961) vorübergehend als Detektiv für die Pinkerton-Agentur arbeitete und sich dann auch als Werbetexter für den Juwelier Albert Samuels betätigte. Hammetts blöden Slogan „With a lucky diamond you are on top of the world“ zitiert Herron mit einem peinlich berührten Grinsen, dann legt er eine Pause im Restaurant John’s Grill ein, wo schon Hammett in den 1920er Jahren verkehrte. Auf der Speisekarte wird das „Sam Spade’s Lamb“ für 26,95 Dollar besonders empfohlen, die oben im kleinen holzgetäfelten Saal hängenden nostalgischen Filmfotos mit Humphrey Bogart, Peter Lorre und Mary Astor verstärken neben dem auf Servietten abgebildeten prächtigen schwarzen Falken noch den musealen Charakter dieser gepflegten Touristenfalle. Zum Abschluss der Tour prostet Herron dem Besucher dann beim Glas „Anchor Steam“ mit Sam Spades lockerem Spruch: „Here’s to success in crime“ zu. Cicerone Herron zeigt natürlich auch noch die schmuddelige Burrit Street, in der Sam Spades Partner Miles Archer gleich am Anfang des berühmten Romans aufgefunden wird. In dieser Sackgasse ist in zwei Metern Höhe ein kleines Schild angebracht, auf dem steht: „An dieser Stelle wurde Miles Archer von Brigid O’Shaughnessy erschossen“.
Moral, hard-boiled?
Und schon sind wir bei den Fragen, die eine solche Schauplatz-Tour nur am Rande berührt: Hatte Sam Spade nicht völlig desinteressiert auf die Nachricht vom Tod seines Partners reagiert? Wird er nicht als geldgieriger Schürzenjäger gezeigt, der es auf scharfe Frauen, hochprozentige Drinks und den schnellen Dollar abgesehen hat? Ist diese Romanfigur also nicht ein ziemlich dubioses Alter Ego des Autors? Hard-boiled kann doch nicht als moralische Skrupellosigkeit missverstanden werden? Worin besteht also die besondere Faszination dieses Autors, der dem Leser ja einiges zumutet, weil er das Innenleben seiner Figuren konsequent ausblendet und eine geradezu revolutionäre behavioristische Erzähltechnik einsetzt? Don Herron ist ziemlich perplex, aber auch begeistert, als er auf diese Aspekte angesprochen wird, die ihn eigentlich am stärksten interessieren: „Weil ich es aber meistens nur mit texanischen Dummchen und Bogey-Groupies zu tun habe, die sich kaum für den sozialkritischen Analytiker Hammett und dessen Erzähltechnik interessieren, habe ich im Frust mal T-Shirts mit dem Aufdruck ‚Lew Archer gab sein Leben für Touristen‘ produzieren lassen.“ Die wurden ihm dann natürlich, wen wunderts, von begeisterten Touristen aus den Händen gerissen.

Raymond Chandler
Keine Frage, Hammett hat, wie sein Hard-boiled-Kollege Raymond Chandler neidlos anerkannte, „Den Mord zu der Sorte von Menschen gebracht, die mit wirklichen Gründen morden und nicht nur, um dem Autor eine Leiche zu bescheren“. Das liest sich heute nicht mehr nur als höhnisch formulierte Kritik an Agatha Christie und ihrem Faible für Morde, die man wie Kreuzworträtsel aufklärt, sondern auch wie eine zeitgenössische Systemkritik: Liefern die Serienkiller und Weltverschwörungsszenarios unserer Tage nicht viel zu abstruse, unrealistische Plots? Beruht der packende Hard-boiled-Realismus der Hammett-Romane nicht auf den autobiografischen Erfahrungen des Ex-Detektivs? Der Mann wusste ja genauestens, worüber er schrieb und mixte sich nicht beim Scrollen im Internet irgendwelche abstrusen Konspirationskomplotts oder abartige Psychopathen-Profile zusammen.
Dichtung und Wahrheit
Fiktion und Realität gehen bei Hammett eine faszinierende Symbiose ein. „Nichts ist so, wie es scheint“: Diese Erkenntnis scheint besonders für die Biografie des legendären dünnen Mannes zu gelten. Als Soldat in der Etappe wurde er lungenkrank, als Agent bei Pinkerton war er als Mann fürs Grobe im Einsatz und auch für den Schutz von Streikbrechern zuständig. Nach der Durststrecke als darbender „Black Mask“-Pulp-Schreiber kostete er dann eine geradezu hedonistische Phase im goldenen Käfig Hollywoods aus, wo Dash, wie Lillian Hellmann es im Vorwort zum Short Story-Band „The Big Knockover“ formulierte, „the hottest thing in town“ war. Da hatte die Dramatikerin den alkoholsüchtigen Hammett nach einer fünftägigen Sauftour kenngelernt und ihn wohl wie eine lässige Inkarnation des „Great Gatsby“ erlebt. Seine Sympathien für die Kommunistische Partei konnte Lilian Hellmann allerdings nicht ganz ernst nehmen, auch wenn Hammett damals in dieser Glamour-Phase die KP-Genossen noch mit monatlich tausend Dollar unterstützte.
McCarthy & die Folgen
Wie passt also zu diesem Mann, der lieber in den Knast ging, als seine KP-Genossen vor dem McCarthy-Ausschuss zu denunzieren, dieses Säufer-Frauenheld- und -Playboy-Image? Irgendwelche Namen, bekannte Hammett gegenüber Hellmann, hätte er gar nicht nennen können, weil er sie überhaupt nicht kannte: „Ich wollte mir mein Demokratie-Verständnis aber nicht von diesen Kommunistenjägern einbläuen lassen“, erklärte Hammett damals. Nach der Absetzung seiner Radiosendungen, den plötzlich fälligen Steuernachzahlungen und der Stigmatisierung in Hollywood erlebte er einen furchtbaren finanziellen Ruin, den die wohlhabende Dramatikerin Hellmann nur vorübergehend abfedern konnte. Er ertränkte seine Depressionen und die emotionale Zerrissenheit im Alkohol und lebte dann, als lungenkranker Kettenraucher total abgemagert bis zu seinem Tod am 10. Januar 1961 in New York von einer kümmerlichen Rente der Veteran’s Association.
Psychologie?
Sind es also nur küchenpsychologische Erklärungsmuster, wenn man die starken Kontraste in Hammets Vita – vom Unterstützer brutaler Streikbrechertrupps als Pinkerton-„Op“ bis zum hedonistischen Champagner-Genießer und KP-Sympathisanten – auf seine Schuldkomplexe reduziert? James Ellroy, („Blood’s a Rover“), überzeugter Hammett-Bewunderer, hatte 2007 in einem Rückblick für den Guardian den Alkoholismus des dünnen Mannes, seine Affären sowie andere Exzesse als Überkompensation eines alles überschattenden Schuldkomplexes dargestellt. Wer wollte da widersprechen? Alles in Hammetts Werk sei komplexer angelegt als beim Kollegen Chandler, schrieb Ellroy: „Chandler konstruierte seinen Helden so, wie er sich selbst sah – Hammett beschrieb ihn so, wie er befürchtete, zu werden.“
Der namenlose Continental Op, Held in „Red Harvest“, dort als Komplize faschistoider Anti-Gewerkschafter gezeichnet, deute laut Ellroy auch Hammetts eigene Komplizenschaft mit diesen reaktionären Kreisen während seiner Pinkerton-Zeit an. Und die selbstzerstörerischen Exzesse wären das Resultat seiner Versuche, diese Schuldgefühle zu kompensieren. Auch das hektische Trinken, Rauchen und unentwegte herumwieselnde Agieren sei als Indiz dieser Verdrängungsmechanismen zu bewerten.
Wir fügen hinzu: Unter den düsteren Alltags-Impressionen in „Red Harvest“ deutet sich aber auch Hammetts kompromisslose Kritik des amerikanischen Dschungels an, in dem der Raubtierkapitalismus blüht und gedeiht. Und die komplexe Erzähltechnik des zerrissenen dünnen Mannes, die eine verschüchterte Miss Wonderly erst als Dummchen vom Lande und dann als skrupellose Mörderin Brigid O’Shaugnessy zeigt, demaskiert Sam Spade schließlich doch als gar nicht so eiskalten Voyeur, wenn er über den ermordeten Lew Archer feststellt: „Wenn der Partner eines Mannes ermordet wird, muß dieser Mann etwas tun. Es spielt dabei keine Rolle, was er von ihm gehalten hat. Er war sein Partner, und er muß nun einmal etwas tun.“
Behaviorismus
Hammett als Großmeister eines nüchternen Labor-Jargons behavioristischer Stimulus-Response-Situation beruft sich zwar sich nicht wie der eher blumige Chandler auf einen Ritter in weißer Weste, der wie Philip Marlowe die dreckigen Großstadt-Avenues von asozialen Elementen säubert. Aber es läuft auch auf diesen Moralkodex hinaus. Hammett ist mit seinem extremen Minimalismus sehr anspruchsvoll: Er mutet seinem „impliziten Leser“ zu, die offenen Leerstellen mit den entsprechenden interpretatorischen Bedeutungsnuancen selbst aufzufüllen. Und das macht die Werke dieses Autors, der ja nur sechs Romane und diverse Kurzgeschichten veröffentlichte, so teuflisch- spannend und immer noch zum ultimativen Krimi-Benchmark.
Peter Münder
Don Herrons Hammett-Tour San Francisco
Dashiell Hammett: The Big Knockover. Short Stories (mit Vorwort von Lillian Hellmann). Vintage, New York 1989
Diane Johnson: Dashiell Hammett-A Life. Random House, New York, 1983
Nathaniel Rich: San Francisco Noir. The City in Film Noir from 1940 to Present. The Little Bookroom, New York 2005
Jo Hammett: Dashiell Hammett- A Daughter remembers. Carroll& Graf, new York 2001
Richard Layman (Edt.): Discovering the Maltese Falcon and Sam Spade. Vince Emery Productions, San Francisco 2005
Ders.: Shadow Man. The Life of Dashiell Hammett. Harcourt, Brave, Jovanovich, 1981
Wolfgang G. Müller: Implizite Bewußtseinsdarstellung im behavioristischen Roman der 20er und 30er Jahre: Hammett, Chandler, Hemingway. In: Amerika Studien, Nr. 2, 1981 (Metzler)
Deutsche Übersetzungen bei Diogenes, Zürich
Joe Gores‘ „Hammett“ beim Unionsverlag und im Original auf Englisch