
So hat er es gemacht. Der Jean-Luc Picard Darsteller erinnert sich.
Das Buch überrascht mit neuen Perspektiven auf den Schauspieler. Ganz gut illustriert das eine Anekdote mit Fast Food. Stewart beschreibt, wie er 2013 eine besondere New Yorker Pizza-Spezialität probiert, die man typischerweise als zusammengeklapptes Stück isst. Stolz postet er mit Foto auf Twitter: „My first ever Pizza slize“. Internet und Presse drehen durch.
Sir Patrick, der Darsteller großer Shakespeare-Figuren und des distinguierten Gentleman Jean-Luc Picard lässt sich mit Anfang 70 auf das Niveau von gewöhnlichen Sterblichen herab – und probiert seine erste Pizza. Das Missverständnis führt zu zahllosen Interviews und Fernsehauftritten.
In seiner Autobiografie lernen wir jetzt den wahren Patrick Stewart kennen, abgeschminkt, unverfälscht, ohne Angst von Fehlern und Niederlagen zu berichten – und vor allem ohne Berührungsangst mit Burgern und Pizza.

Gleich am Anfang wird klar: Der Meister elisabethanischer Hochsprache kommt nicht direkt aus Stratford-upon-Avon. Er stammt aus Mirfield im armen Norden Englands, wo hart gearbeitet und im noch härteren Yorkshire Dialekt kommuniziert wird. Für Theater und Literatur hat hier keiner Zeit. Kühe müssen gemolken und Felder bestellt werden. Bis er eines Tages in der Schule einen Shakespeare Text laut vorlesen muss – und diese Sprache ihn magisch berührt. Ab da gibt es kein Zurück.
Mit 15 verlässt er die Schule, arbeitet unter anderem als Reporter und Möbelverkäufer – aber sein Ziel ist das Theater. 1959, mit 19 Jahren, bekommt er dann seinen ersten Vertrag. Er beschreibt genau, wie er den ersten Job antritt. Als Produktionsassistent und Darsteller für kleinere Rollen ist er für die Organisation der Proben zuständig, ist der erste und letzte im Theater. Er liebt es von Anfang an und ist sich für keine Aufgabe zu schade. Diese respektvolle, demütige Einstellung zur Bühne prägt sein ganzes Leben.
Als sich eine Affäre mit einer Kollegin andeutet, bekommt er aus dem Nichts das Angebot, mit dem berühmten Theater Old Vic aus London auf eine Welttournee zu gehen. Drei Stücke, jeweils in der Hauptrolle Vivian Leigh – der größte Filmstar, den England vielleicht hervorgebracht hat. Als Scarlett O’Hara in Vom Winde verweht hatte sie den ersten ihrer beiden Oscars gewonnen. Weil Stewart keine Kontakte nach London hatte, vermutet er heute, dass vielleicht der Vater der Kollegin dahintergesteckt haben könnte, der ihn als unangemessene Partie gesehen hat. Trotzdem, diese Tournee ist wichtig für ihn.

Auf der einen Seite lernt er neben tollen Kolleg:innen auch Australien, Neuseeland und Südamerika kennen – auf der anderen Seite wird er von Regisseur und Produktionsleiter wie der letzte Dreck behandelt und nur für winzige Rollen eingesetzt. Zum Glück versteht er sich glänzend mit Vivian Leigh. Sie schenkte ihm zum Geburtstag ein parfümiertes Taschentuch, das er bis heute besitzt.
In kleinen Schritten arbeitet er sich die folgenden Jahre weiter in englischen Provinztheatern nach oben, bis er es 1966 in die Royal Shakespeare Company schafft. Sein großer Lebenstraum ist erfüllt und es beginnen 14 intensive Jahre mit großen und kleinen Rollen, unter anderem zusammen mit Ben Kingsley und im Sommernachtstraum von Regie-Legende Peter Brook.
Erst nach elf Jahren in der RSC kommt sein erster Filmdreh. 1975 eine Szene im Thriller Hennesey mit Rod Steiger. Sein Vorbild Steiger gewann 1968 den Oscar als bester Hauptdarsteller In der Hitze der Nacht und spielte in Klassikern wie Die Faust im Nacken und Doktor Schiwago. Nach dem Dreh essen sie zusammen und Steiger vertraut ihm ein Geheimnis an: Die Kamera filmt Gedanken. Eine Technik, die Stewart später perfektioniert und mit der er den stoischen Picard zur Ikone der Popkultur macht. 1984 wird er von David Lynch für eine Rolle in Dunegecastet. Die Beziehung mit Lynch ist schwierig – aber besonders lustig die Szene, in der er den Popstar Sting kennenlernt. Als reiner Klassik-Fan kennt er ihn natürlich nicht und hält seine Band The Police für eine Polizeikapelle. Trotz vieler Jahre großartiger Leistungen und einem exzellenten Ruf kommt die große Berühmtheit erst 1987 im Alter von 47 Jahren mit Star Trek. Das sieht er heute als Vorteil an.

Das besondere an Stewarts Karriere ist, dass sie so normal und hart erkämpft ist. Voller Enttäuschungen, großartiger Begegnungen und einer beeindruckend respektvollen Einstellung zu Menschen, zur künstlerischen Arbeit und dem Privileg, ein Weltstar zu sein. Das ist grade heute interessant und eine wichtige Botschaft, wo allgemein Instant Fame und Instant Gratification erwartet werden. Ein TikTok Hit – und schon dreht sich alles nur um mich. Stewart ist nie davon ausgegangen, dass die Welt auf ihn wartet. Er ist beharrlich immer weiter seinen Weg gegangen und hat angenommen, was ihm begegnet ist, von den ersten kleinen Rollen bis zum großen Kino. Das passende englische Wort dafür ist humble. Seine Erinnerungen sind eine Begegnung, die sich lohnt. Eine inspirierende, intelligent-ironische Konversation. So wird’s also gemacht.
Patrick Stewart: Making It So. A Memoir. Gallery Books, New York 2023. 480 Seiten, 22,99 USD.
Christopher Werth bei uns mit seinen Texten.