Geschrieben am 15. Januar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Januar 2018, Film/Fernsehen, News

Christopher Werth über die Serie „Westworld“

Ein Western von Gestern als Szenario für unser Morgen

Die HBO Serie Westworld ist mehr als ein Remake von Michael Crichtons Roman und Film von 1973. Sie ist die konsequente Weiterentwicklung eines Stoffes, dessen Zeit gekommen ist. Von Christopher Werth.

Westworld - frische Cowboys aus dem 3D-Drucker

Westworld – frische Cowboys aus dem 3D-Drucker

Das Setting der Serie

Westworld ist gleichzeitig eine Western-, Science Fiction- und Drama-Serie. Das Setting ist ein High-Tech Freizeitpark, in dem Besucher authentisch in die Zeit des Wilden Westens reisen können. Wie bei einem Open World Computerspiel, (z.B. Red Dead Redemption), bei dem der Spieler seine Geschichte selbst finden muss, trifft der Besucher hier auf künstliche Sheriffs, Banditen und Huren, um endlich das sein und ausleben zu können, wovon er schon sein ganzes Leben geträumt hat: ein gnadenlos cooler, grenzenlos freier Cowboy. Die Serie verfügt über eine komplexe Architektur von Ebenen, Motiven und Erzählsträngen. Da gibt es die Macher und Betreiber des Parks, die im Hintergrund die Fäden ziehen, nachts wieder aufräumen und die Illusion aufrecht erhalten. Da sind die wohlhabenden Besucher, die sich auf den Trip ihres Lebens begeben. Und da sind die kunstvoll programmierten und modellierten künstlichen Menschen, die Hosts, die ohne Konsequenzen den Besuchern für alle Arten der zwischenmenschlichen Interaktionen zur Verfügung stehen und auch jederzeit abgeknallt werden können – und die sich aber höchstwahrscheinlich nicht auf ewig mit den ihnen zugeteilten Rollen abgeben wollen.

Die ganze Welt des Wilden Westens

Die weite Welt des wilden Westens

Das Thema: KI

1965 formuliert der britische Kryptologe und Mathematiker Irving John Good das Menetekel von künstlicher Intelligenz, das Maschinen eines Tages dem Menschen den Rang ablaufen könnten: „Eine ultraintelligente Maschine sei definiert als eine Maschine, die die intellektuellen Fähigkeiten jedes Menschen, und sei er noch so intelligent, bei weitem übertreffen kann. Da der Bau eben solcher Maschinen eine dieser intellektuellen Fähigkeiten ist, kann eine ultraintelligente Maschine noch bessere Maschinen bauen; zweifellos würde es dann zu einer explosionsartigen Entwicklung der Intelligenz kommen, und die menschliche Intelligenz würde weit dahinter zurückbleiben. Die erste ultraintelligente Maschine ist also die letzte Erfindung, die der Mensch zu machen hat.“

Raymond Kurzweil, US-amerikanischer Autor, Erfinder, Futurist und seit 2012 Leiter KI bei Google, sagt die Dinge heute ganz konkret voraus: „Man muss dabei im Auge behalten, dass sich die künstliche Intelligenz Jahr für Jahr verdoppelt, während die biologische Intelligenz im Wesentlichen stillsteht. In den 2030er Jahren wird der nichtbiologische Teil unserer Intelligenz dominieren. Mitte der 2040er Jahre wird dieser Teil unserer Intelligenz milliardenfach leistungsfähiger sein als der biologische Teil. Nichtbiologische Intelligenz wird Zugang zu ihrem eigenen Design erhalten und in der Lage sein, sich in immer schnelleren Zyklen weiter zu verbessern.“

Und Michael Anissimov, US-amerikanischer Forscher an künstlicher Intelligenz und Futurist: „Wenn die erste übermenschliche Intelligenz, die sich selbst rekursiv zu verbessern beginnt, erschaffen sein wird, dann ist mit einem fundamentalen, nicht annähernd überschaubaren Umbruch zu rechnen.“

Ein Umbruch, der nicht mehr nur reine Science Fiction Gedanken-Spielerei ist, sondern, den viele von uns sehr wahrscheinlich miterleben werden und den wir nicht vorhersagen können. Im Kern ist das ein Stoff, der schon immer fasziniert hat – Prometheus, Golem oder Frankenstein – und der jetzt in die ganz konkrete Nähe unserer Lebenserwartung gerückt ist. Genau das macht die Serie Westworld so spannend.

Der Zugriff auf das Thema

Bisher wurden die intelligenten Maschinen meistens dystopisch böse dargestellt. Wie z.B. der Supercomputer HAL in Stanley Kubrick’s 2001: A Space Odyssey, die Maschinen in Matrix oder der Konzern Skynet in Terminator. Die völlig andere und romantische Herangehensweise an das Thema KI im Film Her von Spike Jonze, über einen Mann, der sich in die Stimme seiner digitalen Assistentin verliebt und eine Beziehung mit ihr führt, inspirierte den Autor Jonathan Nolan dazu, einmal ganz neu über das Thema nachzudenken. Mit der terminator-artigen Performance von Yul Brynner, der im Westworld Film-Original einen durchgedrehten Revolverhelden spielt, haben die Einwohner der Serie nicht mehr viel zu tun. Sie sind sensible Wesen mit Träumen und Gefühlen. Jede Figur hat eine eigene Biographie und Lebensgeschichte mit Ängsten und Traumata, die so ihre Persönlichkeit ausmachen und ihr vermeintlich unabhängiges Handeln bestimmen.

Die Ebenen von Westworld (Auswahl)

Die Ebene des Schöpfers: Anthony Hopkins spielt den ambivalenten Dr. Robert Ford mit Gott-Komplex, der als Regisseur das Schicksal aller Figuren und Storylines bestimmt. Mit seinem Partner Arnold Weber hat er den Park vor 30 Jahren entwickelt und eröffnet. Kurz vor der Eröffnung muss es allerdings zu Komplikationen gekommen sein, einem Unfall, der Arnold das Leben gekostet hat.

Gott bei der Arbeit

Gott bei der Arbeit

Die Ebene der Mitarbeiter-Teams, die den Park betreiben: In einer High-Tech Zentrale werden die Hosts naturgetreu im 3D-Druckverfahren hergestellt und programmiert – der hochästhetische Vorspann gibt davon einen Eindruck. Hier werden sie auch jede Nacht sorgfältig gewartet: Von Chirurgen nach Schießereien zusammengeflickt und von Psychologen unter Hypnose auf einen neuen Tag eingestellt, der wieder genauso ablaufen wird, wie alle vorherigen. Innerhalb des Teams gibt es Machtkämpfe und unterschiedliche Interessen. Die Teams werden geleitet von Theresa Cullen, gespielt von Sidse Babett Knudsen (Borgen). Sie steht im Spannungsfeld zwischen der den Park betreibenden Firma Delos, ihren Mitarbeitern und dem Schöpfer Dr. Ford.

Wer zwischen allen Stühlen sitzt, kann auch mal eine Rauchen

Theresa, die Managerin des Parks: Wer zwischen allen Stühlen sitzt, kann auch mal eine Rauchen

Die Ebene des leitenden Programmierer Bernard Low (Jeffrey Wright): Ihm fallen immer mehr Fehler an den Hosts auf – und dann muss er auch noch ein erschütterndes Geheimnis von Dr. Ford erfahren.

Irgendetwas stimmt nicht

Irgendetwas stimmt nicht

Die Ebene des Man in Black: Ed Harris spielt einen mysteriösen schwarzen Rächer, der mit gnadenloser Brutalität Hosts abschlachtet, um einem tieferen Mysteriums des Parks auf den Grund zu kommen.

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Links: Ed Harris als Man in Black der HBO Serie. Rechts Vladimir Putins Role-Model Yul Brynner im Original.

Die Ebene der beiden Freunde: Wie im Original gibt es auch in der Serie ein ungleiches Freundespaar, das sich auf die Reise begibt, um sich innerhalb der Illusion realer und freier zu fühlen, als jemals im echten Leben. Wie im Film ist einer ein Draufgänger, der andere eher skeptisch und vorsichtig, bis sich die Dinge zu verschieben beginnen…

Können es kaum erwarten: zwei Besucher gespielt von Ben Barnes und Jimmi Simpson

Können es kaum erwarten: zwei Besucher gespielt von Ben Barnes und Jimmi Simpson

Die Ebene von Host Maeve (Thandie Newton): Sie ist der Host, der eines der Bordelle leitet. Sie wird von seltsamen Albträumen gequält und versucht herauszufinden, was dahinter steckt.

Die künstliche Maeve bei der echten Inspektion

Die künstliche Maeve bei der echten Inspektion

Die Ebene von Host Dolores (Evan Rachel Wood): Sie geht jeden Tag mit einer Staffelei in die Natur zum Malen, aber eines Tages beginnt sie echte Gefühle für einen der Gäste zu entwickeln.

The Making of Dolores, der älteste Host von Westworld

The Making of Dolores, der älteste Host von Westworld

Fazit: Der Western von Gestern als Szenario für unser Morgen. Neben der Komplexität der Handlungsstränge und Charaktere ist an der Serie vor allem eins interessant: Das das alles nicht mehr weit von uns entfernt ist. Die komplexen Handlungs- und Bedeutungsebenen sowie die konsequente Mischung aus Western, Science Fiction und Drama bieten gleichzeitig spannende und philosophische Unterhaltung. Die hochkarätig besetzte Serie ist außerdem ein Beweis für einen anderen Zukunfts-Trend: dass die interessantesten Geschichten wohl nicht mehr im Kino erzählt werden.

Christopher Werth

Mehr über Westworld bei der IMDb.

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