Geschrieben am 27. September 2008 von für Comic, Crimemag

Christophe Blain: Das Getriebe

Zum Mitraten

Bei Kriminalliteratur geht es um Geheimnisse und Rätsel. Sagt man. In Christophe Blains Comic Das Getriebe ist das ganz sicher der Fall.Thomas Wörtche hat sich das schöne Bilderbuch angesehen.

„Mystery“ hat viele Facetten. Ein streng limitierter Handlungsort kann besonders viel Rätselhaftes und Geheimnisvolles bieten, wenn er zusätzlich ungeahnte Dimensionen, gar Räume im Raum bieten kann. Ein gigantisches Schiff zum Beispiel. Auf der „Leviathan“, dem gewaltigsten Panzerschiff seiner Zeit – unter französischer Flagge, irgendwann vor dem Ersten Weltkrieg – siedelt Christophe Blain seine Mysterien an. Denn in das Antriebsgetriebe des Giganten ist ein Bleistiftspitzer geraten – man kann es aber auch metaphorisch auslegen, klar – , und die Ausflüge in die Eingeweide des nicht umsonst nach dem sprichwörtlichen Seeungeheuer (nicht nur bei Thomas Hobbes) benannten Schiffes, dienen eher dazu, Geheimnisse zu schaffen denn zu erhellen.

Figuren, taumelnd

Die zwei Hauptfiguren, ein Meereskundler und ein Schriftsteller, die beide in der Marine Dienst tun müssen, taumeln durch eine Handlung, die ihrerseits ein großes Rätsel darum macht, was sie denn genau erzähle. Eine Geschichte von Spionage und Sabotage, ein Duell mit einem unsichtbaren U-Boot, ein Mordrätsel mit verschwundenen Matrosen oder – es wäre die einfachste Lösung – den berühmten Trip in die Abgründe der menschlichen Seele …

Glühend

Christophe Blain (der später mit seiner wunderbaren Serie Isaak der Pirat zu Ruhm und Erfolg gekommen ist) hat für dieses „Frühwerk“ das Szenario geschrieben und die Bilder schwarz/weiß vorgezeichnet; die Colorierung stammt von „Walter, Yuka und Christophe“. Sie glüht in höllen-schwefeligen expressionistischen Farben, so wie das ganze Projekt auf einem expressionistischem production design beruht, das mit ironischen Jetzt-Zeit-Zitaten durchsetzt ist. Die Figuren sehen aus wie aus einem Murnau-Film (naja, dem einschlägigen Murnau-Film schlechthin: „Nosferatu“), zudem an Grosz, Dix und Picasso & Co. ausgerichtet. Graphische Primitivismen und „Metropolis“-Anspielungen mit Caligari-Architektur provozieren ganze Assoziationscluster zwischen der Ahnung von Hightech und quasi-mystischem Fidelwipp, wie wir ihn eben auch aus der Zeit der „Dämonischen Leinwand“ kennen; hier allerdings mit einem kräftigen Stich ins Karikaturhafte. Dass die „Leviathan“ ein bisschen so aussieht wie die „Gloria N“ aus Fellinis „E la nave va“ ist so wenig zufällig wie der Umstand, dass auf ihr keine Edmea Tetua fährt, sondern recht deviante Sadisten und Brutalos.

Natürlich ist Blains großer Bilder-Krimi, sein persönliches „Mystery“, kein vom plot getriebenes Projekt, sondern der Erzählrhythmus, die Farben, die graphischen Elemente dominieren – sind aber dennoch konstitutiver Teil der narration. Die Geschichte wird dadurch sehr offen, verzichtet wie das Artwork auf circumstantial realism und befördert so das Numinose und Enigmatische. Heißt es nicht, ein Hauptreiz des Krimis sei das Mitraten des Publikums? Na dann …

Thomas Wörtche

Christophe Blain: Das Getriebe (Le Réducteur de Vitesse, 1999). Comic. Deutsch von Kai Wilksen. Berlin: Reprodukt Verlag 2008. 76 Seiten. 15,00 Euro.