Geschrieben am 1. Mai 2020 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2020

Christina Lux (Musikerin, soloselbständig) #covid-19

Christina Lux © Foto: meyeroriginals

Systemrelevanz

Von Christina Lux

Ja, das bin ich, systemrelevant. Es geht mir nicht um eine Extrabehandlung für Künstler, sondern eine vernünftige Regelung für alle Soloselbstständigen. Die Mär vom Künstler, der gern als von der Hand in den Mund lebender gesehen wird, geht mir gehörig gegen den Strich. Ja, es gibt diese Form, aber das ist nur ein Teil. Der andere Teil sieht anders aus. Wie das genau in Zahlen aussieht, kann ich allerdings nicht sagen. Ich spreche hier für die, die seit Jahrzehnten, so wie ich (oder deutlich größer), unabhängig ihren Weg gehen. In Deutschland sind fast 190.000 (davon 53.000 Musiker; Zahlen von 2018) Künstler in der KSK (Künstlersozialkasse). Um dort Mitglied zu sein muss man mindestens 3.900 Euro aus selbstständig künstlerischer Tätigkeit jährlich erwirtschaften.

Seit nunmehr 37 Jahren mache ich Musik. Seit 1998 stehe ich damit, ohne je Hilfe des Staates in Anspruch genommen zu haben, auf eigenen Füßen. Ich habe ein einziges Mal Geld vom Staat bekommen, als mein Kind 1991 zur Welt kam und ich Erziehungsgeld bekam. Gut, dass es das gibt. Ich habe neun Alben produziert und unzählige Konzerte gespielt. Ich zahle brav meine Steuern (und das nicht zu knapp) und mache das gern, weil wir ein zwar durchaus lückenhaftes System haben, aber eben auch eines das Schirme aufspannt für Leute die straucheln. Das Menschen hilft, wenn nichts mehr geht (auch wenn es da eine Menge zu kritisieren gibt, in welcher Art das geschieht. Das muss überdacht werden und geändert). In diesem Land kann man frei zur Schule gehen und studieren. Es gibt eine Krankenversicherung für jeden und so einiges mehr. Und wir haben eine freiheitlich demokratische Grundordnung die, wie man in vielen Ländern sehen kann, so nicht selbstverständlich ist. Ich möchte, dass das so bleibt.

Nein, ich sitze nicht den ganzen Tag verträumt auf einer Wiese und klimpere ein bisschen auf der Gitarre um mich zur Selbsterfreuung meinen kreativen Momenten hinzugeben und dann zu erwarten, dass ich von irgendeinem System selbstredend versorgt werde. Ich habe einen kleinen Betrieb. Und der läuft seit über 20 Jahren und ich habe ihn stetig weiter aufgebaut in großer Unabhängigkleit. Ich produziere meine Alben und finanziere diese durch Crowdfunding und mit dem Geld, welches ich mir zuvor erwirtschaftet habe. Den Großteil meiner Zeit verbringe ich im Büro. Ich buche meine Konzerte, mache Promo, meine Steuer und organisiere meine Touren.

Und dies in einer Zeit, in der die Musikbranche zunehmend in einen Zustand gerät, in dem es für einen Künstler nur eine einzige verlässliche Einkommensquelle gibt: Konzerte. Und daran hängt eine komplette Branche. Bestehend aus Veranstaltern, Ton,-und Lichttechnikern, Cateringservices, Bookern, PR Leuten, Grafikern, Fotografen, Studios, Presswerken, Labels, Roadmanagern und Verlagen und selbstredend auch Musikern, die man sich für ein Projekt bucht. Wahrscheinlich habe ich noch einige Bereiche vergessen.

Seit es streaming gibt (ich darf kurz erwähnen, das ein Stream im Schnitt etwa 0,003 Euro zum Künstler bringt) gibt es die Einnahmequelle CD Verkauf hauptsächlich nur noch im Livegeschäft. Wenn meine 800 verkauften Exemplare im Vertrieb schon als ganz gut gelten, dann kann man sich ausrechnen, was in den meisten Fällen an dieser Stelle noch geht. Nicht viel. Auch ein Grund, warum viele große Labels inzwischen Deals machen, bei denen sie bei ALLEM was ein Künstler erwirtschaftet beteiligt sind. Und das macht klar, dass es ohne Konzerte nicht möglich ist zu überleben. Garnicht.

Ein weiteres Standbein ist für die, die ihre Songs selbst schreiben, die Gema. Ohne diese Ausschüttungen könnte ich von meiner Musik nicht existieren. Jedes Live Konzert bringt einen Betrag, der einen Teil meiner Kosten mit deckt und der enorm wichtig ist. All das wird jetzt wegbrechen. Und es gibt natürlich auch Geld für Airplay und TV. Die allermeisten Radiostationen allerdings spielen sogenanntes Formatradio. Das bedeutet, dass es für einen kleineren oder nicht mainstream Künstler oft sehr schwer, bis unmöglich ist, dort stattzufinden, was weitere Einnahmen generieren würde. Dazu haben wir die Aktion Airplay for Artists gestartet, die Resonanz ist leider fast gleich null. Traurig. Öffentlich rechtlich bedeutet eigentlich, dass die Kultur des Landes auch dargestellt wird. Das ist bei vielen Sendern nicht mehr der Fall. Hier wird verzweifelt auf vermeintliche Hörerwünsche geschielt und das Programm dementsprechend stromlinienförmig gestaltet. Ein unsäglicher Zustand. 

Mehr zu Airplay for Artists hier

Uns wird im Moment gern vorgehalten, wir hätten ja keine Rücklagen gebildet. Also wirklich. Jeder Soloselbstständige, ob er nun Kuchen backt oder Kleider schneidert oder etwas anderes verkauft, tut das, was möglich ist, um sich zu erhalten und den Betrieb aufzubauen und auch zu investieren. Und er sieht auch zu, dass er im Alter nicht völlig mittelos dasteht. Deutschland hat die Künstlersozialkasse. Ein Segen. Ich zahle jeden Monat über 400,- Euro in diese Kasse ein um Renten,- und krankenversichert zu sein. Außerdem habe ich eine Berufsunfähigkeitsversicherung und zwei Lebensversicherungen abgeschlossen, die mich im Alter ein wenig besser versorgen können. Soviel zu Rücklagen. Diese wären mit ALG II in Gefahr, auch wenn behauptet wird, das sei jetzt alles so einfach, hören ich von 20 Seiten Formularen und Offenlegungen, die nicht zu fassen sind. Allein die Regelung der Bedarfsgemeinschaft ist unzumutbar. In meinem Fall kämen, aufgrund des auch kleinen Einkommens meines Partners, 150,- Euro Grundsicherung für mich heraus. Ich müsste ihn nötigen ebenfalls auf 432,- Selbstbehalt zu gehen, damit wir da überhaupt etwas bekämen. Ich zitiere: „Erheblich ist sofort für den Lebensunterhalt verwertbares Vermögen der Antragstellerin/des Antragstellers über 60.000 Euro sowie über 30.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft. Beispiele: Girokonten, Sparbücher, Schmuck, Aktien, Lebensversicherungen.“ Auch ein Punkt, der einen platt macht, statt den Betrieb und die eigene Versorgung zu erhalten. Das Aus für jede Art der Neuinvestition in Ware/CDs um weiter beweglich zu bleiben und meinen kleinen Betrieb zu erhalten.

Viele meiner enorm wackeren Kollegen haben das die letzten Jahre so gemacht wie ich und auch sehr gut hinbekommen. Einige sogar noch in viel größerem Umfang, was die Touren anbelangt und die beschäftigten Menschen. Ich habe immer darauf geachtet, dass ich meine Umsätze so hinbekomme, dass ich meine Arbeit in Freiheit und mit größtmöglicher Marge machen kann, so dass ich auch von 30-40 Konzerten, meinem CD Verkauf und meinen Workshops all diese Dinge halten kann. Das ging nur, indem ich sorgsam einen Eintrittspreis erspielt habe, der würdig war. In einer Zeit, in der das konsumieren von Musik völlig ohne etwas zu geben möglich ist, muss man seine Künstlerartenschützer auch klar briefen. www.kuenstlerartenschutz.de ist meine Seite dazu, die ich gerade aufbaue. Und ich muss sagen, dass ich ohne diese wunderbaren Luxlauscher und Unterstützer diese Zeit überhaupt nicht überstehen würde. Sie geben und wollen erhalten, was meine Musik ihnen gibt. Ein Glück. Und das geht vielen so, deren Werk den Menschen gibt, was die Seele dringend braucht. Aber von Spenden zu leben kann der Weg langfristig nicht sein. ich habe einen Beruf.

Ich kann nicht immer von der Wichtigkeit der Kultur reden und sie zugleich als nicht systemrelevant betrachten oder sie zu kleinen Bittstellern runterreden. Dies an Frau Grütters und alle Politiker, die das nicht begreifen, wie es scheint. Denn die wenigsten kleineren Veranstalter und Betriebe haben Unterstützung von Stadt oder Land. Sie schaffen das mit viel ehrenamtlicher Arbeit oder großem Idealismus und geben uns dafür den Boden, um eine Bühne zu haben und Kultur zu erhalten. Kultur ist, wie Johannes Rau schon einmal so treffend sagte, nicht die Sahne auf dem Kuchen, wenn es einem gut geht, sondern die Hefe im Teig. Ohne Hefe wird das Brot zu Stein.

Ich spreche hier für all die Kollegen und alle Soloselbständigen, die sich etwas aufgebaut haben und für die diese Grundsicherung nun für ihren Erhalt reichen soll, was sie nicht tut. Unsere Betriebsstätte ist in den allermeisten Fällen daheim. Und es gibt nicht diese Art von Betriebskosten eines Ladenlokals oder eines Mitarbeiters. Und ja, man muss außer den Betriebskosten auch versorgt sein.Es ist aber enorm wichtig den Betrieb zu erhalten. Von den zwei Millionen Soloselbständigen werden viele ohne vernünftige Unterstützung ihren Betrieb verlieren und dann wirklich arbeitslos sein. Das kann nicht das Ziel sein. Wie in Baden Würtemberg oder Bayern sollte den Künstlern und Soloselbstständigen ermöglicht werden sich, wie auch in NRW ursächlich so formuliert, einen Selbstbehalt von der Soforthilfe für den Monat auszuzahlen, um die Versorgung über ALG II möglichst zu umgehen und einen Weiterbetrieb zu ermöglichen, ohne dass der Betrieb völlig lahmgelgt würde. Denn das würde passieren, wenn man die Leute so auf Eis legt. Und bitte, versorgt alle damit, die den Antrag berechtigt gestellt haben. (So einige haben bis heute nichts an Soforthilfe bekommen und sind in Existenzangst.)

Es gibt inzwischen Ausgleichszahlungen für als systemrelevante Gruppen geltende Berufe wie Ärzte, Physiotherapeuten die sich am vorherigen Einkommen orientieren. Das kann nicht sein, dass solche Regelungen nur für lobbystarke Berufsgruppen geltend gemacht werden.

Jeder Einzelne, der in diesem Land durch seinen kleinen Betrieb oder seine künstlerische Arbeit einen Teil beiträgt, ist systemrelevant. Eine funktionierende Gesellschaft besteht aus vielen kleinen Rädchen im Getriebe und nur so kann es funktionieren. Es ist ein solidarisches System, wenn man es richtig angeht. Und das wäre in dieser Zeit enorm wichtig, damit es uns nicht spaltet und noch politikverdrossener macht, als viele ohnehin schon sind, die dann gern mal nach einem starken Führer rufen. In dieser Zeit liegt die Chance Vertrauen zu schaffen. Wird das nicht erreicht öffnet man Tür und Tor für andere Kräfte, denen wenig am Erhalt unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung liegt und denen diverse und vielfätige Kultur, die sich frei und offen äußert und einen wichtigen Beitrag in dieser Gesellschaft leistet, herzlich wenig bedeutet. 

In der Hoffnung auf eine gute Lösung und ein Einsehen, Christina Lux.

Siehe auch Hazel Rosenstrauch in unserer April-Ausgabe: Wir sind systemrelevant #Covid-19