Geschrieben am 10. Oktober 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Carlos Krimischmiede

Eingepellte Narren

Folgen Sie auch heute wieder Carlo Schäfer in seine Krimischmiede, in der er auf dem Wahnsinn der Welt herumhämmert, auf dass die Funken sprühen …

„Wie kommen Sie denn auf Ihre Ideen?“, fragen die Wohlmeinenden nach Lesungen, die anderen fragen zornig, woher ich so viele schmutzige Wörter kenne. Es handelt sich um morphologische Exotika wie „Arschloch“, „Wichser“, „Drecksau“ – unfassbar, dass man die versteht und gleichzeitig Abitur hat! Wenden wir uns also lieber den Wohlmeinenden zu. Deren Frage liegt ein Missverständnis zugrunde: Der Schreiber als hermetischer Welterschaffer? Nix da, der Schreiber ist wohl eher schwach darin begabt, hermetisch zu sein und also dazu verurteilt, aus dem ganzen Müll, der ihm ins Leben plumpst, etwas zu machen. Anders gesagt: Oft habe ich keine Ideen, sondern bekomme zu meinem Bedauern und fortwährenden Leid welche aufgedrängt. Ein Beispiel? Aber gerne:
Der Blick meines Freundes flackert, seine Wangen sind hohl, seine Haut schimmert fahl wie ein Fischbauch. Offensichtlich ist er krank. Schweinegrippe? Rasch wird klar: Pandemie stimmt, die Krankheit nicht. Es ist schlimmer als vermutet.

„Ich bin so fertig!“, heult mein Freund. „Ich fahre Rad in einer Staffel – beim HEIDELBERGMAN. Hab’ grade trainiert“, wimmert er. „Triathlon“, ergänzt er noch senil. Auch er also: Verloren! Triathlon: Eine Meute in Neoprenanzüge gepresster Menschen findet sich im bereits schwülen Morgengrauen ein und sieht ein bisschen aus wie ein Bochumer Avantgardeballett aus den 80ern. Ein Schuss ertönt und alle schwimmen flussabwärts. Hierbei wird getunkt und getreten und wohl auch ersäuft, dass es eine Art hat.

Die im Fluss befindlichen Salmonellen werden ignoriert – völlig zurecht. Bis die eingepellten Narren ihre Anzüglein vollscheißen, sind sie ja nicht mehr im Wettbewerb. Denn längst haben sie – unter neuerlichem Gedränge und Geschiebe – an die Radfahrer übergeben, dieses einfach nur noch tragisch zahlreiche Terrorpack, das sich seit Jan Ulrich oder dem letzten Hausarztbesuch auf scheißteueren Rädern über die Bundesstraßen quält und mit der letzten Luft Autofahrer beschimpft, ohne deren Existenz sie allerdings gar nicht sein könnten. Jeder Schotterweg risse ihre Heliumpneus in tausend Fetzen, triebe ihnen Karbongestänge in die Eingeweide.

Schlussendlich die Läufer: Grade vom letzten Halbmarathon genesene Gelenkkranke beiderlei Geschlechts. Nicht selten vor lauter Gesundheit am Sport versterbend.
Was er sich von seiner Teilnahme erhoffe, frage ich meinen Freund.
Er dürfe nicht aus der Wertung fallen. Sonst war alles nichts, der Schwimmer und die Läuferin wären dann praktisch durch ihn ums Finisher-Trikot gebracht, um die Erinnerungsplakette, um die ehrenvolle Speicherung im Internet …

Ich kenne die Läuferin, sie ist seine Frau. Ein schönes Bild: Mein Freund eiert zu spät zur letzten Übergabe, womöglich aus tausend Wunden blutend, weil er bergab noch einmal alles riskiert hat, und erhält von seiner Liebsten wortlos eine schallende Ohrfeige, weil es mit dem 370. Platz nun nichts wird. Mein Freund nickt traurig, genauso würde das dann sein.

Bald darauf treffe ich seine Frau. Sie ist in Sorge, er nehme das alles zu ernst, fresse nur noch Leinsamen, pflege weit über das erotisch Erträgliche hinaus sein Gesäß mit Pferdefett und er dope wohl auch schon, zumindest nähme er ein Präparat der Uni Freiburg und wolle darüber nicht sprechen.

„Ich will nur nicht Letzte werden, das ist alles“, sagt sie. „Ansonsten nehme ich das ganz locker.“

„Und wenn du Letzte wirst?“ Als Antwort ertönt ein einziges trockenes Schluchzen, den restlichen Weinkrampf verkneift sie sich tapfer. (Es handelt sich wohlgemerkt um kluge, liebenswerte, weitgehend gar gute Menschen im fünften Lebensjahrzehnt!)

Ich habe meinen Freund neulich zu Gast gehabt. Er hat am Salat geknabbert, eine Nudel geküsst, dem Fleisch zugewinkt, das Weinglas behaucht. Die Woche darauf wurde er Vorletzter.

Und also möchte man gerne mal einen Krimi schreiben, wo der Sport in seiner heutigen gesellschaftlichen Wertschätzung als der klebrige Religionsersatz geehrt wird, der er ist. Wo man nach 250 Seiten einfach die Walkingstöcke wegwirft, sich für sein buntes, atmungsaktives Radlershirt zünftig schämt, mal wieder über was anderes als die Pulsfrequenzen und Zeiten redet und vor allem Massenveranstaltungen des Bodyismus abschwört. Man stirbt dann vielleicht früher, geschenkt, aber man hat noch ein bisschen Würde bis dahin.

Das Opfer, der Mörder, die Ermittler, der falsche Verdächtige, die junge Russin, mit der der Kommissar seine Frau betrügt, sie alle wären dumm wie Affenscheiße und begeisterte Ausdauersportler, Finisher-T-Shirtträger, Pasta-zur-Unzeit-wg.-Training-Fresser.

Der Fall würde aufgrund der Blödigkeit des Personals übrigens auch nicht gelöst, stattdessen wird der Leser mit hundert Seiten Scheinshowdown während eines Volkstriathlons gequält und alleine gelassen. Schließlich kauft der Leser das Buch ja gar nicht, sondern macht Sport.

Also ist es keine gute Idee.

Carlo Schäfer