Geschrieben am 2. Februar 2010 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Carlos Krimischmiede

Humbadumpfballera

Folgen Sie auch heute wieder Carlo Schäfer in seine Krimischmiede, in der er auf dem Wahnsinn der Welt herumhämmert, auf dass die Funken sprühen. Das passiert regelmäßig alle 14 Tage … Heute beschäftigt er sich mit letzten Dingen, also mit der Frage: Was ist ein Krimi?

Als mein Sohn noch klein war, war wohl irgendwas Neuronales noch nicht hundertprozentig verknotet – jedenfalls konnte man ihn auch dann ansprechen, wenn er schlief und erhielt so manche interessante Antwort. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht, denn ich bin immer vor ihm im Bett und es empfiehlt sich nicht, den sportlichen Einsneunziger morgens vor 16 Uhr in seiner Kemenate aufzusuchen, man könnte ihn versehentlich wecken und erlitte dann das Schicksal von Roy, dem von Siegfried und Roy, dem der weiße Tiger ins Hirn gebissen hat.

In jenen fernen Zeiten, als ich noch stärker war, fragte ich ihn einmal: „Kennst du den Sinn des Lebens?“

Der schlafende Sechsjährige nickte.

„Wie lautet er?“

„Awelligll-löff-löff-grunz.“

Es wäre auch ein bisschen einfach gewesen.

Was hätte er wohl geantwortet, hätte ich ihn gefragt: „Was ist ein Krimi?“

Vermutlich: „Humbadumpfballera.“

Und hätte damit, als Kommentar zur Frage, vollkommen recht gehabt. Wir wissen ja bei vielem nicht, was es ist, und kommen mit den schwammigen Begriffen dennoch klar: Wir wissen beispielsweise nicht genau, wann ein sprachliches Agieren anfängt, ein Gespräch zu sein. Die strenge Definition wäre: Wenn einer redet und jemand hört zu.

Mithin wäre das Kommando: „Feuer!“ im Rahmen einer Exekution ein Gespräch.

Etwas weiter gefasst: Einer sagt was, jemand antwortet:

„Arschloch!“ – „Wichser!“

Oder auch: „Zahlen, bitte!“ – „Ja.“

Stellt irgendwie auch nicht so ganz zufrieden.

Wir wissen weiterhin nicht, was ein Text ist. Ab zwei Sätzen?

Dann wäre dieses sprachliche Gebilde, das Sie gerade lesen, da es nur aus einem Satz besteht und freilich neben seiner selbstreferenziellen Daseinsberechtigung auch noch darüber belehrt, dass wir noch nicht einmal wissen, wie Papst Benedikt in den Ruf des scharfsinnigen Intellektuellen gelangt ist, der er doch eher wie ein seniler bayrischer Dorffriseur rüberkommt und leider auch agiert, kein Text.

Die radikale Gegenposition, wäre: Alles ist Text. So wir keine in die Jahre gekommene, eitle französische Philosophielaffen oder deren alberne deutsche Kostgänger sind, bleibt das auch dünn.

(Und wie ist eigentlich Günther Öttinger überhaupt irgendwas geworden? Und Guido?)

In Sachen Krimi ist es halt leider grade so verworren.

Muss in einer Geschichte ein Verbrechen geschehen, einfach irgendeines, damit wir sie als Krimi lesen? Mir fällt auf Anhieb kaum ein Buch ein, in dem so gar nichts Ungesetzliches geschieht. Zumindest die Granden der deutschen Gegenwartsliteratur zählten samt und sonders zumindest mit einzelnen Titeln ihres Lebenswerks zu uns Krimiautoren, könnten, ja müssten in die Krimischreibervereinigung Syndikat eintreten, ihren Jahresbeitrag „in kleinen, nicht nummerierten Scheinen“ entrichten … Stopp, stopp, von des deutschen Krimischreibers humoriger Selbstkastration hatten wir es ja schon mal.

Ist’s Krimi ab Mord? Wohl kaum. Ein Buch, das sich mit der mühseligen Ermittlung einer Münzfälscherbande abarbeitete, wäre dann keiner. Grassens Im Krebsgang aber sehr wohl.

Braucht es einen Ermittler? Wenn überhaupt, so spielen ermittelnde Figuren in Patricia Highsmiths Ripleyromanen eine denkbar subalterne, verzichtbare Rolle. Auch bei Agatha Christies Last Weekend wird nix ermittelt, aber alles umgebracht. Und es gibt noch mehr Beispiele, aber ich habe jetzt eigentlich keine Lust mehr, welche zu suchen.

Es bleibt wohl bei: Humbadumpfballera. Oder aber raffiniert, ja talmudisch: Ein Krimi ist ein Buch, auf dem Krimi steht, weswegen es dann auch gekauft wird, und deshalb steht Krimi drauf.

Ach, wie schön wäre die Welt, gäbe es neben der Etikettierung „Krimi“ eine noch abwertendere, die da hieße: „Rauni“. (Für die Doofen: Für alles was raunend, tiefgängerisch und wolkig daherkommt.)

Peter Handke legt mit seinem neuen Buch Serbisches Requiem einen soliden Rauni vor, wie ihn seine Fans lieben – nichts wirklich Neues, aber das, was er kann!

Ein Altmeister des ausgefeilten Raunis, Siegfried Lenz, meldet sich nochmals zu Wort – unterhaltsam, kultiviert – eben beste Unterhaltung!

In seinem Kurzkrimi Kinder und Wölfe gerät Carlo Schäfer ein ums andere Mal in die Gefahr ins Trivialgenre Rauni abzugleiten …

Alles in Allem: Feuchtgebiete eröffnet dem Rauni eine neue Dimension, man möchte fast sagen, versöhnt zwei – freilich reichlich triviale Genres: Den Rauni und den Schweini!

Bliebe jetzt, um die Sache rund zu machen, noch irgendwas Literarisches, um auch noch „Poldi“ unterzubringen?

Mir fällt momentan nichts Rechtes ein, es sei denn wir verständigten uns, dass „Poldi“, die eher putzige Form des literarischen Verrisses darstellte. Also nicht die Tiraden des greisen R.-R., sondern was eher Niedliches, dem dann auch phonologisch entgegengekommen sei, weg mit dem harten [t] in „poltern“, hin zu – eben „Poldi“:

„…Für die Grammatikfehler (der Genitiv war öfter dem Dativ sein Tod) mache ich den Lektor verantwortlich, er hätte sie zumindest bemerken und korrigieren müssen. Wie es dieser talentlose Autor geschafft hat, mehrere Bücher verlegen zu lassen (bis hin zu Sonderausgaben) und diese auch noch zu verkaufen, ist mir ein Rätsel. Ein quälend langweiliger sog. deutscher Kriminalroman. Das muss man nun wirklich nicht lesen.“

„Da ich in der Nähe von Heidelberg wohne, fand ich es reizvoll in diesem Buch bekannte Orte wieder zu finden. Soweit kam es aber gar nicht, da der Schreibstil des Autors unerträglich ist. Es liest sich einfach nicht flüssig, man stolpert immer wieder über merkwürdige Stellen. Das kann bei experimenteller Literatur interessant sein, aber in Krimis lenkt es von der Handlung ab, stört einfach nur und ist ärgerlich…“

„…Leider schafft es der Autor nicht, die nötige Tiefe zu erreichen, um seine gesteckten Ziele glaubwürdig zu erreichen. Bei vielen Passagen fragt sich der Leser, was sie sollen. Warum z.B. beschreibt der Autor, wie die deutsche Jungstaatsanwältin mit türkischen Eltern, die natürlich stets mit Vorurteilen zu kämpfen hat, beim Masturbieren im Wohnzimmer von dem jungen Mädchen ‚erwischt‘ wird, deren Mutter Alkoholikerin ist und um die sich sich die Staatsanwältin daher kümmert … ? Peinlich.“

Doch, doch, mal mindestens diese drei (scheu in ihrer originalen Diktion und Orthographie belassenen) Amazonrezensionen meines Erstlings Im falschen Licht zwingen ihn geradezu mäeutisch ans Licht: den Poldi.

Und dass diese ganzen i-endenden Wörter eklig sind, darüber müssen wir uns ja gar nicht verständigen. Der Sportreporter Jürgen Ehmig nannte einst das deutsche Tischtennisdoppel Rosskopf und Fetzner „Speedy“ und „Rossi“. Jetzt ist er im Knast. Recht so.

Zum Schluss was Schönes:

Ein dicker Mann sieht mir zu, wie ich an der Bushaltestelle ein Brötchen esse. Er sagt: „Guten Appetit!“ Ich danke.

Er betrachtet mein Brötchen und sagt: „Man braucht’s halt manchmal für den seelischen Ausgleich.“

Ich liebe ihn.

Carlo Schäfer