Geschrieben am 20. Oktober 2012 von für Carlos, Crimemag

Carlos

Man kann den ansonsten recht scheuen Carlos in seltenen Momenten auch live erleben. Bei Lesungen. Das geht manchmal schief und manchmal sogar überraschend gut – Carlos erzählt:

Ich hatte am Wochenende mal wieder eine Lesung …

Und auf dieser Lesung las ich zwei Kurzgeschichten vor. Ganz. Eine Mitveranstalterin rief danach die Menschen auf, meine Bücher zu kaufen: „Damit Sie wissen, wie die Geschichte ausgeht.“

Da keimte in mir zart der Wunsch, einfach einmal die Veranstalter von Lesungen zu preisen – vielleicht aber auch den ein oder anderen Vorschlag zu machen, was man tun könnte, um immer mehr gepriesen zu werden.

Zunächst: Gebenedeit seiet ihr ja alle, liebe Veranstalter, denn ihr holt uns einsame Autoren aus unseren düsteren Schreibstuben, beschert uns ein wenig Ehre und Applaus, schließlich sogar etwas Geld, das wir mehrheitlich ganz gut brauchen können. Die meisten von euch sind höflich und zuvorkommend, so ab und an befindet sich auch ein schwarzes Schaf unter euch – geschenkt.

Was aber möglicherweise nicht so geschickt ist:

Dem Autor, der sich damit schwer tut, eine halbe Stunde als Ausstellungsstück vor den sich allmählich füllenden Reihen zu sitzen und nichts tun zu können, als das eigene Buch zu lesen, als Rückzugsort nur einen begehbaren Schrank ohne Sitzgelegenheit anzubieten. So geschehen (wo sonst?) in meiner Heimatstadt Pforzheim.

Es ist auch nicht so gut, einen Autor einzuladen, den man gar nicht leiden kann. Was soll man sagen, wenn man in einer Buchhandlung liest, deren Betreiber einem vor der Lesung sagt: „Ich gehöre nicht zu Ihren Lesern.“

Schade? Entschuldigung? Gib’s mir, mein süßer Teufel?

Da der Autor ein Säugetier ist, das mag man mir ungeprüft glauben, ist er auf Flüssigkeitszufuhr angewiesen. Hier ist eine gewisse Großzügigkeit mitunter hilfreich: Bei den – ich nenne sie mal so – Knallmattenhüttentaler Krimitagen waren das mal für sechs Lesende vier kleine Mineralwasserfläschchen an einem schwülen Hochsommerabend.

Liebe Veranstalter, auch Sachgeschenke sind etwas Nettes. Wer aber glaubt, mein Ego benötigte es, von jeder meiner Lesungen ein Plakat, am Ende mit meinem eigenen Kürbiskopf drauf in meinen Spind hängen zu haben, der irrt.

Und ganz zuletzt: Licht. Licht ist zum Lesen eine enorme Hilfe, zumindest für alle der Brailleschrift Unkundigen. Wenn dann noch ein Tischlein und ein Stühlchen drin sind, statt des roten Sessels, in dem man kaum Luft bekommt, oder des kargen Stehpultes für 1,75 m Große (ich bin 190 m groß und neige zu Rückenschmerzen), dann steht dem allseitigen Vergnügen nichts mehr im Wege!

Und die allerschönste Lesung war: hier.

Image by Alfred Hutter

Es ist schon ein paar Jahre her, aber unvergesslich …

Der Inhaber persönlich und ein Angestellter waren in der ansonsten leeren Buchhandlung, als ich  eine Stunde vor der Lesung eintraf. Die Herren standen – von einem Postkartenrollregal kaum getarnt – am Kassentresen und verzehrten knusprige Minifrühlingsrollen aus Tüten. Noch vor der offiziellen Begrüßung wurden mir die asiatischen Leckereien selbstlos angeboten, verbunden mit dem Ausdruck des Bedauerns, dass der Sekt leer sei. In der Tat: Zwischen den gutgelaunten Zweien stand eine leere Flasche Rieslingsekt, kein Piccolo oder sonst eine Damenportion, 0,75 Liter. Er hole mir aber „sofort“ Wein, beeilte sich mein Gastgeber die vermeintliche Scharte auszuwetzen. Ehe ich auch nur etwas sagen konnte, war er schon in sein Büro geeilt und mit zwei Litern vorbildlich gekühltem Weißburgunder und drei Weingläsern zurückgekehrt. Ich war in der Pfalz, erinnerte ich mich. Ich mag die Pfalz.

Muss man betonen, dass dieser lebensfrohe Herr in Sachen Rückzugsort, Tisch, Stuhl und Licht tadellos vorgesorgt hatte? Muss man ferner noch betonen, dass dies nicht einfach ein Mann, sondern ein Ehrenmann war?

Und doch unterlief ihm ein Fehler: Nach ein, zwei Gläsern des erfrischenden Rebensaftes bat ich für die Lesung um eine Flasche Wasser.

„Wasser!“, er schlug sich an die Stirn. „Ich hab kein Wasser. Ich ruf meinen Sohn an.“ (Ehrlich alles wahr!)

Auch familiär hatte mein neues Idol alles im Griff und schon bald wurde das ihm fremde Getränk kistenweise angekarrt.

Die Lesung selbst war dann sehr angenehm – das lag natürlich an meiner feinen Prosa und dem einen oder anderen in dieser verwobenen Scherz, mindestens genauso aber am jetzt wie entfesselt Wein ausschenkenden Hausherrn. Diskret und trotz einer mäßigen Leibesfülle wieselflink, schaffte es der zu Preisende innerhalb einer Stunde, 50 Zuhörerinnen und Zuhörer, mehrheitlich Senioren, mitten im Winter in einen Zustand polynesischer Heiterkeit hineinzuspendieren.

Im noch geselligeren Teil nach der Lesung ließ er die Flaschen dann wandern und setzte sich prächtig gelaunt unters Volk. Wie abgesprochen, wies er darauf hin, dass ich auch gerne noch Bücher signieren würde, verwechselte mich allerdings namenstechnisch mit meiner Hauptperson: „Der Herr Theuer unterschreibt Ihnen auch noch Bücher, wenn Sie wollen!“

„Ich heiß Schäfer!“

„Sin se mal net so kleinlisch!“

Schließlich, da waren nur noch meine Frau und ich da, sah ich einen Stapel des neuesten Harry Potters und fragte meinen neuen Freund launig, ob ich den auch durchsignieren solle. Daraufhin hieb er mit kräftig auf die Schulter und brüllte: „Jetzt werre se mal net größewahnsinnisch!“ Nur, um mich dann aber auch gleich zu umarmen und mir zärtlich zuzuraunen: „Mit Ihne macht des Spaß!“

Das Honorar war in einem blütenweißen Umschlag, der Quittungsblock, der Stempel waren bereit und bevor wir das Geschäft verließen, drückte uns dieser großartige Mann noch jeweils einen Liter vom Weißen unter den Arm: „Den könne se jetzt daheim ganz in Ruh trinke!“

Das taten wir, an Leib und Seel verwöhnt!

Carlo Schäfer

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