Ganz einfach – Wir lernen bei Carlos, wie das Leben tickt. Endlich!
Freunde,
das fängt jetzt etwas wirr an, aber das stehen wir gemeinsam durch – zur Belohnung erkläre ich am Schluss auch, wie das Leben tickt.
Beziehungsweise Töff erklärt das – aber hierzu später.
Mäuse. Plötzlich waren auf meiner beschaulichen Terrasse abscheuliche verseuchte Zwergratten, verniedlichend „Mäuse“ genannt. Ich beschloss augenblicklich diese zu töten.
Dafür bin ich aber einfach zu feige – jedoch gibt es ja Schädlingsbekämpfer.
Der Herr, der mich dann, wie versprochen, „diskret“ besuchte, sah eigentlich eher aus wie ein armer Siebenbürger Spitzenlyriker, aber er war ein Meister seines Fachs. Und lernen durfte ich auch etwas: „Ratten haben einen Schließmuskel, Mäuse nicht.“
Insgesamt hat er auch Wort gehalten, doch, doch, die meisten Schadnager ziehen sich zum Sterben ins Unterholz zurück und ersparen uns verzärtelten Naturen den Hauch dessen ohne Namen. Die meisten zumindest. Bis auf eine.
Als ich eines Morgens fröhlich mit Kaffee, Kippen und zweierlei Dauermedikamenten meine Terrasse betrat, saß auf deren Boden gut sichtbar ein kleines, braunes Ekelpaket und wollte penetrant beim Sterben betrachtet werden. Ich versuchte durch eher hilflose Aktionen das Ding zu verjagen (Ja doch, Gutmenschen – nicht jeder taugt zum Tierhospizbetreiber!) Immer wieder kam es angewackelt, schaute vorwurfsvoll, peitschte mit dem Schwänzlein, schlief ein wenig, starb aber nicht.
Schließlich habe ich das Tier (sanft!) mit dem Besen erschreckt – dann war erst mal Ruhe.
Bis meine Frau schrie, am nächsten Tag.
Die moribunde Maus hatte es nur hinter die Gießkanne geschafft und war infolge der schwülen Witterung und infolge derer entfesselter Kerbtiere nicht mehr ganz hübsch. Heldisch trug ich sie zur Mülltonne. Zwischendurch ist sie mir auch noch runtergefallen. Ein echtes Hausbesitzerschicksal.
So was nimmt mich mit. Aber die Amselgrippe ist schlimmer. Vor sechs Jahren ist sie in Wien entstanden, letztes Jahr kam sie in Heidelberg an. Befallene Amseln werden apathisch, fliegen nicht mehr, sterben.
Kaum hatte ich Mausschuld und -trauma überwunden, schaute mich eine lethargische Amsel an. Eigentlich wirkte sie ganz cool, wir standen uns in der Position wildwestlicher Duellanten gegenüber und sie schien zu sagen: „Du bist größer und ich bin heute auch etwas angeschlagen, aber ich bin ein zähes Ding!“
Dann starb sie und ich entsorgte den zweiten Kadaver.
Und alsbald kam der Schornsteinfeger. Ein Mann, um den ich bei jedem Hausbesuch beträchtlich werbe, ihn mit einem Tässchen Kaffee und einem leicht geheuchelten Interesse an seinen beruflichen und sonstigen Verrichtungen ancharmiere, auf dass er bloß den Nachbarn nicht petzt, dass unser Schornstein nach der neuesten Emissionsordnung 12 eigentlich einen Meter höher gehörte, wenn wir in unserem Ofen ein Feuerchen entfachen.
Diesmal gerieten wir beim Plaudern in die spektakuläre Besprechung der Frage, ob wir wohl als Greise noch selbst würden mähen können.
Mein kluger Feger verwies auf die immer besser und billiger werdenden automatischen Rasenmäher, kleine, putzige runde Gesellen, die uns das dann abnehmen würden.
„Wir Deutschen sind irgendwann kaputt. WEIL WIR BERUFLICH WAS REISSEN WOLLEN! Spanier wollen das nicht.“ (Was das alles miteinander zu tun hat? Moment bitte, wir sind gleich so weit!)
Kurz darauf mähte ich tatsächlich den Rasen. Ich hatte die sogenannte „Mulchfunktion“ eingestellt, die das Gras pulverisiert, was auf die Dauer den Rasen erstickt, was mir aber scheißegal ist, fast alles ist besser als schwitzend Heu in die stinkende Komposttonne zu drücken. (In der sich überdies zu dem Zeitpunkt noch meine extrovertierte Sterbemaus und die Wildwestamsel befanden.
Leider bemerkte ich nun einiges zu spät:
- 1. Da war noch eine tote Amsel.
- 2. Sie war nur halb da. Demnach hatte
- 3. jetzt eine Nachbarskatze Amselarschgrippe. Vor allem aber:
- 4. soeben hatte ich sie vermulcht.
Und jetzt wurde ich einfach hysterisch – aber es ist ja bei Künstlern oft so, dass es einer Krise bedarf, um das schöpferische Potential abzurufen.
Da war er: Der Regio- Global- Nischen- Polit- Apocalypsen- ALLESKRIMI!
Und der geht so:
Ein Familienvater im beschaulichen, liebevoll und humorvoll geschilderten Heidelberger Stadtteil Schlierbach ist, infolge einer Amselgrippeninfektion, zu apathisch zum Rasenmähen. Seine beste Frau der Welt überrascht den Apathischen mit einem automatischen Rasenmäher neuester Machart mit Namen „Cutty“. Dieser erregt den Sozialneid der Familie Bronkov nebenan, die an sich keine schlechten, aber doch sehr enttäuschte Spätaussiedler sind. Der missratene, hochintelligente Sohn Wladimir baut einen Roboter, der Cutty angreift.
Doch Cutty gewinnt den Kampf und wird der Star des Viertels!
Das macht Wladimir vom schweren zum hoffnungslosen Trinker – er verfällt rasch und stirbt.
Aus Gram verliert Vater Ipolit den Verstand und beginnt Ratten zu züchten, um den mittlerweile verhassten Stadtteil in den Ruin zu treiben. Das ruft Neonazis auf den Plan (getarnt als Schornsteinfeger längst vor Ort!), die das Haus des Spätaussiedlers schleifen. Es kommt zu überregionalen Straßenschlachten. Die nahe Stadt Ludwigshafen, überfordert wie immer, fackelt sich ab, um die Ehre der Frauen und Kinder zu retten.
Washington meldet sich, die Kanzlerin beschwichtigt.
Und tatsächlich – der im Stadtteil unauffällig wesende stumme jüdische Autistenknabe Töff Levi scheint zum Held zu werden. In unfassbarer Präzision schießt er mit seiner davidischen Steinschleuder eine Ratz nach der anderen ab, CIA und BND buhlen bereits um den Savant. Das sieht man in Bagdad nicht gerne – der Radau, die Selbstzerfleischung und Verseuchung des Westens war einem ja schwer entgegengekommen. Kurzerhand lässt man Töff durch ein befreundetes Taliban-Team aus dem Schwarzwald entführen und in die Wüste verbringen.
Dort gefällt es Töff eigentlich ausgezeichnet, denn er zählt fürs Leben gerne Sandkörner, dennoch schlägt Israel hart zurück und radiert Bagdad aus. Grass triumphiert öffentlich („Wer hatte recht?“) und das gefällt einigen jungen Menschen mit Migrationshintergrund gar nicht. Der Bürgerkrieg zieht übers Land, schwappt nach Osten, ärgert den russischen Präsidenten und das Geballer wird zunehmend globaler.
Das Ende der Welt, wie wir sie kannten, bleibt aber dem Kirchstaat vorbehalten. Von niemand bemerkt, wiewohl ja nur wahrscheinlich, hat sich nämlich der Vatikan in irgendwelchen geheimen Afterkammern des Opus Dei selbst mit Atomzeug versorgt, das nun, im allgemeinen Durcheinander von restlos behämmerten, dement vor sich hintatternden Exknabenschändern versehentlich komplett hochgejagt wird.
Der Schluss: Cutty findet Töff. Dieser begegnet, auf Cutty reitend, einem gelähmten arabischen Mädchen. Sie spielen im Licht der untergehenden Sonne Gummitwist. Sie sitzen einander gegenüber.
„Da tickt doch etwas!“, sagt das Mädchen.
Das Wunder geschieht, Töff spricht: „So tickt das Leben.“
Carlo Schäfer
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