Geschrieben am 2. Juli 2011 von für Carlos, Crimemag, Kolumnen und Themen

Carlos

Unter Lehrern, im Eselpark, im Wahnsinn – Carlos zum Ferienbeginn:

Ich habe Post bekommen!

Von Lehrer G. aus Hamburg. Zuvor hatte er mir schon freundlich gemailt, dass er mit einer Literatur AG einen meiner Jugendkrimis behandle und um meine Privatadresse für Leserbriefe seiner Schüler bitte – das ist ja durchaus nett und ich zögerte nicht, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Gestern war der Brief da.

Hier sind – leider nur sehr wenige – Buchkritiken zu Ihrem Roman „Schattendasein“ von Schüler/innen des Wahlpflichtkurses Literatur Jahrgang 7. Die Jungen und Mädchen, die hier nicht vertreten sind, fanden den Roman überwiegend nicht gut. Nur wenige äußerten sich positiv.

Bereits hier kann man ein bisschen ins Grübeln geraten, warum mir Lehrer G. bei der Übersendung von kindlichen Leserbriefen mitteilen muss, was Kinder meinen, die gar keine kindlichen Leserbriefe geschrieben haben. Irgendwie verblüffend – Lehrer G.s Anschreiben bleibt eines der verblüffenden Sorte:

Ich muss sagen, dass auch ich nicht wirklich überzeugt bin von Ihrem Buch.

Au weh! Schade. Ich dachte zwar, es ginge um Briefe von Kindern, aber…

Es mag natürlich sein, dass 12/13-Jährige zu jung für Erzählweise und Inhalte von „Schattendasein“ sind. Ich glaube jedoch, das ist nicht der Punkt.

Das glaube ich auch nicht, meine Verfehlungen müssen gravierenderer Natur sein.

Ich empfinde den Roman zwar als sehr gut „ausgedacht“ und konstruiert – aber in seiner Umsetzung (Sprache, Personen, Handlungsverlauf, Erzählstrukturen) wirkt Ihr Werk (Werk!) auf mich „künstlich“, nicht überzeugend, nicht authentisch.

Dann meint Lehrer G. noch, dass es ihm leid täte, mir kein besseres Feedback geben zu können.

Es folgen fünf überwiegend negative Rückmeldungen seiner gehorsamen Schulkinder.

Soweit so was? Sagen wir mal: Auch mir tut etwas leid, nämlich das Lehrwesen G. Wenn er mein Buch so schlecht findet, warum hat er es denn dann einem Literaturkurs aufgezwungen, warum hat er nicht wenigstens dann, als Kinder und Lehrer einmütig die mangelhafte Qualität meines „Werks“ erkannt hatten, die Lektüre zugunsten von Fix und Foxi, Freibad, Kreideschlacht, Flaschendrehen und Fummelwalzer, eben einfach von irgendwas abgebrochen?

Und weitere Fragen drängen hinter der Brust: Warum setzt Germanist G. „ausgedacht“ in Gänsefüßchen? Fürchtet er, dass „denken“ im Zusammenhang mit mir grundsätzlich der falsche Ausdruck ist? Auch das Adjektiv „künstlich“ zwingt er in Anführungszeichen – damit ich es und mein Buch nur ja nicht mit Kunst verwechsle? Und schließlich, warum endet seine überraschend destruktive Kontaktnahme dann auch schon wieder? Ich hatte mich gerade dran gewöhnt!

Vorschläge hierzu:

Auch meine Frau, die als Kinderpsychologin tätig ist, kam zu einem vernichtenden Urteil.

Alternativ: Meiner Frau hat’s gefallen, aber der gefalle auch ich.

Knapper, knackiger: Mein Sohn hasst Sie! Und der Hund. Beide sind hochbegabt.

Oder doch lieber uneitel-professionell: Verschiedene Kollegen/innen fanden den Roman geradezu abstoßend und möchten Ihnen das mitteilen, so würde ICH, Großlehrer G., das niemals formulieren, das wäre ja unhöflich – trotz der deutlichen Schwächen von Sprache, Personen, Handlungsverlauf, Erzählstrukturen, Zeichensetzung, Schrifttype, Buchgröße, -gewicht, -preis und sowieso -autor.

Ziemlich wahrscheinlich: Möglicherweise war es ein Fehler, das Buch vor der unterrichtlichen Behandlung nicht zu lesen, zumal dies aus Faulheit geschah, aber warum soll nur ICH, Lehrer G., dafür bezahlen? Geteiltes Leid ist halbes Leid!

Vielleicht aber auch: In Ihrem Werk (Werk!) kommt ein Lehrer vor, der ein Arschloch ist – und der ähnelt mir so fatal, dagegen musste ich einfach vorgehen. Und wie Sie sehen, hat das geklappt.

Nun denn, weil wir gerade bei Norddeutschland sind:

Entdecken und erleben Sie die große Welt der Esel! – so wirbt für sich der Eselpark Nessendorf. Er sei, verkündet der Flyer weiter: Einmalig in Deutschland, beherberge über 100 Esel. Und: Das ganze Jahr über finden im Eselpark Seminare über Eselbasiswissen […] statt! [Da] wir bei der Zucht u. a. besonderen Wert legen auf eine raumgreifende Vorderhand und eine unter dem Schwerpunkt tretende Hinterhand“, seien die Esel aus Nessendorf „sehr lauffreudig und lernbereit.

Man kann selbstverständlich dort auch Esel kaufen, man kann aber auch noch viel mehr:

Den Möhrensonntag genießen: Jede Familie (bis vier Personen), die 10 kg Möhren mitbringt, hat freien Eintritt in den Eselpark. (Zehn Kilo!)

Den Blaue-Augen Sonntag genießen: Jede Person mit blauen Augen hat freien Eintritt in den Eselpark.

Und was könnte sich hinter der Ankündigung des Blonde-Haare-Sonntags verbergen? Richtig!

Jede Person mit blonden Haaren hat freien Eintritt in den Eselpark.

Es gibt noch andere Sondersonntage, der Arier-Nachweis-Sonntag ist erleichternderweise nicht dabei, nein, Familie August (Meike, Friedrich, Hinnerk, Nicole, Eckart und Jutta) möchte seit 35 Jahren nur eins, das Vorurteil vom sturen Esel abbauen.

Hierzu dient auch die Deutsche Juniorenmeisterschaft im I-AAH-Rufen, an der bisher bereits mehr als 10000 Kinder teilnahmen.

Am 13. August ist das große Finale mit der Musikgruppe Pohnsdorfer Kraniche.

Diese letzte Ankündigung ist dann aber doch enttäuschend. Pohnsdorfer Kraniche! Da müssen die Nessendorfer Eselboys ran oder von mir aus I-ACDC!

So. Warum schreibe ich jetzt so viel über Esel, wo ich doch eigentlich über Lehrer G.s Zusendung nachdachte? Wahrscheinlich eben, weil beides in norddeutsch ist, doch, doch, das muss es sein …

Lieber Herr Schäfer! (rotes Ausrufezeichen von Lehrer G. ergänzt)
Ich fand den Anfang spannend, aber/auch (durch senkrechten roten Strich von Lehrer G. getrennt) langweilig. Ich fand, dass das Buch ein Buch ist für die, die ziemlich gerne lesen. Das Buch „Schattendasein“ fand ich nicht interessant, aber auch ein bisschen interessant. Es war aber auch ein bisschen witzig und lustig.

Diese vielleicht nicht gerade überstrukturierte, aber doch liebenswerte Einschätzung eines Jungen bedurfte eines roten Korrektivs durch meinen neuen Lieblingslehrer:

Das ist eine rätselhafte Buchkritik – was soll der Autor daraus für Schlüsse ziehen?

Demnach könnte mich alles andere sehr wohl belehren, und das, was dies nicht kann, schickt er mir trotzdem …

Tja.

Eselbasiswissen.

Sollte wohl einen Kurs machen.

Carlo Schäfer

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