Geschrieben am 21. Januar 2012 von für Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– handlich & roh angerichtet von Lena Blaudez (LB), Joachim Feldmann (JF) und Thomas Wörtche.

Mein lieber Max

(LB) „Adressat unbekannt“ von Kressmann Taylor ist ein fiktiver Briefwechsel zwischen zwei Freunden, dem amerikanischen Juden Max Eisenstein und dem Deutschen, Martin Schulse, geschrieben zwischen 1932 und 1934. Max führt in San Francisco die gemeinsame Kunstgalerie weiter, während Martin nach München zurück geht und Karriere macht. Sie wechseln relativ wenige Briefe, jeweils nur ein, zwei Seiten. In diesen kurzen Zeilen entwickelt sich eine innige Freundschaft zur tödlichen Feindschaft. Es ist die Geschichte eines gierigen charakterlosen Mitläufers, der buchstäblich über Leichen geht, um seiner Karriere aufzuhelfen. Und es ist die Geschichte einer ebenso raffinierten wie wirkungsvollen Rache.

Selten ist mit so wenigen Worten so viel gesagt worden. 60 Seiten, die einen durchschütteln. Eine starke Charakterstudie und in knappe Sätze gegossener Zeitgeist. Ein enormer Spannungsbogen, paradoxerweise verschärft durch den Briefschreibstil. Ein Ende, das einem den Atem verschlägt. Grandios!

Hellsichtig von einer ansonsten Unbekannten 1938 verfasst, sorgte die Geschichte schon bei Erscheinen für Aufsehen, ebenso 1992, als sie Story noch einmal abdruckte. Heute ist sie ein Klassiker, ein Geniestreich.

Kressmann Taylor: Adressat Unbekannt (Original: Adress unknown). Deutsch von Dorothee Böhm (erste Veröffentlichung im „Story Magazin“, New York 1938). Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag  2011. 64 Seiten. 5,99 Euro. Verlagsinformationen zur Autorin und zum Buch.

Zur Homepage von Lena Blaudez.

Deutscher Klassiker

(JF) Sein Debütroman „Und dann habe ich geschossen“ erschien 1968 in der Reihe rororo-Thriller, damals die beste deutsche Adresse für qualitätsbewusste Kriminalliteratur. In den siebziger Jahren galt Michael Molsner als einer der profiliertesten Vertreter des später gerne, aber nicht immer zu Recht, bespöttelten Sozio-Krimis, dem die aufzuklärende Straftat als Symptom für gesellschaftliche Missstände galt. Drehbücher für „Tatort“ und andere Serien kamen hinzu.

In Molsners neuem Roman „Dich sah ich“ geht es zwar auch um ein Verbrechen und seine Hintergründe, doch im Mittelpunkt steht eine Liebesgeschichte.

In einem Krankenhaus wartet der Journalist Michael Raty darauf, seine auf der Intensivstation liegende langjährige Geliebte Charmaine, die bei einem Terroranschlag schwer verletzt worden ist, besuchen zu dürfen. Und er erzählt uns – dabei die bewusstlose Frau adressierend – von einer leidenschaftlichen Beziehung, die Ende der fünfziger Jahre an einem Münchener Gymnasium beginnt, als der siebzehnjährige Raty und die um einige Jahre ältere Deutschreferendarin zusammenfinden, und später, als beide bereits in einem ganz anderen Leben stecken, ihre Fortsetzung findet. Nichts scheint dieser Liebe etwas anhaben zu können, auch wenn sie ohne eine gemeinsame Perspektive im herkömmlichen Sinne bleibt.

Michael Molsners deutlich autobiographisch grundierter Roman ist ein von der Aufbruchsstimmung der späten sechziger Jahre inspiriertes Plädoyer für die Freiheit der Liebenden, auch wenn deren Konsequenzen schmerzhaft sein mögen. Er schildert eine konkrete Utopie, die auch durch Korruption und Verbrechen nicht beschädigt werden kann.

Am Ende des Buches wird übrigens jemand verhaftet. Der Kriminalfall ist aufgeklärt. Was bleibt, sind die alten Verhältnisse. Und eine unbändige Hoffnung.

Michael Molsner: Dich sah ich. Roman. Münster: Oktober Verlag 2011. 300 Seiten, 14,00 Euro. Zur Homepage des Autors. Verlagsinformationen zum Buch.

Gutes Buch!

(TW) Eigentlich alles richtig und gut. Ein kompakter Sammelband über einen der wichtigsten Filme-Macher, vernünftige Filmographie, vernünftige Einordung, sowohl des Gesamtwerkes in den Kontext „zeitgenössisches Kino“ und der einzelnen Filme in Cronenbergs Werk. Sinnvolle Auffächerung der Themen, brauchbare Einführung von Stiglegger, nette Sammlung von (extended) Darstellungen zu einzelnen Filmen von Fritz Göttler, Dominik Graf, Rudolf Worschech und Co.

Darunter gibt es auch ein paar unfreiwillig komische Teile: Cristina Nord etwa über „Crash“- nach dem kapitalen Roman von James Graham Ballard: „Cronenbergs Film weiß nichts von Ballards Angstlust“, oder Elisabeth Bronfen über „Eastern Promises“: „Das fließende Blut … setzt Cronenberg jedoch nicht nur als religiöse Geste der Opferung ein, sondern ebenso als Chiffre für die gewaltsame Reduktion des Menschen zur Ware, die einer Ausblutung gleichkommt“ Jo … Und dass Bettina Papenburg („Der offene Leib. Zu David Cronenbergs Körperbild“) eine lobenswerte Seminarbeit über Michail M. Bachtin abliefert, ist toll, formuliert aber lediglich Evidentes um: „Die grotesken Körper, wie sie in Cronenbergs Filmen auftauchen, stehen in einem auffälligen Widerspruch zu den ´sauberen, sterilen Körpern der klassischen Cyborg-Imaginationen des Mainstream-Kinos“. Jo …

Aber solche Ausreißer findet man vermutlich in jedem Sammelband. Bedenklicher ist eher, dass bei solchen Unternehmen immer die Filmleute unter sich bleiben, sowieso anderswo die Comic-Leute unter sich bleiben und die Krimi-Leute und die SF-Leute und so weiter … Auch die Populären Kulturen bleiben abgesteckte Gebiete. Schade eigentlich.

Anyway, Stigleggers Cronenberg-Band sollte man schon kennen, wenn man sich für Cronenberg, Ballard, the Dark Side im Allgemeinen und für kluge Filme an der Schnittstelle zu vielen spannenden Themen und medialen Verarbeitungen von Welt interessiert.

Markus Stiglegger (Hg): David Cronenberg. Berlin: Bertz + Fischer (= film: 16) 2011. 316 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von David Cronenberg.

 

Tags : , ,