Bloody Chops –
heute führen das Beilchen Frank Rumpel (rum), Christiane Geldmacher (CG), Joachim Feldmann (JF), Thomas Wörtche (TW) und Henrike Heiland (HH).
Killer beim Camping
(rum) Familienvater und Profikiller, das sind die beiden Leben, die Juan Pérez Pérez unter einen Hut bekommen muss. Im Alltagsmodus gibt er den leidenschaftslosen, etwas trotteligen Pharmavertreter, um im Auftrag seiner „Firma“ Leute zu ermorden. In der Rolle des Familienvaters will er mit seinen Kindern Urlaub machen, doch lotst ihn die Firma in letzter Minute auf einen FKK-Campingplatz, um dort den nächsten Kunden zu beobachten. Die Angaben sind reichlich vage, sodass gleichwohl seine Ex-Frau oder ihr neuer Geliebter, ein Richter, auf der Abschussliste stehen könnten. Auf dem Platz ist auch sein alten Kumpel aus Kindertagen sowie ein weiterer Killer der Firma. Das sind etwas viel Zufälle auf einmal, sodass ihm allmählich dämmert, er selbst könnte das Ziel sein. Diesem Problem kann er sich allerdings nur am Rande widmen, weil er sich Hals über Kopf in eine Frau verliebt.
Carlos Salem, der in Argentinien aufwuchs und 1988 nach Spanien auswanderte, hat mit „Wir töten nicht jeden“ eine ziemlich wilde und schwarzhumorige Geschichte geschrieben, die er mit großer Detaillust inszeniert. Und genau da liegt das Problem. Er trägt gern dick auf und liebt das grell ausgeleuchtete Spielfeld. Das feinnervige Erzählen ist seine Sache zumindest in diesem Roman nicht. Die Geschichte vom Killer, der da als Ich-Erzähler seine Gefühle wieder entdeckt und zwischen den beiden Rollen, die er bisher spielte, zu sich selbst findet, gerät dadurch immer wieder zur plumpen und reichlich absehbaren Klamotte mit Brachialhumor – aber selbst die braucht eben halbwegs glaubhaftes Personal, das Salem nicht liefert. Streckenweise amüsant, alles in allem aber nur genug für einen Tag am Strand, an dem einem die Sonne ungehindert aufs Hirn brennt.
Carlos Salem: Wir töten nicht jeden (Matar y guardar la ropa, 2008). Roman. Deutsch von Ilse Layer. München: dtv 2011. 288 Seiten. 8,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch
Kriminalistik und Sprachwissenschaft
(CG) Das Internet hat seine Tücken für Kriminelle. Allerdings natürlich unbestreitbar auch Vorteile: Man kann Kohle damit machen, sabotieren, erpressen etc. Das Problem: Oft muss man dabei Text hinterlassen. Und Text ist nicht einfach. Text ist verräterisch. Im Grunde müsste man alle Kriminellen warnen, sich nicht ins Netz zu begeben, insbesondere wenn sie der deutschen Sprache nur rudimentär mächtig sind. Denn es gibt solche Leute wie den Sprachprofiler Raimund H. Drommel, die sich die Sprache ganz genau anschauen. Drommel genügen nur ein paar Textsamples, um Täter zu identifizieren. Seit 25 Jahren jagt er Verbrecher anhand von Sprachanalysen. Texte sind für ihn „begehbare Tatorte“.
Jeder Mensch bedient sich einer einzigartigen, unverwechselbaren Sprache, die ihn ebenso exakt identifiziert wie sein Fingerabdruck. Drommel analysiert Erpresser- und Bekennerschreiben, Drohbriefe und -anrufe, Tagebücher, Testamente, Abschiedsbriefe, Mails: im Auftrag von Polizei, Staatsanwaltschaften, Unternehmen, Privatleuten. Früher wurden anonyme Schreiben nur auf herkömmliche Art untersucht: auf die Papierqualität, auf den Schrifttyp der Schreibmaschine, auf die Fingerabdrücke, die Druckstärke etc. Heute befasst man sich linguistisch mit dem Sprachkörper selbst, der geprägt ist durch die Herkunft seines Verfassers, den Bildungsstand, die Wortwahl, regionale Unterschiede. Verräterisch sind insbesondere wiederkehrende Fehler. Drommel klassifziert mit selbst entwickelten Computerprogrammen z. B. Performanzfehler (Fehler im Sprachgebrauch, Flüchtigkeitsfehler), Kompetenzfehler (systematische Fehler in Rechtschreibung und Grammatik), Interferenzfehler (Fehler bei der Überlagerung von zwei Sprachen, d. h., wenn muttersprachliche Strukturen auf vergleichbare Strukturen einer Fremdsprache übertragen werden) etc. Mit einer computergesteuerten Konkordanzanalyse kann er übereinstimmende Formulierungen oder ganze Textteile in kurzer Zeit aufspüren und so nachweisen, dass ein Text A (im Netz) und ein Text B (außerhalb des Netzes, beruflich oder privat) den gleichen Verfasser hat. Schon schnappt die Falle zu.
„Der Code des Bösen“ ist ein lesenswertes, interessantes Buch, mitunter zwar etwas eitel und auch der Titel ist überflüssigerweise marktschreierisch überdreht. Trotzdem: Drommel schärft das Gehör der Kriminalisten für die Sprache und weist auf die Defizite deutscher Behörden hin, verdächtige Texte linguistisch zu analysieren.
Ein Buch nicht nur für interessierte Leser und für Ermittler, sondern auch für diejenigen Kriminelle, denen wir oben schon geraten haben, erst gar keine Texte im Netz zu hinterlassen. Denn die Fehler, die gemacht werden, sind himmelschreiend dämlich. Oder im Gegenteil so subtil, dass sie dem Verfasser entgehen.
Raimund H. Drommel: Der Code des Bösen. Die spektakulären Fälle des Sprachprofilers. Sachbuch. München: Heyne Verlag 2010. 304 Seiten, 16 s/w Abbildungen. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zu Raimund Drommels Webseite.
Ragú
(JF) Wer ein Ragú alla napoletana zubereiten will, braucht eine Menge Zutaten und viel Geduld. Schließlich muss die berühmte Fleischsauce lange köcheln, um so „dick, dunkel, glänzend und sämig“ zu werden, dass es beinahe egal ist, welche Pastasorte man als Sättigungsbeilage wählt. Ein nachvollziehbares Rezept für diese Spezialität findet sich im 35. Kapitel des Kriminalromans „Die linke Hand des Teufels“ von Paoloa Roversi, und das ist schon eines der größten Komplimente, die man diesem Buch, das immerhin einen renommierten italienischen Krimipreis einheimsen konnte, machen kann. Roversi, hauptberuflich Journalist in Mailand, hat sich offenbar bei der Konstruktion seines Debütromans am Ragú-Prinzip orientiert. Möglichst viele Ingredienzien werden unter Hitzeeinwirkung so lange verrührt, bis die einzelne Zutat kaum noch zu identifizieren ist.
In diesem Fall handelt es sich um zwei Schauplätze, drei Fälle, mindestens ein halbes Dutzend Mordopfer, eine gefühlte Fußballmannschaft von Ermittlern und einige Haustiere, darunter ein Gürteltier namens Gatsby. Mitten drin steckt Roversis Held Enrico Radeschi, ein Mailänder Journalist, der mit seinem Erfinder nicht nur das Geburtsjahr, sondern an einer Stelle sogar den Namen teilt. Auf Seite 219 des Romans geht die Identifikation des Autors mit seinem Protagonisten offenbar so weit, dass plötzlich aus „Radeschi“ versehentlich ein „Roversi“ wird.
Die Regeln neapolitanischer Kochkunst lassen sich eben nur sehr begrenzt auf Kriminalliteratur anwenden. Nicht selten ist das Ergebnis, wie man hier leider sieht, nur bedingt genießbar.
Paolo Roversi: Die linke Hand des Teufels (La mano sinistra del diavolo. 2006). Roman. Deutsch von Marie Rahn. 315 Seiten. Berlin: List 2011. 8,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch
Zu bieder für perfide …
(TW) Pseudonyme knacken ist lästig und langweilig; wer sich verbergen will, wird schon seine Gründe haben. Max Landorff ist ein Pseudonym, aber wer auch immer es sein mag: Er, sie, es kann schreiben. Das ist schon mal erfreulich.
Weniger erfreulich ist, wenn der Werbespruch (für den der Autor in der Regel nix kann) so gar nicht mit dem Text in Deckung zu bringen ist: „Der Regler“ so steht auf dem Buch, ist „Der perfideste deutsche Thriller des Jahres“, das gerade mal zur Hälfte rum ist. Und perfide, neeee, perfide ist der Roman wirklich nicht. Dabei ist die Grundidee hübsch – Gabriel Tretjak korrigiert für viel Geld das Leben anderer Leute. Er regelt Dinge wie Karriere und Scheidungen, er nimmt Erpresser aus dem Spiel oder dreht an wirtschaftlichen und politischen Rädern. Eine omnipotente Figur, artifiziell und irgendwo zwischen Ross Thomas‘ St. Ives und Lee Childs Jack Reacher (minus Gewalt). Daraus hätte man was machen können. Aber Landorff baut eine furchtbar betuliche Rachekiste, gibt seiner Kunstfigur eine tiefenpsychologische resp. psychoanalytisch abgesicherte Kindheitsgeschichte und dem Widerpart – wer das ist, ist schnell klar, sobald die Person auftritt – eine dieser Motivationsgeschichten, die man immer so ex post erfindet, um möglichst bizarre Morde möglichst plausibel erscheinen zu lassen. Der Roman ächzt und zittert unter dieser Last. Dazu kommen ellenlange Referate neurophysiologischer und anderer Erkenntnisse, möglichst erlesen beschädigtes Personal (ein Polizist mit problematischem Fremdherz, ein schöner Gruß an Michael Connelly) und edles Ambiente, edle Hobbys (Astronomie). Nix gegen das alles, aber allzu viel davon erzeugt Überdruss. Zumal die familiären Verwicklungen, die Irrwege der Vergangenheit, die nicht sehr plausible Verwandlung eines als coole literarische Figur angelegten Helden zum Spielball naturalistischer Küchenpsychologie schematisch abläuft und keinesfalls perfide, sondern im Gegenteil extrem bieder wirken. Schade, denn schreiben kann Landorff richtig gut.
Max Landorff: Der Regler. Roman. Frankfurt am Main: Scherz/S.Fischer 2011. 335 Seiten. 13,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Wer ist der Regler?
Bombig
(HH) Eine Bombe geht hoch und reißt den dicken Dalziel ins Koma. Doch so einfach geht ein Dalziel nicht kaputt – Pascoe entdeckt seit der Explosion Wesenszüge an sich, die mehr zu seinem temperamentvollen schottischen Chef gehören als zu ihm selbst, ganz so, als hätte sich Dalziels Geist in ihm eingenistet. Und er ermittelt so hartnäckig wie nie zuvor.
Wir haben hier einen neuen Templerorden, desorientierte Irakkriegsveteranen, fehlgeleitete Terroristen, undurchsichtige Geheimdienstaktivitäten, handfeste Yorkshirefrauen, die zum Islam konvertiert sind, und ja, das Buch ist immer noch von Reginald Hill. Dieser schreibt wunderbar witzig und intelligent wie immer, es ist ein Fest, diesen Schinken zu lesen, und doch ist etwas anders: Diesmal hat der Plot sehr viel weniger Schwächen als sonst. Hill stand sonst, bei aller Brillanz im Stil, in den Figuren, in den Dialogen, mit dem Plot stets etwas auf Kriegsfuß, worüber man gerne hinwegsah. Dafür spart er in „Der Tod und der Dicke“ bei den Figuren. Nicht ganz so breit das Spektrum an herrlich schrägen Vögeln, dafür konzentrierter auf einzelne. Pascoe muss nun beide Hauptakteure verkörpern, das ist auch mal ganz lustig, jeder Abstrich, der hier gemacht wird, ist die Abteilung „Jammern auf allerhöchstem Niveau“. Wie gehabt wimmelt der Text von literarischen Anspielungen und jeder Menge Humor zwischen deftig und feinsinnig. Oh, gäbe es nur mehr von dieser Sorte …
Reginald Hill: Der Tod und der Dicke (The Death of Dalziel, 2007). Roman. Deutsch von Karl-Heinz Ebnet. München: Droemer 2011. 560 Seiten. 22,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch