Geschrieben am 15. Februar 2017 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Berliner Filmfestspiele 2017: Berlinale-Tagebuch #2

berlinale_plakata4_web01_panorama_rgbVon ziellosen Reisen und 35mm-Melancholie

 Von Katrin Doerksen

Zum ersten Mal werden auf der Berlinale nicht nur die obligatorischen Festivaltaschen an die Presse verteilt, sondern auch Thermobecher. Man möchte den Verbrauch an Pappgeschirr eindämmen, heißt es. Aber mal abgesehen davon, dass der Kaffee darin den Geschmack von Blech annimmt, passen die Becher nicht unter die Automaten des Kaffeekapsel-Sponsoren. Und wenn die internationale Jury in den Pressevorführungen sitzt, teilt ein Assistent ihnen stets Mineralwasserflaschen aus, die hinterher angebrochen und noch halbvoll an den Plätzen stehen.

So richtig scheint die Berlinale ihre Haltung in Sachen Umweltbewusstsein noch nicht gefunden zu haben. Wie passend für ein Festival, das mit 399 Filmen als riesiger Flickenteppich funktioniert, aber von einer klar formulierten Richtungsweisung oder Vision weiter kaum entfernt sein könnte.

POKOT

Im Wettbewerb – Agnieszka Holland „Pokot“

Nichts hier mit einhellig schulterzuckendem Konsens

Ein radikales Gegengewicht zu halbherzigen Änderungsversuchen bietet am Sonntagmorgen Agnieszka Hollands Wettbewerbsbeitrag Pokot (Spoor), ein erster Favorit. In einer Schlüsselszene stülpt sich ein roter Filter über das Bild, Frau Duszejko (Agnieszka Mandat), eine pensionierte Brückenbauingenieurin und ehrenamtliche Englischlehrerin, hat genug. Eine gleißende Corona legt sich um ihr Gesicht, dampfender Atem stiebt ihr aus der Nase und das Gegenlicht lässt ihren Blick Blitzen gleichen. Das Wort „Pokot“ bezeichnet den Ertrag einer Jagd, wie sie hier, in einer ländlichen Gegend nahe der Grenze zu Tschechien, nicht nur gepflegt, sondern auch als patriarchales Ritual der Machtversicherung in Ehren gehalten wird: da treffen sich der Bürgermeister, der Polizist, der Pfarrer, der reiche Geschäftsmann.

Duszejko scheint hingegen mit den Tieren im Pakt zu stehen. Mit ihren Hunden lebt sie allein auf dem Land, strikte Vegetarierin, Astrologin, ein bisschen Althippie und wenn sie sich richtig entrüstet, stehen die wirren grauen Haare in alle Richtungen vom Kopf weg. Agnieszka Holland beweist in Pokot ihre Furchtlosigkeit: emphatisch stellt sie eine extrem streitbare Figur in den Mittelpunkt ihres Ökothrillers, an deren radikalen Thesen und spinnerten Spleens man sich hervorragend reiben kann. Genau richtig so. „Es ist ein Thriller, anarchisch, umweltpolitisch, feministisch, mit Elementen einer Schwarzen Komödie“, erklärt die Regisseurin in der Pressekonferenz, und was wäre frustrierender, als aus einem derartigen Film in einhellig schulterzuckendem Konsens herauszugehen?

Manches an Pokot fühlt sich überflüssig an: der am Rand der Geschichte eingeflochtene Handlungsstrang um eine junge Frau aus Duszejkos Dorf, merkwürdig stark übersättigte Rückblenden in die Kindheit der Figuren, eine nur sekundenlange Sequenz am Berliner Hauptbahnhof, die wohl die Fördergelder vom Medienboard rechtfertigt. Aber Agnieszka Mandats entschlossenes Gesicht macht es leicht, darüber hinwegzusehen und ebenso die düster gravitätischen Luftaufnahmen, die der polnischen Landschaft beinahe etwas Urbanes verleihen, weil sie Kamerabewegungen beschreiben, wie man sie aus Eröffnungssequenzen kennt, in denen Hubschrauber durch Wolkenkratzerschluchten fliegen. Dazu die surreal anmutenden Aufnahmen der Tiere, Rehe, Igel, Wildschweine. Maden, die eine verwesende Leiche dem moosüberzogenen Waldboden zurückgeben.

 

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Im Wettbewerb – Gurinder Chadha „Viceroy’s House“

Auch der zweite Wettbewerbsbeitrag des Tages wurde von einer Frau gedreht, die, wie sie im Abspann enthüllt, einen persönlichen Bezug zum Thema des Films hat. Viceroys House von Gurinder Chadha erzählt von dem politischen Machwerk, das als Mountbatten-Plan in die Geschichte einging: Als sich die britischen Kolonialherren 1947 aus Indien zurückzogen, verhalfen sie dem Subkontinent nicht einfach so zur Unabhängigkeit, sondern zogen eine Grenze zum neu gegründeten Pakistan, um die Ausschreitungen zwischen Hindus, Muslimen und Sikhs einzudämmen. Zumindest lautete so die offizielle Version. Wer im vergangenen Jahr ein Fan der Netflix-Serie The Crown war, findet in Viceroys House ein nettes Quasi-Spinoff vor: Royals-Sympathie und angedeutete Mediengeschichte inklusive. Lieber konzentriert sich Chadha aber auf die weniger interessante Liebesgeschichte zweier Angestellter im Palast des Vizekönigs in Neu-Delhi und verpasst ihrem Werk damit einen leicht wegzukonsumierenden Liebesdrama-Anstrich. Erfreulich hingegen die politischen Verhandlungsszenen, in denen das Interesse nicht nur den hochdekorierten Politikern gilt, sondern vor allem den Reaktionen der indischen Bediensteten.

 

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Im Wettbewerb – Sebastián Lelio „Una mujer fantástica“

Die dritte Frau im Bunde ist heute Marina (Daniela Vega) aus Sebastián Lelios Una mujer fantástica. Ihr zwanzig Jahre älterer Geliebter Orlando stirbt und sie wird bei der Totenwache von seiner Exfrau aus einer Kirche geschmissen, über deren Eingang die großen Lettern „La Sagrada Família“ prangen. Marinas Trauer ist für die Familie einerseits ein Problem, weil Orlando wegen ihr gegangen ist. Andererseits vor allem, weil Marina eine Transfrau ist. Lelio zeichnet in Una mujer fantástica eine Figur, die im Grunde unauffälliger nicht sein könnte: die eine feste Beziehung mit einem Durchschnittstypen führt, in der man gemeinsam wohnt, Reisepläne schmiedet, Geburtstage im chinesischen Restaurant feiert. Eine Figur, die nur aufgrund der Tatsache, dass sie ein Jeanskleid und Eyeliner trägt, während in ihrem Ausweis noch ein männlicher Geburtsname steht, permanent verdächtigt wird. Die Familien zerstört, die wahrscheinlich vom älteren Liebhaber bezahlt wurde oder gar für seinen Tod verantwortlich ist. Diese verdrehte Zuschreibung von so etwas wie Normalität gibt dem Film eine entlarvende Note, nur ein wirkmächtiger Erzählfluss findet sich einfach nicht: zu viele Figuren tauchen auf und verschwinden sang- und klanglos wieder, zu viele visuell allegorische Einfälle stehen einsam und verloren da.

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Im Wettbewerb – Thomas Arslan „Helle Nächte“

Der schönste Autofahrerfilm der Berlinale

Ganz im Fluss ist dafür Thomas Arslans Helle Nächte, der schönste Autofahrerfilm der Berlinale. Die Berge Norwegens haben darin etwas Gleichgültiges, könnten von Postkartenmotiven kaum weiter entfernt sein, wenn die Kamera sie im warm-feinkörnigen Kodak Portra 400-Look durch die Frontscheibe des Autos hindurch beobachtet. Mal nimmt die Sonne blendend den Blick, dann geht die Fahrt wieder durch ein monotones Nebelfeld und Georg Friedrich fallen beinahe die Augen zu. Diese wunderbare Stimmung endloser Autofahrten, bei der das Meditative stets nur eine Kurve von bleierner Langeweile entfernt liegt, bekommt Arslan hervorragend zu fassen. Genau wie ein Gefühl für spröde Alltagssprache. Seine Figuren sagen Dinge, die jeder schon mal gesagt hat, wahrscheinlich mehrmals. „In Berlin braucht man kein Auto.“ Oder: „Hast du Herr der Ringe gesehen?“ – „Ich hab das Buch gelesen.“ -„Das Buch ist langweilig.“ Und weil die Arslan-Figuren tendenziell von eher schweigsamer Natur sind, stehen diese Sätze für sich da wie aus einem rauen Felsblock gehauen. Vertraut, aber nicht klischeehaft. Unterbrochen wird die Stille immer mal wieder von Ola Fløttums vibrierendem Ambientsound, der in schönster ASMR-Manier meinen Kopf kribbeln lässt. Achso, der Plot? Ein Vater und sein Sohn… ach, eigentlich egal.

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Im Wettbewerb – Sally Potter „The Party“

Das ruft schon nach dem Drehbuch-Bären

Kristin Scott Thomas ist eine idealistische Politikerin. Patricia Clarkson eine überanalysierende Zynikerin. Timothy Small ein schweigsamer Schöngeist, Bruno Ganz ein ganzheitlicher Spiritualitäts-Spinner. Cherry Jones ist das, was Patricia eine „erstklassige Lesbe“ nennt und für ihre jüngere (und schwangere) Partnerin, Emily Mortimer, sind Männer der Feind. Es ist mir bewusst, dass ich gerade Schauspieler_Innen aufgeführt habe, nicht Figuren. Aber The Party ist eben auch kein gewöhnlicher Spielfilm. Er fühlt sich mit seinen knappen 75 Minuten eher an wie ein ungewöhnlich guter Theatergruppensketch mit jeder Menge Punch, in der die Darsteller Typen sind, wie das Jahr 1968 sie hervorgebracht und die darauf folgenden Jahrzehnte sie abgenutzt haben. Nur: dazu kommt als erklärter Außenseiter der jüngere Finanztyp Cillian Murphy (seine Ehefrau verspätet sich). Und der verschwindet erst mal im Badezimmer, um zwei Lines Koks vom Badewannenrand zu ziehen und die Pistole zu laden.

Alles Weitere wäre im Grunde schon zu viel gesagt. Aber wie zwischen dem anfänglichen und abschließenden Blick in den Pistolenlauf große Neuigkeiten verkündet, Schläge ausgeteilt, Gebäckteilchen aus dem Offen gerettet, Illusionen zerschlagen, bitte Wahrheiten ausgesprochen und in Momenten der Verlegenheit stets die Vinylscheiben gewechselt werden, ruft schon nach dem Drehbuch-Bären. Dass die große Sause durchweg in gediegenem Schwarzweiß gehalten ist, unterstreicht nur das hinter dem Gelächter etwas resignativ durchschimmernde Gefühl: die Party ist vorbei.

Die Konstruiertheit ausgestellt

Ach, Berlinale. Uns in so viele völlig konträre Welten an einem einzigen Tag zu werfen, das schaffst nur du. Nach kontemplativen Autofahrten und schwarzweißen Sprachexzessen kredenzt du uns nun auch noch etwas, das sich zuerst anlässt wie der ultimative asiatische Film: ein Profikiller mit der Ernsthaftigkeit eines alten Samurai, Karma und Kochen. Aber Sabu, im Reigen japanischer Filmemacher seit den 1990er Jahren zugange und Meister hanebüchener Handlungen – was ja nichts schlechtes bedeuten muss – tendiert immer mehr zur Rosamunde-Verpilcherisierung. Das deutete sich schon vor zwei Jahren in seinem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Chasukes Journey an und findet seine Fortsetzung im diesjährigen Mr. Long. Der titelgebende Auftragsmörder aus Taiwan strandet nach einer fehlgeschlagenen Mission in einer Vorstadt von Tokio und spricht zwar kein Wort Japanisch, denkt aber trotzdem zum ersten Mal ans Aufhören: die Nachbarn sind hilfsbereit, die Tempelbesucher kaufen seine Nudelsuppen und eine Frau gibt es auch.

Eigentlich ist recht schnell klar, wo Sabu mit Mr. Long hin will: die Frage nach dem manchmal schwer auseinanderzuhaltenden Gut und Böse stellt sich – Karma, Baby -, Hongkongthriller-Konventionen klingen an und ein bisschen China-Japan-Konflikt schwingt im Subtext mit. Manchmal ist der Film auch regelrecht niedlich darin, wie er seine Konstruiertheit ausstellt und als Vorlage für absurde Situationen und Gags ausnutzt. Die aufgedrehten japanischen Nachbarn sind immer für eine Überraschung gut. Aber in den überaus langen 129 Minuten entwickelt sich nicht etwa ein Konventionen zersetzendes Genrebad. Stattdessen stehen merkwürdig ungelenke Actionszenen für sich – und die bis ins letzte Detail auserzählte Liebes- und Leidensgeschichte kitschig daneben.

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Im Panorama – Michael Glawogger „Untitled“

„Ein Dokumentarfilm, der von nichts handelt“

Im April 2014 starb der österreichische Filmemacher Michael Glawogger in Liberia an Malaria. Vier Monate zuvor war er zu einer Reise für einen Film ohne Namen und ohne fertiges Konzept aufgebrochen, hatte die Fahrt in seinem Tagebuch für die Zeitung Der Standard dokumentiert. Die Cutterin Monika Willi nahm sich nach seinem Tod des Materials an und schnitt daraus Untitled, Michael Glawoggers letzten Film, der unverständlicherweise nicht im Wettbewerb, sondern im Panorama der Berlinale gelandet ist. Untitled ist frei von Sentimentalitäten, vom Zwang zum bedeutungsvollen Erbe oder anderen Leitplanken. Ein abruptes „Hey!“ ist zu Beginn zu hören, es kommt von Glawogger selbst: er schreckt damit einen Vogelschwarm auf, setzt eine Bewegung in Gang, einen Forscherdrang, eine Neugier auf die Welt, die bis zum Ende keine Ruhe findet. Ein Tagebau, die Bewohner eines verschneiten Tals, ein nächtlicher Markt bei Stromausfall, Männer im Hamam, Ringkämpfer, amputierte Fußballspieler am Strand. In zwölf verschiedenen Ländern nähert er sich den Menschen stets mit der Weitwinkellinse, die es ihm erlaubt, selbst auf kürzester Distanz noch einen offenen Blick zu behalten. Ihre Worte, Wolof, Arabisch, Englisch, Albanisch, übersetzt er nicht. Als wolle er sagen: schaut genau hin, aber bildet euch nicht ein, dass ihr davon die Welt zur Gänze durchdringt.

Etwas ist den Beobachtungen in Untitled gemein: sie sind von bestechender Körperlichkeit. Sie zeigen Menschen, die am Abgrund tanzen, die sich wie selbstverständlich Gefahren aussetzen, manchmal wohl auch keine andere Wahl haben. „Mein nächstes Projekt ist ein Dokumentarfilm, der von nichts handelt“, hatte Glawogger noch in einem seiner letzten Interviews gesagt und tatsächlich handelt Untitled von Nichts und gleichzeitig von Allem. Er ist das filmische Äquivalent zu einer Reise, auf die man sich ohne Landkarte begibt. Ein unentwegtes Treiben, voller Schönheit und Energie.

Beenden wir den Abend mit einem weiteren Highlight: einem Screening von Stanley Kubricks Drama Barry Lyndon aus der Hommage, die dieses Jahr dem Kostümbildnerinnengenie Milena Canonero gewidmet ist. Leider gönnt das Zeughaus uns keine 35mm-Projektion, aber in Händels berühmter Sarabande ist notfalls auch ohne die visuelle Ebene schon das ganze Elend des menschlichen Daseins eingeschrieben.

 

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Im Wettbewerb – Aki Kaurismäki „Toivon tuolla puolen“ (The Other Side of Hope)

Die einzige 35mm-Projektion des Festivals

Apropos 35mm:  ist der einzige Wettbewerbsfilm des Jahres, der nicht nur auf 35mm gedreht, sondern auch von 35mm projiziert wird – der Unterschied ist gravierend. Die riesige Leinwand im Berlinale-Palast ist plötzlich von ganz neuem Leben erfüllt, das Rot vibriert, das Blau unendlich tief, die Schatten satt und samtig. Ein geschätzter Kollege spricht im Anschluss zärtlich über das kaurismäkische Universum, seinen filmischen Humanismus, so dass ich mir wünsche, selbst den Film zu sehen, den er da beschreibt. Aber, ach, mich vermögen Kaurismäkis Filme einfach nicht anzufassen. Auch dieser nicht, der gleichzeitig von einem Neuankömmling in Helsinki berichtet – dem flüchtigen Syrer Khaled – und dem frisch getrennten Ehemann und Handelsvertreter Wikström. Es geht um Solidarität, darum, dass zwei Menschen bei ihren Neuanfängen sehr unterschiedliche Bedingungen vorfinden können, oft Ungerechte. Das ist auf sehr finnische, also trockene, aber warme Art witzig, immer auch melancholisch. Aber für mich ist es eben auch lediglich ein bunterer Roy Andersson, einer von diesen putzigen Filmen, in denen man exzentrische Figuren in fixen Einstellungen beobachtet und am Ende denkt: „Ach ja, die Skandinavier.“ Empfehlungssprech ist mir ein Gräuel, aber vielleicht ist Toivon tuolla puolen (The Other Side of Hope) ein Film für Menschen, die schon in Aki Kaurismäki Welt hineingewachsen sind.

Catherine Deneuve trägt ein Kopftuch mit Leopardenmuster

Martin Provosts Sage Femme ist der erste Film des Festivals, bei dem ich selig für bestimmt eine halbe Stunde einschlafe. Es scheint mir nicht sonderlich schade um diese halbe Stunde, auch wenn der Film bei Weitem kein Ärgernis ist. Eben französisches Grande-Dame-Schauspielkino. Dinge, an die ich mich erinnere: Catherine Frot führt ein Gespräch mit ihrem Sohn, der sich entschlossen hat, nun doch nicht Chirurg, sondern Hebamme zu werden, wie seine Mutter. Catherine Deneuve trägt ein Kopftuch mit Leopardenmuster, trinkt mittags schon Wein und kennt alle Barmänner mit Vornamen. In einer anderen Szene sitzt sie in einer speckigen Lederjacke als einzige Frau in einer Männergruppe in einem verrauchten Kabuff und spielt Karten. Später tanzt sie im geblümten Morgenmantel zu einem Chanson von Serge Reggiani. In einer kurzen, aber sehr schönen Einstellung liegt Catherine Frot gemeinsam mit ihrem Freund auf dem Bett in der Gartenlaube, weißes Licht fällt durch einen Spalt in der Holzwand und für einen Moment kommt alles zur Ruhe.

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Auf der Woche der Kritik – I Am Not Madam Butterfly

Die meiste Zeit über ein kreisrundes Bildformat

Noch ein kleiner Exkurs: I Am Not Madame Bovary läuft dieses Jahr im Rahmen der Woche der Kritik und hat mit Gustave Flauberts Roman rein gar nichts zu tun. Feng Xiaogang brauchte nur den Namen einer berühmten Ehebrecherin für den Titel. In China nennt man untreue Frauen Pan Jinlian – eine tiefe Erzählerstimme weiß gleich zu Beginn vom Ursprung dieser Bezeichnung in einer alten Legende zu berichten und setzt zu wuchtigen Paukenschlägen den gleichnishaften Ton des Films. Superstar Fan Bingbing spielt eine Frau, die mit ihrer Klage sämtliche Politiker ihrer Provinz in den Wahnsinn treibt. Sie will ihren Ex-Ehemann heiraten, um sich erneut von ihm scheiden zu lassen – ihre erste Scheidung sei eine Fälschung, bekräftigt sie immer und immer wieder und stößt damit auf Unverständnis.

Den holprigen Weg durch die chinesische Bürokratie zeigt Feng Xiaogang die meiste Zeit über durch ein kreisrundes Bildformat, das an alte chinesische Maltraditionen erinnert und einen Großteil der Leinwand ungenutzt lässt. Innerhalb dieses Fensters in die amtliche Absurdität erinnern die Symmetrien, die gesättigten Farben manchmal an den Stil Wes Andersons. Das ist unerwartet, aber im Grunde nur logisch in einem Land, das sich optisch nicht so recht zwischen traditionellen Schnörkeln und sozialistischer Nüchternheit entscheiden kann. Obwohl die Klägerin unangefochtener Mittelpunkt von I Am Not Madame Bovary bleibt, schweift der Film manchmal auch aus, fokussiert die Interessen Einzelner im chinesischen Machtapparat – einer Hierarchie, die nur auf einem Prinzip zu beruhen scheint: nach oben buckeln, nach unten treten. Dass der Film dabei nicht zum reinen Trauerspiel entgleitet, sich eher als kunstvolle Satire entpuppt, wirft ernsthaft die Frage auf, wie er es an den Zensoren der Partei vorbei und in chinesische Kinos schaffen konnte.

Katrin Doerksen

Fortsetzung folgt.

Ihr Berlinale-Tagebuch #1 hier. Ihr Vorbericht zur Berlinale hier. Die CulturMag-Texte von Katrin Doerksen hier. Zu ihrem Blog l’âge d’or. Auf Twitter hat sie viele Kino-News und sie schreibt auch bei kino-zeit.de

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