Geschrieben am 25. Februar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2018, Film/Fernsehen

Berlinale-Tagebuch (3) – von Katrin Doerksen

201810482_1

Minatomachi | Inland Sea, JPN/USA 2018, Regie: Kazuhiro Soda © 2018 Laboratory X, Inc.

Es gibt nichts Uninteressantes auf der Welt

Besser als mit dieser Überschrift lässt sich kaum sagen, wofür unsere Berlinale-Korrespondentin Katrin Doerksen wieder reiche Anschauung fand. Hier nun ihr dritter und letzter Bericht und je mit einem Klick zu Teil Eins und Zwei und zu den zwei Vorberichten.

Bevor das Screening beginnt, liest Regisseur Kazuhiro Soda seine zehn goldenen Regeln des Filmemachens vor. Für gewöhnlich ist das keine besonders sympathische Geste, aber im Fall von Minatomachi kommt dabei ein derart freier Film heraus, dass man sich wünscht, mehr Filmemacher würden Sodas Regeln folgen. Der Japaner schreibt kein Drehbuch, nicht einmal eine Synopsis. Er fährt mit einer Kamera an einen möglichst spezifischen Ort und schaut, was ihm dort vor die Linse läuft. In Minatomachi ist es Wai-chan, ein Fischer, der auch mit 86 Jahren noch jeden Tag allein aufs Meer fährt. Dazu ist er gezwungen, sein Heimatdorf Ushimado leidet an starker Überalterung, die Alten sterben, die Jungen ziehen weg und niemand will mehr Fischer werden. Soda und seine Produzentin und Ehefrau Kiyoko Kashiwagi folgen Wai-chan auf sein Boot. In schwarzweißen Bildern und langen Einstellungen sehen wir wie er Netze auswirft, Netze einholt, verhedderte Fische herausschneidet, seinen Fang morgens an den Markt verkauft. Minatomachi ist langsam: die Filmemacher müssen ihre Fragen oft mehrfach wiederholen, Wai-chan hört schwer und wiederholt sich oft, er ist ja auch nicht mehr der Jüngste.

Langweilig ist der Film trotzdem in keiner Sekunde. „Es gibt absolut nichts Uninteressantes auf dieser Welt,“ meint Kazuhiro Soda im Q&A und nach diesem Film stimmt man ihm vorbehaltlos zu. Spontan folgen die Filmemacher Leuten, die zufällig vorbeikommen: einer Fischverkäuferin, einer Frau, die mit den Resten aus dem Laden jeden Tag die streunenden Katzen füttert. Eine Andere ist auf dem Weg zum Friedhof, berichtet von ihren Vorfahren, die seit 13 Generationen in Ushimado leben. Und immer wieder Komiyama-san. Die alte Frau scheint eine Außenseiterin im Dorf zu sein, ihr unaufhaltsamer Redefluss und ihr Drang die Kamera zu entführen wirken zuerst ein wenig aufdringlich. Aber die Filmemacher erweisen sich als sensible Zuhörer. Sie folgen der Frau, die schließlich beginnt ihre Geschichte zu erzählen. Mit ihrer offenen Art gelingt es Soda und Kashiwagi Momente von einer Wahrhaftigkeit aufzuzeichnen, die in einem gescripteten Dokumentarfilm so nie entstanden wären. Der Regisseur redet ohnehin lieber von „Observational Films“. Minatomachi läuft zwei Stunden lang und man wünscht sich, es wären vier. Denn es fühlt sich an, als wäre man dort gewesen, als müsste man selbst am Ende Abschied von den Bewohnern Ushimados nehmen. Komiyama-san ist inzwischen gestorben. Wai-chan ist inzwischen über 90. Er fährt noch immer jeden Tag aufs Meer.

201819269_1

Aira Sunohara und Maiko Mineo in Amiko, JPN 2017, Regie: Yoko Yamanaka © 2017 Yoko Yamanaka

Ein weiterer japanischer Forumsfilm ist Amiko. Die Regisseurin Yoko Yamanaka ist erst 20 Jahre alt, aber sie scheint der Zeit des Hachimiri-Craze entsprungen zu sein. Ihr nur gut einstündiger Film erzählt die im Grunde recht simple Geschichte der sechzehnjährigen Amiko, die auf eigene Faust eine Reise nach Tokio unternimmt, um ihren Schwarm zur Rede zu stellen: er hat nämlich eine neue Freundin, die „der Inbegriff der Massenkultur“ ist. Sie hört nicht mal Radiohead. Seine überquellende Experimentierfreude macht aus Amiko einen ganz besonderen kleinen Film: unsere Heldin bringt in der U-Bahn die Leute zum Tanzen, schmatzt beim Spaghetti-Essen, bedeckt sich mit dem roten Strickgarn ihrer Freundin und stellt sich dabei vor, sie hätte eine blutende Wunde, denkt über das Glücklichsein nach und sitzt mit einem Eimer voller halbierter Zitronen in der randvollen Badewanne, eine Frucht nach der anderen nuckelnd. Mit der Zeit findet sie Gefallen an dem sauren Geschmack.

uns_20171205._1.106.1.tif

Claire Foy in Unsane | Unsane – Ausgeliefert, USA 2018, Regie: Steven Soderbergh © Fingerprint Releasing / Bleecker Street

Aber zurück zum Wettbewerb: nachdem Steven Soderbergh nun schon mehrfach seinen Ruhestand als Filmemacher ausgerufen hat, nur um kurz darauf mit einem neuen Projekt zurückzukehren, ist er auf der Berlinale 2018 mit Unsane – Ausgeliefert vertreten, den er auf einem iPhone gedreht hat. Der rohe digitale Look und extreme Weitwinkel beschert allen Linien im Bild eine subtil entrückte Glubschigkeit – und das passt ausgezeichnet. Denn Claire Foy spielt in dem Psychothriller die Karrierefrau Sawyer, die gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik festgehalten wird. Soderbergh hat das fesselnde Inszenieren nicht verlernt: lange bleibt völlig unklar, ob die Auslöser von Sawyers Ängsten nun ihrer Einbildung oder doch der Realität entspringen und wer auf welcher Seite steht. Dabei kippt er – trotz einiger creepy Momente – nie in billige Irrenhaus-Horrorklischees. Ein kleiner, feiner, dreckiger Film, der sich noch dazu als Satire auf das US-amerikanische Gesundheitssystem lesen ließe…

Die Rettungsaktion „Mare Nostrum“ nutzt Schiffe, die schon im Zweiten Weltkrieg für die Landung in der Normandie eingesetzt wurden.

Eldorado, CHE/DEU 2018, Regie: Markus Imhoof © Majestic/zero one film / Peter Indergand – Die Rettungsaktion „Mare Nostrum“ nutzt Schiffe, die schon im Zweiten Weltkrieg für die Landung in der Normandie eingesetzt wurden.

…wenn man mehr Zeit hätte darüber nachzudenken. Stattdessen steht als nächstes schon Eldorado auf dem Plan, Markus Imhoofs Wettbewerbsdokumentarfilm über die europäische Flüchtlingspolitik. Langsam droht die Übersättigung an Flüchtlingsdokumentarfilmen, ehrlich gesagt. Vor zwei Jahren gewann Gianfranco Rosis Fuocoammare den Goldenen Bären, inzwischen gab es Filme von Ai Weiwei, Neuland, Deportation Class, die Liste ist lang, nur verändert sich leider wenig. Markus Imhoof wählt deshalb einen anderen Weg: er klagt ebenfalls an, aber nicht, indem er ausschließlich auf menschliches Elend fokussiert und am Ende einen flammenden, doch letztlich unnützen Appell versanden lässt.

Der Blick ist viel weiter in Eldorado. Er beginnt bei Schiffen, die als Teil der italienischen Marineoperation Mare Nostrum (mittlerweile längst abgelöst durch das europäische Triton) in Seenot geratene Boote aus dem Mittelmeer fischen. Er eröffnet eine historische Perspektive, als Imhoof sich an das italienische Mädchen Giovanna erinnert, das seine Schweizer Familie im Zweiten Weltkrieg aufnahm. Und er schließt anhand einiger individueller Schicksale auf die ausbeuterischen Strukturen, die die Schleuser, die Mafia und vor allem reiche nordeuropäische Länder sogar noch vom Andrang illegaler Einwanderer profitieren lassen. Vom Dubliner Übereinkommen über die schwarze Tomatenernte auf italienischen Feldern bis hin zur eritreischen Krankenpflegerin, die in der Schweiz nicht arbeiten darf, während ein Roboter entwickelt wird um das Pflegepersonal zu entlasten.

201815652_1

Laura Benson in Touch Me Not, ROU/DEU/CZE/BGR/FRA 2018, Regie: Adina Pintilie; Sektion: Wettbewerb © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l’Etranger

Im direkten Anschluss an Eldorado wirkt Touch Me Not noch viel abstruser. Der Film von Adina Pintilie ist irgendwie performatives Drama, irgendwie halbdokumentarisches Forschungsprojekt und ein Ausreißer ins Bodenlose im diesem durchschnittlich durchaus hochwertigen Wettbewerb. Vielleicht fällt mein Urteil so harsch aus, weil alles so vielversprechend begann: mit einer Fahrt über einen männlichen Körper nämlich, extremer Tiefenschärfe, gekräuseltem Haar, einem schlaffen Penis, ruhigem Atmen. Exakt eine halbe Minute später verlässt der erste Mann den Kinosaal und man denkt sich: Ha, könnte interessant werden. Es wird dann insofern interessant, als das Touch Me Not eine beispiellose Diversität auf die Leinwand bringt: er erzählt von der 50-jährigen Laura (Laura Benson), die ihre Probleme mit Intimität überwinden will, indem sie eine alternative Therapiegruppe beobachtet und Termine mit einer Handvoll Sexarbeiter*Innen vereinbart. Auf diese Weise lässt uns der Film an den verschiedensten Körpern und Sexualitäten teilhaben: wir sehen einen Callboy, einen Mann mit genetisch bedingtem Haarausfall, einen Anderen mit Spinaler Muskelatrophie, eine Transfrau, einen Mann, dessen Therapie an schamanische Rituale erinnert, BDSM-Praktiken in einem Club, sämtliche Körperformen und Altersklassen. People of color aber fehlen vollständig.

Das Publikum auch gleich noch mit therapieren …

Dafür ist die Regisseurin immer wieder zu sehen: über einen Bildschirm spricht sie mit Laura und wegen des frontalen Blicks in die Kamera auch zum Publikum. In Touch Me Not gibt es häufig diese Szenen mit direkter Ansprache der Kamera. Es bleibt dann unklar, ob noch Figuren oder die realen Personen sprechen. Aber in Verbindung mit den tendenzesotherischen Dialogen und der klinisch desinfiziert anmutenden Fernsehästhetik wirkt nichts daran experimentell, neugierig, spielfreudig, lustvoll oder gar revolutionär. Ganz im Gegenteil: wie in so vielen Filmen wird auch in Touch Me Not die Sexualität abseits der Norm nicht als etwas Selbstverständliches gezeigt, sondern ständig nur in problembehafteten, freudlos therapeutischen Kontexten. Wobei: würde sie wenigstens nur gezeigt! Hier wird vor allem geredet. Und wie: Von „healing processes“ ist die Rede, „there’s good energy inside you“. Die Regisseurin: „Why have I never told you what this film is about? And even worse: why have you never asked?“ Immer wieder: „How does this feel?“ Und natürlich werden auch traumatische Kindheitsanekdoten mit der eigenen Mutter herausgekramt. Touch Me Not quält sein Publikum nicht nur mit schülertheaterhaften Vorstellungen von Symbolismen (zum Beispiel kämpft Laura anfangs mit einer widerspenstigen Krankenhaustür, die später automatisch für sie aufgeht). Er bindet ihm nicht nur plump auf die Nase, was es denken sollte. Er will sein Publikum auch gleich noch mit therapieren. Ein Film für Menschen, die wirklich nichts auf der Welt für interessanter halten als sich selbst.

Randnotiz: Im Forum läuft mit Gushing Prayer von Masao Adachi ein 1971er pinku eiga, der grundsätzlich ähnliche Themen verhandelt. Hier sind es vier Teenager, die sich auf die Suche nach Intimität, Identität, die Bedeutung ihrer Sexualität begeben. Gushing Prayer macht es wirklich niemandem im Publikum leicht, egal wie liberal oder abgeklärt. Er zwingt einen sich mit Prostitution auseinanderzusetzen, mit Abtreibung, Fehlgeburt, Suizid. Mit Figuren, die natürlich nicht immer nachvollziehbar handeln, aber die aufrichtig nach ihrem Weg suchen, ohne von Anfang an genau zu wissen wo sie ankommen sollten. Sollte man sich unbedingt anschauen, wenn Rapid Eye Movies demnächst diesen und zwei weitere pinku eiga in die Kinos bringt.

201812831_2

Ága, BGR/DEU/FRA 2018, Regie: Milko Lazarov © Kaloyan Bozhilov

Der Wettbewerb endet mit Milko Lazarovs Ága, an dessen Anfang ein faszinierender Kinomoment steht: eine Frau in jakutischer Tracht ist in Großaufnahme zu sehen, sie spielt die Maultrommel. Als sie fertig ist, schauen ihre strahlenden Augen direkt in die Kamera. Einige Leute im Publikum beginnen zu applaudieren. Vielleicht ist das als Witz gemeint, aber die Reaktion kommt nicht von ungefähr: die Präsenz der Frau ist in jenem Moment so stark, als hätte sie ihr Lied wirklich in diesem Saal dargeboten. Kinomagie. Leider taucht sie im Laufe des Films nicht noch einmal auf. Stattdessen konzentriert sich Lazarov auf den Alltag eines Rentierjägers und seiner Frau. Inmitten der Eiswüste führen die beiden ein traditionelles Leben: jagen, schlafen in ihrer Jurte in Felle gehüllt, essen Trockenfisch, rühren ihre eigene Medizin an und erzählen sich Tag für Tag ihre Träume. Nur über ihre Tochter Ága können sie nicht reden, denn die ist vor Jahren gegangen, um in einer Diamantenmine zu arbeiten. Dabei ist es das wichtigste, das die Familie zusammenbleibt, davon ist der Hirte überzeugt.

In Ága geht es um das immer schneller voranschreitende Verschwinden traditioneller Lebensweisen, die Ausbeutung der Natur. Milko Lazarov fasst sein Gleichnis in lange Einstellungen und Bilder von beeindruckender Weite, in denen am Horizont der wolkenverhangene Himmel mit dem schneebedeckten Land zu verschmelzen scheint und einem jeglichen Gefühl für Entfernungen abhanden kommt. Aber die Optik wird auch zum Problem des Films: besonders in den Innenaufnahmen aus der Jurte sieht das Licht so perfekt gesetzt aus, der Schmutz so präzise aufgemalt, die Felle so stilsicher platziert, dass Ága immer wieder in die Nähe von Arthausklischees rückt.

201802201_1

Larry Hagman, Henry Fonda in Fail Safe | Angriffsziel Moskau, USA 1964, Regie: Sidney Lumet; Sektion: Berlinale Classics, Quelle: Sony Pictures Entertainment © Columbia Pictures Corporation Inc.

In Fail Safe erscheint dagegen nichts perfekt poliert. Das 1964er Meisterwerk von Sidney Lumet läuft in den Berlinale Classics und ist von einem verschatteten, dreckig-körnigen Schwarzweiß. Abgesehen von einigem invertierten Stock-Footage startender Raketen spielt der Kalte-Kriegs-Thriller fast ausschließlich in kahlen, fensterlosen Innenräumen: im Luftabwehrkommando der US Air Force, im Atombunker des Präsidenten, in einem Konferenzraum des Pentagon, im Cockpit eines Bombengeschwaders. Aber Lumet nutzt die wenigen ihm zur Verfügung stehenden Mittel meisterlich: man sieht den Schweiß im Gesicht der Verhandelnden. Im Krieg gehe es letztlich immer nur darum, wer siegt und wer verliert, behauptet der Nuklearkriegstheoretiker Prof. Groeteschele (Walter Matthau) – in Fail Safe verlieren Amerikaner und Sowjets. Die untereinander und sich selbst entfremdeten Menschen, die der Eigendynamik ihrer ausgeklügelten Sicherheitssysteme nicht mehr hinterherkommen. Lumet filmt immer wieder aus der Untersicht, lässt seine Figuren hinter massiven Telefonen halb verschwinden oder elektronische Überwachungsbildschirme über ihnen dräuen. Dass die US Air Force strikt ablehnte mit der Produktion zu kooperieren, weil sie die Darstellung des Kontrollverlustes über die Streitkräfte des Landes verurteilte, sagt viel über die niederschmetternde Wirkung des Film aus.

201819270_2

Our House, JPN 2017, Regie: Yui Kiyohara; Sektion: Forum

Am liebsten noch einmal sehen, um einen Grundriss anzufertigen

Ein letzter japanischer Film auf der Berlinale 2018: Yui Kiyohara ist mit Our House ein geheimnisvoller kleiner Geisterfilm gelungen. Darin erzählt sie parallel zwei Geschichten: die einer alleinerziehenden Mutter und ihrer Tochter, die noch immer auf die Rückkehr ihres Vaters wartet. Und die einer jungen Frau, die eines Tages eine Fremde mit zu sich nimmt, die sich an ihr früheres Leben nicht mehr erinnern kann. Die Besonderheit: beide Geschichten spielen im gleichen Haus. Einem verwinkelten Gebäude mit traditionellen Papierwänden irgendwo in einer mittelgroßen japanischen Stadt. Kiyohara lässt uns darüber im Unklaren, ob es sich um aufeinanderfolgende Mieter handelt oder ihre Kamera zwischen zwei Paralleluniversen springt, aber es gibt zarte Berührungspunkte: ein Loch, das das Mädchen mit dem Finger in die Papierwand sticht, entdecken tags darauf auch die beiden Frauen. Immer wieder sind Schritte, leises Gemurmel in den Räumen zu hören, ein leichter Wind ohne klaren Ursprung lässt die Gardinen sachte wehen. Man möchte nach dem Ende von Our House den Film am liebsten noch einmal sehen, um einen Grundriss von dem Haus anzufertigen und zu dokumentieren, wann sich welche Figur in welchem Zimmer aufhält. Vielleicht leben sie ja gleichzeitig in dem Haus, ohne es zu merken?

201813131_2

Aggregat, DEU 2018, Regie: Marie Wilke; Sektion: Forum © Kundschafter Filmproduktion

Zuletzt folgt Aggregat, ein Dokumentarfilm der Regisseurin Marie Wilke, die sich dafür interessiert, wie „die da oben“ eigentlich arbeiten, wie Demokratie funktioniert. Über den Zeitraum eines Jahres hinweg sammelt sie Aufzeichnungen, nüchterne Beobachtungen des politischen und medialen Alltags in Deutschland. Publikumsführungen durch den Bundestag, Küchentischgespräche der SPD mit den Bürgern in Sachsen, Demonstrationen der Pegida, Redaktionskonferenzen des MDR, bei Taz und Bild. Dabei hält sich Wilke stets zurück, kommentiert die oftmals absurden Situationen nicht und urteilt nicht, dokumentiert nur. Harte Schnitte und längere Schwarzbilder weisen auf die Gemachtheit ihres Films hin. Darauf, dass es sich lediglich um Fragmente, kleine Fenster in den Alltag handelt, dass sie kein abgeschlossenes Werk, keine Lösungen präsentiert. Genau so weist Aggregat aber, das macht den Film so stark, auf die einzig mögliche Lösung hin, die noch bleibt wenn die Stimmung kippt, wenn die Schreie nach „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ lauter werden, die Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen tiefer. Transparenz, alle Seiten zu Wort kommen lassen, vorbehaltloses Zuhören.

Katrin Doerksen

Ihre Texte bei CulturMag hier.
Die Berlinale 2018 bei CulturMag: Katrin Doerksens Tagebuch Drei (hier oben),
EinsDer nasse Glanz der Scherben 
ZweiWo noch Zeichen und Wunder geschehen
ihr VorberichtHundertundein Fenster zur Welt
Die Vorschau von Dominique Ott: Erwartungsvoll

Berlinale 2017 hier.

Tags : , , , , , , , , , ,