Geschrieben am 1. April 2019 von für Crimemag, CrimeMag April 2018, CrimeMag April 2019

Beatrice Behn über „Asche ist reines Weiß“

Der Preis der Sünde

Zum neuen Film von Jia Zhang-ke

Er ist der Vorzeige-Autorenfilmemacher des chinesischen Kinos und seine vorigen beiden Filme Touch of Sin und Mountains May Depart wurden mit großen Enthusiasmus aufgenommen. Es ist einfach zu sehen warum. Jia Zhang-ke verbindet episches Kino und Drama mit einem guten Schluck Ironie sowie einer Kinematographie zum Dahinschmelzen. Und all das auf eine Art, die auch im Mainstreamkino ihren Platz findet. Die Erwartungen an den letzten Teil seines Triptychons waren also dementsprechend hoch.

Nach einer irritierenden Sequenz mit dokumentarischen Aufnahmen aus einem Bus voller kettenrauchender Minenarbeiter beginnt „Asche ist reines Weiß“ (englischer Titel „Ash ist the Purest White“) mit dem Gesicht von Qiao (Jia Zhang-kes Lieblingskollaborateurin und Ehefrau Zhao Tao). Eine junge Frau, die sich nichts gefallen lässt und die durch eine Bar mit einem Selbstbewusstsein schreitet, das man nur haben kann, wenn man weiß, wer man ist. Und Qiao ist vor allem eins: die Freundin des Gangsters Guo Bin (Liao Fan), der hier, in einer Stadt irgendwo in der Provinz Shanxi, das Sagen hat. Er ist es, der seine „Brüder“ führt, die Geschäfte leitet, sich um die Leute kümmert und Streit schlichtet. Und sie hilft dabei auf ihre ganz eigene Art. Zwar gehört sie nicht der Triade an, doch es zeigt sich von Anfang an, dass Qiao es ist, die die Brüder zusammenhält und vor allem deren Traditionen zelebriert.

„Asche ist reines Weiß“ setzt von Anfang an viele Versatzstücke eines klassischen jianghu-Mafiafilms ein, doch gleichsam webt Jia Zhang-ke von Anfang an sehr moderne und poppige Elemente ein. Wie in seinen vorherigen Filmen gibt es wieder Popmusik, dieses Mal ist es YMCA von den Village People und Line-Dance. Und auch Qiao und Bin führen eine moderne, lockere Beziehung. Außer es geht ums Geschäft, dann wird es schnell ernst und die Hierarchie zwischen beiden ist sofort klar zu erkennen. Es ist eine Beziehung, die nicht auf Gleichberechtigung beruht. Qiao verdient kein eigenes Geld, sondern nimmt Geschenke von Bin und seinen Geschäftspartnern entgegen. Sie ist Teil dieses Lebens außerhalb des Gesetzes und es verlangt einiges von ihr ab. So ist Bin zum Beispiel keineswegs gewillt, sie zu heiraten und sich niederzulassen. Verbindlichkeiten gibt es nicht. Nur das Hier und Jetzt, das Geld und Traditionen wie Treue, Ehre und Ehrlichkeit. Doch all dies zerbricht, als Bin eines Tages von einer Gruppe Jugendlicher auf Motorrädern zusammengeschlagen wird. Qiao muss dabei zusehen, schnappt sich dann aber Bins illegale Waffe und rettet ihren Freund. Dafür muss sie fünf Jahre ins Gefängnis. In dieser Zeit erhält sie keinen Besuch von Bin und ihr Vater stirbt. Zwei herbe Tiefschläge nacheinander.

Im zweiten Teil nach Qiaos Entlassung dreht sich der Film gänzlich in eine andere, melancholische Richtung. Nie sollte man von Jia Zhang-ke einen klassischen Film irgendeines Genres erwarten. Viel zu gern benutzt er Versatzstücke, um seine eigenen Geschichten daraus zusammenzusetzen, und seine Filme damit ganz eigen und immer wieder überraschend zu gestalten. Qiao ist gealtert, die fünf Jahre waren hart. Doch sie hat ihren Stolz und ihre Kraft nicht verloren. Mit dem wenigen Geld, das sie hat, reist sie durch China auf der Suche nach Bin, denn für sie besteht die Beziehung weiter, solange er ihr nicht sagt, dass es anders ist. Ehrlichkeit, Treue und Ehre — Qiao lebt weiter nach dem Ehrenkodex, den Bin eindeutig verlassen hat.

Hier nun konzentriert sich der Film ganz und gar auf diese wundervolle, charismatische Frau und Zhao Tao holt alles aus ihrer Rolle heraus. Ihr Roadtrip durch China zeigt alle Facetten dieser mehrdimensionalen Figur und ihrer ungebrochenen inneren Stärke. Ja, dieser Frau würde man zutrauen, selbst eine Triade zu leiten. Ihre Klugheit und ihr Scharfsinn werden hier oft auf wundervoll humoristische Art dargestellt. Diese Reise zeigt aber auch ein China, das abermals in Bewegung und Veränderung ist. Stets steht im Hintergrund der Geschichte die ökonomische Lage, die sich rapide verschlechtert. Ganze Städte gehen den Bach runter, weil die Firmen dort schließen, die Infrastruktur ist ein ständiges Bauen, einziehen und wieder verlassen, es scheint, dass halb China in Bewegung ist. Immer auf der Suche nach Sicherheit, dem nächsten Job oder dem großen Geld. Eindeutig zieht Jia Zhang-ke, wie in seinen vorherigen zwei Filmen, eine sozialkritische Ebene ein, die, wenn auch nicht aufs Deutlichste ausbuchstabiert, trotzdem zu erkennen ist. Unter diesen Umständen scheint Qiao außerordentlich geeignet dafür zu sein durchzukommen, auch wenn sie den Außenseiterstatus nicht mehr los wird. Sie musste zahlen für ihre Sünden und den Makel wird sie behalten. Doch man ist ganz auf ihrer Seite, will sehen, wie sie Fuß fasst und sich ihr eigenes Reich schafft.

Doch „Asche ist reines Weiß“ gibt hier seine jianghu-Wurzeln auf und seine Hauptfigur gleich mit. Das Werk wandelt sich zu einem masochistisch-melancholischen Film, in dem vor allem Qiao, aber auch Bin noch durch viele weitere Jahre leiden und büßen müssen. Doch es ist vor allem die Figur der Qiao, die hier viel verliert, denn sie ergibt sich, eigentlich ganz klassisch wie in den „Weepies“ der 1950er Jahre, in ihre Rolle der Büßenden. Was für ein Verlust! Was für ein Abgesang, der auch den Film mit in einen Strudel reißt, der ihm letztendlich viel seiner Kraft entzieht. Und genau diese Entscheidung versagt dem Film letztendlich, mit Touch of Sin und Mountains May Depart in ihrer Wuchtigkeit mitzuhalten.

„Asche ist reines Weiß“ bleibt dabei in seiner Gesamtheit ein eher ruhiger, kontemplativer Film, der sich viel Zeit nimmt für seine Entwicklungen. Auf visueller Ebene arbeitet der Film mit verschiedenen Bildformaten und verschiedenen Kameratypen, die den Lauf der Zeit – der Film spielt von 2001 bis in die Gegenwart – auch in Sachen Format und Technologie aufzeigen. Eine sehr gelungene Umsetzung, die das besondere Gefühl von Zeitlichkeit wunderbar vermittelt. Denn hier laufen das langsame Tempo der Erzählung und die rasanten Tempi der technologischen und sozialen Entwicklungen hervorragend gegeneinander.

Kann „Asche ist reines Weiß“ also mit seinen Vorgängern mithalten? Die Antwort ist ein klares Jein.

Beatrice Behn

Die Autorin ist Chefredakteurin von kino-zeit.de, Deutschlands führendem Internetportal für Arthouse-Filme. Dieser Text erschien zuerst als Festivalkritik (Cannes 2018) bei kino-zeit.de

  • Asche ist reines Weiß (Jiang hu er nv), China / F 2018. Regie, Buch: Jia Zhang-ke. Kamera: Éric Gautier, Schnitt: Matthieu Laclau, Lin Xudong, Musik: Lim Giong. Mit Zhao Tao, Liao Fan, Xu Zheng, Casper Liang, Feng Xiaogang, Diao Yinan. Länge 141 Minuten. Filmverleih: Neue Visionen, DVD bei ####

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