Geschrieben am 1. Dezember 2019 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2019

Ausstellung: René Böll „Tiktaalik“

Vom Meer ans Land

Mit tiefschichtigen Bildern und Gedichten widmet sich René Böll der Evolution von Tieren und Menschen in Zeiten von anthropogenem Klimawandel und der drohenden Unumkehrbarkeit menschlichen Fehlhandelns. – Von Bruno Arich-Gerz.

Wenn Geowissenschaftler auf ihren Gegenstand, die Erde und ihr Gewordensein blicken, messen sie ihn gern in der très longue durée von Zeitaltern aus: Oberdevon, Eiszeitalter, Holozän und das Anthropozän als die vom Menschen beeinflusste (und beschädigte) Ära der Gegenwart.

Diesen extrem langen Verlauf bildkünstlerisch nachzuempfinden und dabei ein Zeichen gegen den drohenden Verlust der Lebenswertigkeit und, wenn nicht ganz schnell etwas passiert, Lebensfähigkeit des Planeten zu setzen, nimmt sich der Kölner Künstler René Böll vor. Auf den anderthalb Dutzend Bildern seines Werkzyklus‘ Tiktaalik, der noch bis zum 12. Januar 2020 im Stadtmuseum Siegburg zu sehen ist, verleiht er dem kreatürlichen Dasein auf der Erde zunehmend Farbe und Gestalt. Es ist ein wuchtiger Durchlauf durch die Erdzeitalter und ein kritischer Blick auf ihre bakteriellen, animalischen und vor allem homosapiensischen Ur-, Vor- und Jetztzeitbewohner.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Der Zyklus – Öl über Acryl auf Leinwand – folgt einem strengen und effektiven, weil sozusagen äonen-chronologischen Kompositionsprinzip. Immer chromatischer und weniger abstrakt werden die Bilder, die aus ungewöhnlichen Farben und Farbmaterialien entstanden sind, wie Böll bei einem Künstlergespräch verriet (ein zweites, unbedingt empfehlenswertes findet statt am 11. Dezember, 18 Uhr).

Die Texturen der Bilder erlauben eine Fülle von Tiefenbetrachtungen und Assoziationen. So wirkt bereits „Cyanobakterien“ konkret wie eine westirische Steilküste und saugt den Blick förmlich an sich heran und in sich hinein, ehe das ausstellungstitelgebende „Tiktaalik“ jene Kreatur im Namen führt und schemenhaft andeutet, die es evolutionär aus dem Meer ans Land schaffte. Tiktaalik war ein Fleischflossler und damit „nicht Fisch nicht Fleisch“, wie es Museumsleiterin Gundula Caspary in ihrem Beitrag zum Ausstellungskatalog nennt: ein Wesen, das vor 380 Millionen Jahren die „Landnahme“ versuchte. Und dabei, so René Böll in einem von mehreren eindrücklichen Begleitgedichten, zum Migranten aus dem Oberdevon wurde, dem nicht nur selbst ein rasches Ende beschieden war, sondern der auch Menetekel für die Gegenwart ist:

zerrissen war ich
zwischen wasser und land
zuhause weder hier noch dort

sehnsucht nach sonne und licht
zog mich aus dem meer,
meiner heimat

spuren hinterließ ich
tiktaaalik
auch in dir, mensch

alle starben wir aus
zuende war unsere zeit
so wie bald schon auch eure
(aus: René Böll, „Tiktaalik“)

Tiktaalik – Blaufußtölpel © VG Bild-Kunst, Bonn

Spuren im Menschen

Auch die Spuren im Menschen, die Böll anspricht, offenbaren sich in der Ausstellung und im klugen Konzept dahinter. Einmal tun sie das sozusagen phylogenetisch und damit auf die Lebewesen-Entwicklung bezogen, wo der landnehmende Tiktaalik aus dem Meer als Vorfahre von unsereinem gelten darf. Wie überhaupt ein Lebenssaft in uns zirkuliert, der dem Stoff, aus dem die Ozeane gemacht sind, chemisch verblüffend ähnlich ist: „Beim menschlichen Blut handelt es sich um jene Flüssigkeit“, schreibt René Böll im Katalog, „die ihrer Zusammensetzung nach dem Meerwasser am nächsten kommt und umgekehrt“.

Zum anderen pflanzte und pflanzt sich Tiktaalik auch fort in den mal älteren, mal jüngeren und in jedem Fall bis vor kurzem unangetasteten Lebewesen, die derselbe Mensch zunichte zu machen droht mit seiner längst unbemerkt anthropozän gewordenen Hybris.

Böll zitiert die Galápagos-Inseln mit ihrer bedrohten Artenvielfalt und zeigt auf seinen Bildern in plötzlich ausgeprägter Konkretion einen Riesenkalmar, einen Blautölpel und einen giftigen Frosch im (und auf einem Bild namens) „Urwald“.

Der Ausstellung wohnt so ein sehr ernstes Plädoyer inne. Es gilt zu handeln, bevor es ganz zu spät ist.

„Mit zunehmendem Lebensalter beschäftigen sich meine Gedanken damit, welchen Schaden an der Natur vor allem meine und die Generation unserer Eltern zu verantworten haben. Ich kann nur hoffen und wünsche mir, dass meine Enkel noch die Schönheit der Welt, so wie wir sie erfahren durften, erleben mögen.“

Tiktaalik – Cyanobakterien © VG Bild-Kunst, Bonn

Von Ausstellung zu Ausstellung und zurück: Cillíní 

Dieses Fazit äußert Hoffnung, ist sich aber nicht sicher. Es könnte genausogut anders und übler ausgehen. Auch dies umreißt die Siegburger Ausstellung andeutungsweise und sehr subtil, wenn sie René Bölls Zyklus der Jahre 2018 und 2019 ergänzt durch eine Auswahl seiner Tuschearbeiten aus dem Oeuvre Cillíní – oder Die toten Kinder von Achill.

Mit seiner Mutter Annemarie und dem literaturnobelpreisgekrönten Vater Heinrich Böll verbrachte René Böll viel Zeit auf Achill Island. Die Leidenschaft und das Interesse für die Insel im äußersten Westen Irlands haben ihn Zeit seines Lebens (weiter) beschäftigt und zu einer bildend-künstlerischen Auseinandersetzung mit den anonymen Gräbern nicht getaufter Kinder geführt, die sich dort auffinden lassen. Nicht nur bild- und kunstwerkgeworden ist dieses Interesse. Es wird in Siegburg erneut eingesetzt als Ausdruck dessen, was droht, wenn die Menschheit sich nicht zusammenrauft und am Ende der erdzeitalterlichen Abfolgen, zum Schluss des Anthropozäns der von einer Spezies verschuldete Tod aller steht:

leben konntest du nicht
mein kind ohne namen
es blieb ein stein nur am meer
(aus: René Böll, „Unter dem Makrelenhimmel“).

René BöllTiktaalik. Malerei und Gedichte.
Wo? Stadtmuseum Siegburg, Markt 46, 53721 Siegburg.
Wann? Dienstag bis Samstag 10-17 Uhr. Sonntag 10-18 Uhr.
Wie lange? Bis 12. Januar 2020

Katalog zur Ausstellung herausgegeben von Dr. Gundula Caspary, Bernstein-Verlag, 12,50 Euro. Internetseite von René Böll.

Tags : ,