Geschrieben am 28. Januar 2012 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Rosa Ribas/Sabine Hofmann: Arbeitsjournal (I)

Zwei Schrifstellerinnen schreiben zusammen einen Roman. Das ist nicht unbedingt etwas sehr Neues. Die eine ist Spanierin, die andere ist Deutsche. Da wird’s schon ungewöhnlicher. Und dann wird der Roman auch noch zweisprachig – ab da wird’s richtig spannend. Über den Prozess des Schreibens und Übersetzens mit allen möglichen Implikationen, Problemen und Chancen, über ein Projekt mit open end auf jeden Fall – der Roman hat bis jetzt noch nicht einmal einen Namen – führen die beiden Autorinnen ein Arbeitsjournal. CrimeMag freut sich, das Projekt begleiten zu dürfen und präsentiert die deutsche Fassung.

Arbeitsjournal – Einführung

Rosa Ribas und Sabine Hofmann

In den kommenden Wochen werden wir auf diesen Seiten ein Journal veröffentlichen, in dem wir über die Arbeit an einem auf seine Weise einzigartigen Romanprojekt berichten werden. Weil wir schon auf zwei Jahre Arbeit zurückblicken können, werden wir erst einmal erzählen, wie wir an den Punkt gelangt sind, an dem wir heute stehen: Wie wir dazu gekommen sind, einen Krimi im Barcelona der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, mitten im Franquismus also, spielen zu lassen, wie und wo wir historisch recherchiert haben, wie wir unsere Figuren gefunden und erfunden haben und auf welche Weise wir uns organisiert haben, um mit den besonderen Bedingungen unseres Vorhabens  umzugehen.

Schon die Tatsache, dass hier von „wir“ und „unser“ und nicht etwa von „ich“ und „mein“ die Rede ist, deutet auf das Besondere unseres Projektes hin: Wir schreiben zusammen, gewissermaßen vierhändig. Genauer gesagt: mit drei Händen, denn eine von uns, Rosa Ribas, schreibt mit einem Bleistift, während die andere, Sabine Hofmann, mit dem Computer arbeitet.

An dieser Stelle können wir uns kurz vorstellen: Rosa Ribas ist Autorin von fünf Romanen, darunter sind drei Kriminalromane mit der deutsch-spanischen Kommissarin Cornelia Weber-Tejedor, die unter den Titeln „Kalter Main“ (2009), „Tödliche Kampagne“ (2010) und „Falsche Freundin“ – gerade erschienen – auf Deutsch im Suhrkamp-Verlag veröffentlicht worden sind. Sabine Hofmann hat lange Zeit als Romanistin an verschiedenen Universitäten gelehrt und geforscht und eine Reihe von wissenschaftlichen Büchern und Aufsätzen publiziert.

Zwei Autorinnen also. Das ist bei Krimis nichts besonders Originelles. Autorenteams sind in diesem Bereich zahlreich: Man denke an die Schweden Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die Franzosen Pierre Boileau  und Thomas Narcejac, die Italiener Carlo Fruttero und Franco Lucentini oder die Spanier Empar Fernández und Pablo Bonell Goytisolo. Von Jorge Luis Borges und Adolfo Bioy Casares und ihren wunderbaren Geschichten über Isidro Parodi ganz zu schweigen.

Mit unserem Roman greifen wir so die Tradition des Autorenduos auf, allerdings mit einem Unterschied: Wir schreiben in zwei Sprachen, denn jede von uns hat ihre Schreibsprache, in der sie „ihre“ Kapitel und Szenen schreibt. Bei Rosa Ribas ist es das Spanische und bei Sabine Hofmann das Deutsche. Daraus ergibt sich, dass wir erst einmal ein zweisprachiges Manuskript haben. Aus diesem gilt es dann, via Übersetzung, zwei einsprachige Versionen machen. Beim gegenseitigen Übersetzen – auch das haben wir erkundet – geschieht viel, ein Text wird umgeschrieben, erweitert oder gekürzt. Davon und von vielen anderen Dingen werden in den nächsten Wochen auf diesen Seiten berichten. (Und da wir in zwei Sprachen schreiben, erscheint eine spanische Fassung auf  llegir en cas d’incendi.)

Arbeitsjournal I: Zwei Protagonistinnen, zwei Sprachen

Um die Geschichte des Making-of unseres Romans zu schreiben, haben wir uns alten Notizhefte  hervorgekramt. Dort finden sich  Einträge über die allerersten Ideen, erste Handlungsskizzen, die wir schon lange verworfen haben, andere, die wir weitergetrieben haben, wieder andere, die sich in eine ganz andere Richtung als ursprünglich geplant entwickelt haben.
Nur eins fehlt.
– Wann haben wir angefangen? Hast du das Datum notiert? Ich nicht.
– Ich auch nicht. Aber es muss im Herbst 2009 gewesen sein.
– Stimmt. Im Februar 2010 waren wir auf der BCNegra.

BCNegra ist ein Krimi-Festival, das in jedem Frühjahr in Barcelona stattfindet. In besagtem Jahre stellte Rosa dort einen ihrer Romane („Con Anuncio“, der auf Deutsch „Tödliche Kampagne“ heißt) vor und wir nutzten den Aufenthalt, um mögliche Handlungsorte anzuschauen und Zeitzeugen zu interviewen.
Wann genau wir angefangen haben, wissen wir also nicht mehr. Wie unsere ersten Gespräche aussahen, wissen wir jedoch genau: Wir saßen häufig in einem Frankfurter Café, dem Café Kante, hinten an einem der Tische auf der rechten Seite, über uns ein großer Wandspiegel. Die große Kaffeemühle lärmte, vor uns auf dem Tisch standen zwei Tassen und lagen zwei Hefte.

Wenn wir jetzt in diesen Heften blättern, finden wir Wörter und Sätze aus diesen Gesprächen. Barcelona steht dort. Daneben, durchgestrichen, die Namen von anderen Städten: Frankfurt, Berlin, Bochum, Madrid. Warum Barcelona? Warum die fünfziger Jahre?

Barcelona in den 1950er Jahren. Der Film „Apartado de correo 1001“ von J. Salvador (1950).

Auch das werden wir im Verlauf der nächsten Wochen noch erzählen. Beim Weiterblättern stoßen wir immer wieder auf unleserliche Einträge, die wir beim besten Willen nicht mehr entziffern können.
– Das hier kann doch kein Mensch lesen, Sabine. Was für eine Handschrift!
– Wirklich nicht. Selbst ich nicht. Aber schau mal, das hier ist vollkommen klar.
– „Zwei Protagonistinnen“.

Dass es zwei Protagonistinnen geben wird, gehört zu den Dingen, die uns von Anfang an klar gewesen sind. Genauso klar war uns, dass wir in zwei Sprachen schreiben würden. Das hatten wir früher schon einmal getan. Vor vielen Jahren verfassten wir, gewissermaßen privatissimo, einen kleinen Roman. Privatissimo bedeutet, dass wir – mit viel Begeisterung und Vergnügen – für eine Freundin schrieben und ihr den winzigen Roman schenkten. Es war ein Roman über Antonio de Nebrija, den Verfasser der ersten spanischen Grammatik. Und da unsere Freundin beide Sprachen ausgezeichnet lesen konnte, gab es für sie eine zweisprachige Ausgabe mit Texten auf Deutsch und auf Spanisch, Letzteres war – dies sei bei aller Bescheidenheit erwähnt – ein ziemlich korrekte Imitation des Spanischen des 15. Jahrhunderts.

Ein anderer Punkt, über den wir uns sofort einig gewesen sind, ist, dass Sprache in unserem Roman eine große Rolle spielen sollte. Wie in jedem literarischen Text, ließe sich jetzt einwenden. Gewiss, doch in unserem Roman ist Sprache auch für die Protagonistinnen ein wichtiges Thema, ein Thema, das sie und ihr Leben prägt. Beide sind Meisterinnen des Wortes. Die eine, Beatriz, ist Philologin, Wort-Liebhaberin mithin, und verbringt einen großen Teil ihrer Zeit mit mittelalterlichen Manuskripten. Die andere, Chelo, ist Journalistin und damit eine Vertreterin der schnellen Feder und des treffenden Ausdrucks. Zwei Persönlichkeiten also, die die Welt auf ganz verschiedene Weise betrachten und sich auf unterschiedliche Art mit Sprache beschäftigen: auf der einen Seite die akribische Lektüre und das ruhige Nachdenken, auf der anderen Seite das Bemühen um Wirksamkeit, Geschwindigkeit und Effizienz. Der Ort der einen ist die Bibliothek, Straße und Redaktion sind die Orte, an denen die andere sich bewegt.

Die Biografien der beiden zu schreiben war eine unserer ersten Aufgaben. Jede von uns entwickelte ihre Protagonistin, gab ihr eine Geschichte mit einem Vorher – der Zeit vor dem spanischen Bürgerkrieg – und einem entsprechenden Nachher. Sie gab ihr einen Charakter, Freunde, Verwandte, Familie und eine Wohnung. Und einen Körper und ein Gesicht.

Die beiden Protagonistinnen treffen im Roman aufeinander, sie nehmen einander wahr, jede denkt sich ihren Teil über die andere. Aus diesem Grund muss für jede von uns die Protagonistin der anderen sichtbar sein, wir müssen wissen, wie sie sich bewegt, welche Kleidung sie trägt, welche Gesten sie macht, wie ihre Stimme klingt.

Vielleicht ist dies eines der Merkmale, die ein Schreiben zu zweit charakterisieren: Es gilt, Ideen und Vorstellungen explizit zu machen, damit die andere darauf zurückgreifen kann und sie gegebenenfalls weiterentwickeln kann. Als es um die Personen ging, haben wir Fotos benutzt. Wir haben so lange gesucht, bis wir Fotos gefunden haben, die unseren jeweiligen Vorstellungen von den einzelnen Figuren in möglichst weit entsprochen haben. Nicht allein für die Protagonistinnen, sondern auch für die Nebenfiguren, sowohl für die, die eine eigene Erzählperspektive haben, als auch für diejenigen, die nur gelegentlich oder am Rande erscheinen. Selbstverständlich werden wir unser Fotoalbum nicht zeigen, denn wir möchten keinem unserer Leser ein fertiges Bild der Figur aufzwingen. Was wir jedoch verraten können: Unter ihnen sind Verwandte, Arbeitskollegen, Schauspieler und Schriftsteller.

Beatriz und Chelo sind so auf dem Papier entstanden, sie sind auf den vielen Seiten des Romans gewachsen und sie begleiten uns während der Zeit, in der wir an diesem Roman arbeiten. Aber nun hören wir auf, von ihnen zu erzählen, sondern kehren zu ihnen zurück. Und wir schließen unsere Hefte.

Rosa Ribas und Sabine Hofmann

Für das Foto haben wir Gustavo Pérez-Rodríguez Terminel zu danken.

Zur Hompage von Rosa Ribas. Zur spanischen Fassung: Illegir en cas d’incendi.

 

 

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