Das Leben als Roman?
Bodo V. Hechelhammer über den ZDF-Film von Egmont R. Koch
„An den Scheidewegen des Lebens, stehen keine Wegweiser“, soll Charlie Chaplin einmal gesagt haben. Chaplin hat damit ohne Frage recht. Denn es sind meist nur wenige Momente, die ein ganzes Leben beeinflussen, es in unkontrollierbare Bahnen werfen können. Entscheidungen, die einen zum Glück oder in das Chaos führen. Viele sind schon mit ihrem eigenen, mit »einem« Leben überfordert. Andere Lebenswege, gerade wenn diese in Grenzbereiche unserer Gesellschaft vorstoßen, erscheinen unverständlich: wie kann man nur so ein Leben führen. Ian Fleming ließ es 1964 mit seinem James-Bond-Roman »Man lebt nur zweimal« geradezu moderat angehen. Der ZDF-Film »Arafats Söldner – Die drei Leben des Willi Pohl« setzt noch einen drauf. Es beleuchtet die drei Leben des Willi Pohl. Der war einst ein Krimineller, Neo-Nazi und Terrorist sowie ein Agent des amerikanischen Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA). Danach fing er an, erfolgreich Kriminalromane zu schreiben. Dieser Stoff schreit geradezu danach, gehört bzw. gesehen zu werden.

Der renommierte Filmjournalist Egmont R. Koch hat für ZDF-History dieses äußerst spannende Leben auf 45 Minuten packend nacherzählt. Hinter der Lebensgeschichte verbirgt sich der heute 74-jährigen Willi Voss alias Willi Pohl und sein Leben ist ein eigener Spionageroman, nein eine ganze Romanreihe. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Fiktion, sondern um bittere und brutale Realität. Pohl, im Ruhrgebiet aufgewachsen, wurde kriminell und in den siebziger Jahren Mitglied der rechten Szene in Deutschland. Er pflegte Kontakt zu dem bekannten Neo-Nazi Udo Albrecht. Über Albrecht kam er in Kontakt mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), zu Abu Ijad, Chef des PLO-Geheimdienstes »Rasd«, und wurde deren Offizier. Pohl tauchte in die Organisation »Schwarzer September« um den berüchtigten Terroristen Abu Daoud ein, organisierte in Deutschland Terrorkommandos. So war Pohl an der Vorbereitung des Olympia-Attentats 1972 in München beteiligt. Elf israelische Sportler und Funktionäre wurden damals getötet. Nach dem Attentat wurde er Oktober 1972 von den deutschen Sicherheitsbehörden aufgegriffen. Er erhielt 1974 nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes eine Freiheitsstrafe von rund zwei Jahren, kam allerdings vier Tage nach Urteilsverkündung frei und setzte sich nach Beirut ab.

Willi Pohl lebte mit seiner bald kleinen Familie im Libanon geradezu bürgerlich, wobei der Arbeitsalltag eben der eines Terroristen war. Als er im Sommer 1975 im Auftrag der Palästinenser von Beirut nach Belgrad fuhr und angeblich ohne sein Wissen Waffen und Sprengstoff schmuggelte, der jederzeit hätte hochgehen können, verstand er, nur Mittel zum Zweck zu sein. Er flog an der Grenze auf, kam aber aufgrund von PLO-Kontakten wieder frei. Voss sah sich jetzt an einem Scheideweg für sein weiteres Leben angekommen: Gefängnis, Selbstmord oder Verrat. Er selbst brach im Geheimen mit der PLO und ließ sich von der CIA als Spion anwerben. Sein CIA-Deckname war »Ganymed«, sein Agentenführer wurde Terrence Douglas, der später ein gleichnamiges Buch darüberschrieb. Über Jahre berichtete Pohl der CIA aus dem PLO-Hauptquartier in Beirut, verriet bis in die achtziger Jahre hinein terroristische Anschlagspläne. Er lebte in ständiger Angst vor Enttarnung und Hinrichtung. Die größte Gefahr drohte ihm, als seine Familie in dem ab April 1975 wütenden libanesischen Bürgerkrieg zwischen die Fronten geriet. Er wurde von der berüchtigten christlichen »Phalange«-Miliz im Herbst 1975 entführt, gefoltert und erlebte eine Scheinhinrichtung. Nur mit Glück kam er an Weihnachten frei. Er kehrte dem Nahen Osten geographisch den Rücken zu. Die CIA sorgte schließlich dafür, dass Pohl in Deutschland nicht mehr mit einer Verhaftung rechnen musste.

So fing Willi Pohl sein drittes Leben an und wurde ein bekannter Schriftsteller von Krimis und Spionagethrillern. Er schrieb zunächst unter dem Pseudonym E. W. Pless etwa Western und Jerry-Cotton-Romane. 1979 debütierte er mit dem Roman »Geblendet. Aus den authentischen Papieren eines Terroristen,« einer autobiographisch angelegtem Insider-Story über Terrorismus. Weitere Romane folgten, aber ebenso Drehbücher fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen, u.a. für den »Tatort«, wie 1994 »Singvogel« mit Manfred Krug, und für die Serie »Großstadtrevier«.
Egmont R. Koch ist für das ZDF ein sehr anschaulicher, gut erzählter und damit packender Film über ein unglaubliches Leben gelungen. Der Lebensweg eines Protagonisten, den man als Zuschauer zwar interessant finden, der aber wahrlich nicht als Vorbild dienen kann. Unaufdringlich schwingen über den Film zentrale Fragen mit, die man sich gerade in einer Demokratie und in einem freiheitlichen Rechtsstaat immer stellen muss, aber nur selten offen diskutiert werden. Fragen über den Umgang mit ehemaligen Tätern: einmal Nazi, immer Nazi? Einmal Terrorist, immer Terrorist? Willi Pohl kommt ausreichend selbst zu Wort, denn er will so etwas wie seine Ehre retten, ohne Frage aber sich und sein Handeln erklären. Über seine jeweiligen Motivlage, warum er die jeweiligen Scheidewege seines Lebens so und nicht anders beschritten hat, darüber bleibt er relativ schmallippig. Die zentrale Frage, die man sich angesichts solcher Extrema im Leben zwangsläufig stellt, nämlich die nach der bleibenden Verantwortung für das terroristische Handeln, wird eher vorsichtig formuliert. Willi Pohl entschuldet sich selbst im Film rein mathematisch, dass er durch seine Tätigkeit für die CIA schließlich unzählige Menschenleben gerettet hat, quasi ein Ausgleich für die Opfer während seiner Zeit als Terrorist. Quid pro quo. Eine Sichtweise, die ohne Frage zur Diskussion anregt. »Arafats Söldner – Die drei Leben des Willi Pohl«, ein Film, jenseits der erzählten Lebensgeschichte, zum Nachdenken. Filmempfehlung.
»Arafats Söldner – Die drei Leben des Willi Pohl« lief am Sonntag, den 14. Juni 2020, um 23.45 Uhr im ZDF und ist nun für fünf Jahre in der ZDF-Mediathek abrufbar.
Ein Interview mit Egmont R. Koch (70), Filmjournalist und Autor

Egmont Robert Koch ist ein investigativer Filmjournalist und Buchautor. Bekannt wurde Koch bereits 1978 durch das Thema »Seveso ist überall«. In den folgenden mehr als vierzig Jahren entstanden zahlreiche weitere Fernsehdokumentationen und Bücher, von denen sich viele mit der Welt der Geheimdienste und des Terrorismus kritisch auseinandergesetzt haben. Sein neuster Film »Arafats Söldner – Die drei Leben des Willi Pohl« behandelt das Leben eines ehemaligen Terroristen, CIA-Agenten und Krimi-Schriftstellers.
Frage: Herr Koch, Ihre Filme leuchten immer wieder dunkle Stellen in der Welt der Geheimdienste aus. Warum sind für Sie als Filmemacher gerade diese immer wieder so interessant?
Egmont R. Koch: Zu den speziellen Ambitionen eines investigativ tätigen Journalisten gehört es, etwas Verborgenes ans Licht zu bringen oder wenigstens mal einen kurzen Blick hinter den Vorhang zu werfen, der das verdeckt, was niemand sehen soll. Es liegt daher nahe, die Aktivitäten der Geheimdienste kritisch unter die Lupe zu nehmen, die ja in einer Art Parallelwelt stattfinden.
Der entscheidende Punkt gerade im investigativen Journalismus ist die Recherche, die Beschaffung von Originalmaterial und die Befragung authentischer Zeitzeugen. Wie schwierig gestaltete sich Ihre Recherchearbeit zum Film? Wie kamen Sie an Ihre Informationen?
Grundsätzlich gibt es zwei entscheidende Elemente: Papiere und Zeugen. Aussagekräftige Dokumente zu beschaffen und das Vertrauen von Zeugen zu gewinnen, verlangt Geduld und Fingerspitzengefühl. Bevor Willi Voss alias Willi Pohl zusagte, als Protagonist für einen Film über sein eigenes Leben zur Verfügung zu stehen, haben wir uns viele Mal getroffen und stundenlang gesprochen. Zwar hatte er über sein Leben als Terrorist für Arafat schon ein Buch geschrieben, darin allerdings seine Tätigkeit für die CIA ausgeklammert. Und dann brauchten wir natürlich auch Belege aus verschiedenen Polizei- und Geheimdienstarchiven, um seine Aussagen überprüfen zu können.
Mit »Arafats Söldner – Die drei Leben des Willi Pohl« werden zentrale Lebensabschnitte des früheren Neo-Nazis, Terroristen und CIA-Spions in den siebziger Jahren gezeigt. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film über Willi Pohl zu machen? Warum jetzt der Film?
Es gab keinen besonderen Grund, den Film jetzt zu machen, zumal sich die Realisierung bis zur jetzigen Ausstrahlung über mehr als vier Jahre hingezogen hat. Ich hörte damals von seinem Buch, suchte den Kontakt zu ihm und dann haben wir uns ein paarmal »beschnuppert«, um zu klären, ob es etwas werden könnte mit einem solchen Film über seine drei Leben. Am Ende hat er zugestimmt.
Willi Pohl hat nach seinen Jahren im Terrorismus angefangen, erfolgreich als Krimi-Autor zu arbeiten. War es für Sie schwer, ihn für das Filmprojekt zu gewinnen oder wollte Pohl mit dem Film sein früheres Handeln erklären?
Entscheidend war, dass Pohl nach den ersten Begegnungen irgendwann Feuer und Flamme für das Projekt war. Sicherlich wollte er auch sein damaliges Handeln erklären und die Umstände öffentlich machen, die ihn zum Terroristen werden ließen. Vielleicht war es die Chance für eine Art öffentlicher Lebensbilanz. Die Dreharbeiten boten ihm daneben auch eine Möglichkeit, noch einmal nach Beirut zurückzukehren – oder nach Amerika zu reisen, wo er noch nie gewesen war. Der Höhepunkt der Drehreise in die USA war für Pohl übrigens eine Begegnung mit seinem ehemaligen obersten Boss in der CIA, Duane Clarridge, kurz vor dessen Tod. Clarridge bestand darauf, obwohl er schon erheblich durch eine Krebserkrankung geschwächt war, Willi noch einmal persönlich für dessen Einsatz im Nahen Osten zu danken. Auf Wunsch des Sohnes von Clarridge blieb die Kamera bei dem Treffen draußen. Danach war Pohl/Voss sichtlich ergriffen.
Der Film behandelt seine Jahre als Terrorist aus einer eher neutralen Perspektive. Wie kann man bei solchen Themen, etwa wenn es um das Olympia-Attentat von 1972 geht, ein neutraler Beobachter bleiben, oder können Sie sogar Verständnis für seine Tätigkeiten für ihn aufbringen?
Natürlich haben wir immer wieder sehr kontrovers über sein Leben als Mitglied des »Schwarzen September« diskutiert. Für ihn war das damals wohl ein großes Abenteuer, eine Art Räuber-und-Gendarm-Spiel mit echten Waffen. Ich glaube nicht, dass faschistische und antisemitische Ideologie für ihn dabei eine große Rolle spielte. Er sah für sich in Deutschland keine Perspektive und griff deshalb das Angebot des »Schwarzen September« dankbar auf. Genau so wenig war er auch plötzlich kein Freund der Amerikaner, als er sich der CIA verdingte. Viele Wendungen in seiner Biografie sind im Rückblick nicht leicht zu begreifen. Als die Dreharbeiten an der Gedenkstätte des Olympia-Attentats in München anstanden, wurde die Sache allerdings auch für Pohl durchaus emotional. Er macht ja im Film die Rechnung auf, er habe durch seine Agententätigkeit für die CIA mindestens so viele Juden gerettet, wie in München durch seine Leute vom »Schwarzen September« ermordet worden seien. Das ist wahrscheinlich seine Art, mit der eigenen Schuld umzugehen.
Was hat Sie an der Geschichte über Willi Pohl am stärksten überrascht?
Am stärksten überrascht hat mich seine dritte Karriere als Kriminalschriftsteller. Damit hat er sich doch noch seinen Jugendtraum verwirklicht.
Nach Pohls Karrieren als Terrorist und CIA-Agent wurde er in seinem dritten Leben ein erfolgreicher Schriftsteller von Kriminalromanen und Drehbuchautor. Eine frühe Leidenschaft, die er erst spät professionalisieren konnte. Haben Sie seine Bücher gelesen? Was zeichnet Ihrer Meinung nach gerade den Autoren Willi Pohl aus, seine Erfahrungen?
Ich habe natürlich einige seiner Romane gelesen. Sie mögen von seinen eigenen Erfahrungen als gejagter Terrorist und gejagter Spion beeinflusst sein. Aber sie lesen sich auch gut, ohne seine Lebensgeschichte zu kennen.
Herr Koch, vielen Dank für das Interview.
Das Interview wurde am 9. und 12. Juni 2020 schriftlich geführt.