Was haben ein VS-Treffen, David Bowie, Politthriller und Verschwörungstheorien mit dem subventionierten Literaturbetrieb zu tun? Der Schriftsteller, Fauser-Biograph und Journalist (Rolling Stone etc.) Matthias Penzel (hier und hier mehr) und ist dieser an sich ganz einfachen Frage nachgegangen.
Man muss ja gar nicht die Zeitung aufschlagen oder im Fernsehen Börsen- und Wettervorhersehsagen verfolgen, schon merkt man: Es wird alles immer trüber. Mal wieder. Einer, der überleben will, der lieber Drama will als knochentrockene Realitäten vom Fleischerhaken, der muss Lichtblicke anders suchen. Lichtblicke: Perspektivwechsel, frische Gedanken. Für eine Welt, in der Gedanken von Apokalypse etc. schon seit Urzeiten recycelt werden – wohl weil sie sich mit existenziellen Ängsten gut vereinbaren lassen, also immer Gehör finden – ist das ja ab und an ganz gut: neue Perspektive, überhaupt: Neues!, vielleicht sogar Innovation.
Versammlung
Und so hat sich der Lichtblickesucher auf den Weg gemacht. In Berlin. Ja, eigentlich so außerordentlich blöde wie das Gespräch von Bowie und seiner Entourage, irgendwann in den 70ern, die Nasen gestrichen voll mit bolivianischem Puder, in L.A. gestrandet, alle kreativen Säfte versandet, als die sich da fragten: Mensch, wo könnten wir hin, einfach Musik machen, eine Platte aufnehmen und so – ohne dauernd von Drogen abgelenkt zu werden. Und weil die Herren in der Schule nicht aufgepasst hatten, von Recherche keine Ahnung, sagte einer, und die anderen nickten: In die eingemauerte Stadt, Berlin! Die folgenden Alben gehören zu dem Dekadentesten, was Bowie je gelungen ist, mit freundlicher Unterstützung von noch mehr Betäubungsmitteln und eigentlich rezeptpflichtigen Pillen jedweder Couleur.
Also gut, Berlin. Die Künstlerdichte ist hoch, demnach müsste allerorten nach dem gesucht werden, was Musik und Literatur und Bilder zumindest gelegentlich ausmacht: der andere Blickwinkel. Erster Termin ist die Mitgliederversammlung der größten Vereinigung von Berliner Schriftstellern. Schreibende gibt es in Berlin einige, arm und sexy und so, auf Buchumschlägen ist es zu lesen, und hier waren auch ein paar Dutzend zugegen. Die Gedanken drehten sich, wie das bei freischaffenden Handwerkern so sein kann, um das liebe Geld. Oder eher das geliebte Geld, denn eigentlich verabscheut man es ja. Wenn man darüber spricht, dann nicht, um zu beraten, wie man es als Mittel zum Zweck möglichst weise einsetzt, sondern: Es muss her. Weil die – traditionell eher politisch links einzuordnende – Vereinigung mit ihrer überschaubaren Auswahl diskutierender Mitglieder jemanden vom Senat da hatte, ging es um die Töpfe, in denen das Geld aufbewahrt wird. Heißes Thema, um den heißen Brei wurde nicht geredet, alle wollen was von dem, was in den Töpfen ist, alle haben Argumente, warum Literatur allgemein, die eigene im Besonderen, wieder mehr gefördert werden müsste. Und keiner hatte – ja, fast ein Spiegel der Zeit von Bowie in Kalifornien – so richtig Überblick, wie eigentlich das Geld verteilt wird.
Bei Förderungen spielt immer wieder das Fördern der nachkommenden Generationen eine Rolle – also Lesungen an Schule, ganz ganz schlimm, war früher besser, obwohl es da auch nicht immer so gut war –, doch noch etwas anderes soll gefördert werden. Was war das, was ist es? Ah ja, irgendetwas Neumodisches, etwas wie Innovation. „Was soll denn das?“, staunte eine/r der Diskutierenden: „Auf den Kopf stellen und vorlesen?“ Warum nicht, denke ich, wiewohl das ja nicht wirklich so neu wäre. Wie gesagt, traditionell eher politisch links – was heute leider zu bedeuten scheint, von progressiv keine Spur, traditionell eher Traditionen verbunden. Zu den Traditionen gehört, dass man die Realität nur selektiv wahrnimmt. Vielleicht hat sich seit Mauer-Zeiten doch nicht so viel verändert, und nicht nur Bowie-Fans erinnern sich mit Wehmut, wie toll das war, als alles … auch schwierig war? So ging es also um alte und neue Klassiker – KSK, Bürokratieabbau, Steigerung der Einflussnahme, Demokratieabbau –, es ging um Abmahnverfahren, aber um Literatur ging es nicht. Lauter schwere Substantive, wie in einem richtigen Proseminar in der Akademie für Ältere. Und es ging um sechsstellige Beträge, bei denen die Augen leuchteten, Summen, die die Phantasie beflügeln – aber nicht so, dass man das mit anderen teilen oder denen mitteilen würde. Alles schön und gut, keine Lösung in Sicht … was mich ein letztes Mal abschweifen lässt nach Kalifornien, wo Ende der 60er-Jahre ein Dichter/Reporter für ‚Open City‘, eine Art Szene-Mag, das schreiben durfte, was er schreiben wollte, auch wenn er dafür kaum Geld bekam. Er machte es trotzdem, für ihn war es „aufregender und riskanter, für ‚Open City‘ zu arbeiten – den mutigsten Fetzen Zeitung, schätze ich, den wir in den USA heute haben“. Betriebswirtschaftlich sattelfest fuhr der Schreiber weise fort: „Aber davon allein kann man sich eben in Gottes Namen noch keine Margarine aufs Toastbrot streichen, und für die Katze fällt dabei auch nichts ab; und bald kommt es so weit, dass man den Toaster verschrotten kann und die Katze in die Pfanne hauen muss.“
Präsentation
Deshalb also weiter zum nächsten Termin, zu Leuten, die über Wichtiges schreiben, gegebenenfalls auch für Zeitungen, die nicht jeder kennt; oder liest. Sind die Sachen aufregend und riskant genug, kann man sie ja noch in Buchform verbraten. Weiter also zu der Präsentation von Terrorziel Europa. Der Verfasser, Jürgen Elsässer, einst Lehrer in Baden-Württemberg, hat sich einen Namen gemacht als einer jener Journalisten, die noch wirklich nachbohren, wo sich andere schon als Investigativ-Reporter auf die Schulter klopfen, er ist einer, der nicht nur nach neuen Fakten sucht, sondern auch Gedanken formuliert, wie sie nicht jedem passen. Am liebsten hätte er das Buch „Die Geheimdienste sind blind“ genannt, stattdessen „Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste“. Es geht, Kenner ahnen es bereits, um die Strategie der Spannung, Gladio, CIA-Aktivitäten beim Terror in Italien. Also nicht nur neue Fakten, aber auch nicht nur im Internet mit Cut&Paste alte Süppchen neu aufgekocht. Trotzdem, darin ähneln sich eben Nachrichtenmagazine und Nachrichtendienste, viele „Informationen“ und dann eben die Wertung bzw. Interpretation. Bei Elsässer warnend vor der US-Politik, die mit allen Mitteln ihre Vormachtstellung halten will, ökonomisch wie ideologisch. Man gerät bei der Interpretation, also der Perspektive leicht in (alt-)bewährte Fahrwasser – was die Auswertung weder bestätigt noch diskrediert. Sehr spannend. Ein erkenntnistheoretisches, also grundsätzliches Problem bleibt bei der Auswertung von Fakten bestehen: Nur weil eine Argumentation plausibel klingt, nur weil bestimmte Motive schlüssig klingen, entsprechen sie nicht zwingend der Wahrheit. Denn die hat, wie die Wirklichkeit, mehr als eine Ebene.
Treffen, gar nicht konspirativ
Von diesen Großversammlungen, weiterhin auf der Suche nach neuen Perspektiven, begab ich mich darauf in eine kleine Kreuzberger Kneipe, die außer mir anscheinend jeder kennt – und traf dort auf junge Literateure, die in aus Steuergeldern finanzierten Gremien und Literaturhäusern arbeiten. Auch sehr interessant. Förderungen von Literatur, so war zu erfahren, werden gar nicht in Geheimbünden entschieden. Zwar fallen die Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz sind so wie man das bei deutschen Amtsstuben kennt, armselig, doch das ist nicht immer Strategie. Es liegt einfach daran, dass man sich in den entsprechenden Ausschüssen und Vereinen zu wenig Gedanken macht. Wer nachbohrt, erfährt das schnell.
Das ein Gedanke? Vielleicht sogar innovativ? Nachbohren, warum die Literatur, die viele interessiert, so oft unter den Tisch fällt? Warum immer dieselben Leutchen und Verlage Preise einheimsen? Ja, klingt wie eine gute Idee. Der Haken dürfte wiederum in der Nähe des Vorworts von Bukowski zu finden sein, jener oben zitierten Zeilen aus Aufzeichnungen eines Außenseiters: Der richtige wichtige Dichter hat mit Gruppen und Wir-Gefühlen Probleme – und deshalb ist sein Einfluss begrenzt.
Matthias Penzel
Für David Foster Wallace (1962–2008), schrecklich amüsant aber in Zukunft ohne mich.
Bücher:
David Foster Wallace: Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich (Aus: A Supposedly Fun Thing I’ll Never Do Again: Essays and Arguments, 1997). Goldmann TB 2008. 192 Seiten. 5,95 Euro.
Jürgen Elsässer: Terrorziel Europa: Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste. Residenz Verlag 2008. 344 Seiten. 21,90 Euro.
Charles Bukowski: Aufzeichnungen eines Außenseiters (Notes of a Dirty Old Man, 1968). Übersetzt von Carl Weissner. Fischer Taschenbuch. 188 Seiten. 7,95 Euro.
1. Veranstaltung (17. September 2008, 17:00 Uhr): Mitgliederversammlung des VS Berlin. VS in ver.di, Landesbezirk Berlin, Köpenicker Str. 30, Berlin
2. Veranstaltung (17. September 2008, 19:00 Uhr): Buchpräsentation und Gespräch (Jürgen Elsässer: Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste) Buchpremiere mit Jürgen Elsässer und Klaus Eichner; Moderation: René Heilig Verlag Neues Deutschland, Großer Saal, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin Gemeinschaftsveranstaltung von Neues Deutschland und Residenz Verlag.
3. Geheim