Geschrieben am 14. April 2012 von für Crimemag, Rubriken

Alf Mayers „Kulturgeschichte des Scharfschützen“, Teil VIII

„Peter, den Bolzen!“ oder: So viel Fadenkreuz war nie

Alf Mayer zur Kulturgeschichte des Scharfschützen und zum Thriller-Autor Stephen Hunter (Teil VIII). Heute: Liebesgrüße an ein Gewehr, James Bond und Solo für O.N.C.L.E., Winchester 73, Karl May,Vico Torrianis „Goldener Schuss“ und Sam Fullers nicht gedrehter Film.

Der Präsident und sein Attentäter waren Fans des gleichen Buches: „From Russia with Love“. In seiner im März 1961 zu PR-Zwecken veröffentlichten Leseliste stellte US-Präsident John F. Kennedy den Ian-Fleming-Roman „Liebesgrüße aus Moskau“ noch vor Stendhals „Rot und Schwarz“. Das beförderte natürlich die Popularität Flemings ungemein, so wie Walter Mosley später von Bill Clintons Empfehlung profitierte und einer breiteren Leserschaft bekannt wurde. Als das Leben des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald (siehe Teil vier) vom FBI auseinandergenommen wurde, fand sich, dass auch er, der eine Zeit seines Lebens in der Sowjetunion verbracht hatte, den 007-Roman goutiert hatte.

Geheimagent 007 James Bond war für Kennedy ein weit attraktiveres Rollenmodell als die ihm von Norman Mailer 1960 beim Kongress der Demokratischen Partei angedichtete Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Marlon Brando, der schließlich nur ein Schauspieler war. CIA-Chef Allen Dulles bemühte sich sogar um ein Treffen mit dem nach „Dr. No“ zum Karibik-Experten avancierten Briten, nachdem der vorgeschlagen hatte, die aufziehende Kuba-Krise dadurch zu entschärfen, dass Castro lächerlich gemacht werden solle.

Kennedy war der erste, aber nicht letzte Präsident der Vereinigten Staaten, der sich gleichzeitig als „Darsteller“ und Idealkonsument populärer Kultur inszenierte bzw. inszenieren ließ. Die Präsidentschaft, so würde Norman Mailer es beobachten, sei „eine eigentlich primitive Rolle und inspiriere die Stämme Amerikas, die Moden und das Benehmen ihres Anführers zu übernehmen“. JFK wurde in Broadway-Stücken imitiert, Frank Sinatra war sein Freund (und zugleich Darsteller dann in zwei Attentatsfilmen, siehe Teil fünf), das Showbusiness legte ihm bei der Geburtstagsfeier am 19. Mai 1962 im New Yorker Madison Square Garden die Schauspielerin Marylin Monroe in einer hautengen, glitzernden Robe buchstäblich zu Füßen, ihr „Happy Birthday, Mr. President“ eine selten erotische Offerte. Kennedy war (beinahe) so viril wie Bond, mehr als einmal hatte er die Monroe in dieser Zeit vernascht, auch in der Außenpolitik zog er die Zügel an, die Medien strickten an einem Supermann-Bild.

Im Kino wurde James Bond die Verkörperung des New Frontiersman, dem dann sogar der Mond und die Sterne gehörten, Satelliten und Weltraumraketen waren früh und auch jenseits von „Moonraker“ das Inventar der Bond-Filme. „A Fire on the Moon“, so betitelte Mailer seine NASA-Eloge, eine in ihrem Pathos unübertroffene Huldigung der zivilisatorischen Leistungen Amerikas. Fleming war auf verschroben-perverse Weise am Puls der Zeit und der Weltpolitik, er popularisierte sie. „Bond lebte in einem Tagträumerparadies schöner Frauen, riskanter Pokerspiele, knapp überstandener Gefahren und kaum gezügelter Libido“, schreibt der Kulturhistoriker J. Hoberman in seinem Sixties-Porträt „The Dream Life. Movies, Media and the Mythologie oft he Sixties“ (2003). Als „Dr. No“ in London Premiere hatte, imaginierte die „Times“ die baldige Privatvorführung für den amerikanischen Präsidenten: „Vermutlich gegen 19.30 Uhr wird er einen kleinen Raum betreten und für zwei Stunden wird der Projektor mit seinen Emotionen spielen. Er mag dabei vielleicht stöhnen, aber körperlich wird ihm nichts geschehen. Danach wird ihm sein Job in der realen Welt relativ zahm erscheinen, denn er hat James Bond erlebt und dessen – das muss man hier im Original wiedergeben: „cosmic bravery, stupefying virilty, six-acre brain and deadproof nonchalance – the President‘s favorite fictional hero“.

James Bond: Das Fadenkreuz wird hip

Kritik war bei Kennedy nicht sonderlich gefragt. Der gemeinhin als Vorzeigejournalist gerühmte Edward R. Murrow (von David Strathairn verewigt im Clooney-Film „Good Night and Good Luck“), unter Kennedy Chef der U.S. Information Agency, intervenierte in Hollywood gegen die angekündigte Filmadaption des Romans „Der hässliche Amerikaner“ von Eugene Burdick und William Lederer, in dem das amerikanische „Engagement“ in Südostasien Thema wird. Murrow empfahl, sich mit amerikakritischen Filmen zurückzuhalten. Und während in Vietnam ein – auch von Scharfschützen mit einer neuen Qualität ausgetragener – Krieg begann, etablierte sich das Fadenkreuz in der Ikonographie der Populärkultur. Dies nicht nur in paranoiden Attentats- und Verschwörungsthrillern oder im Film Noir (siehe die Teile vier und fünf und Forsyths „Schakal“ in Teil sechs), sondern im breiten Unterhaltungskino. Vorreiter dabei: die James-Bond-Filme. Der bis heute zwingend dazugehörende 007-Vorspann tauchte 1963 erstmals in „Liebesgrüße aus Moskau“ auf, dem zweiten Bond-Film. Der Erfinder der über weibliche Körper wabernden Vorspanntitel war Robert Brownjohn, Maurice Binder schuf das typische Bond-Logo: Wir Zuschauer, so das uns allen seitdem vertraute Einstimmungsritual, schauen durch einen Gewehrlauf, der sich auf den vorbeigehenden James Bond richtet; der wirbelt herum, zieht seine Waffe und schießt auf uns. Die Leinwand färbt sich rot, Blut rinnt herunter. Und niemand zuckt mit der Wimper. That’s coolness.

Horst Lettenmayer

Auf Youtube gibt es eine Kompilation der Modifizierungen dieses Vorspanns über die Jahrzehnte. Auch der deutsche „Tatort“ wird seit 1970 mit einem Fadenkreuz eröffnet: Ein Paar Augen werden eingekreist, anschließend ein Paar rennende Beine mit kräftigen Linien eingefangen. Augen und Beine gehören dem Schauspieler Horst Lettenmayer, der dafür einmalig 400 Mark Honorar erhielt und nur 1989 in einer Schimanski-Folge einen wirklichen Auftritt haben durfte. Die Titelmusik übrigens komponierte [[Klaus Doldinger]], am Schlagzeug saß Udo Lindenberg.

Das erste Bond-Gadget: ein Scharfschützengewehr

Im „Liebesgrüße“-Roman tritt James Bond erst nach über einhundert Seiten selbst auf, die Verfilmung führt uns in ihrer ersten Sequenz in den Garten einer Villa, die an jene aus „Letztes Jahr in Marienbad“ erinnert. Der sich dort anschleichende Bond wird von einem russischen blonden Killer Grant erwürgt (Robert Shaw), ein Schockeffekt, der sich mindert, als dem Toten die Bond-Maske abgerissen wird – drei Jahrzehnte bevor „Mission Impossible I bis III“ mit solchen Effekten aufwartete. In „[[Liebesgrüße aus Moskau]]“ kamen auch die ersten Bond-Gadgets zum Einsatz, sie befinden sich in einem mit einer Tränengaspatrone gesicherten Lederkoffer. Die Hauptattraktion: ein in vier Teile zerlegbares Scharfschützengewehr, ein AR7, das samt Infrarotzielfernrohr in seinen hohlen Kolben passt. Im Roman kam eine solche Waffe nicht vor, die AR-7 Survival-Rifle vom Kaliber .22 LR (5,56mm), die von der Firma Armalite für die US Air Force  als Notfallbewaffnung hergestellt wurde, war ein filmisches Bonbon, ihr Nachtsichtgerät in der gezeigten Größe damals technisch nicht machbar. Auch der Pager, mit dem M. ihn dauernd erreichen konnte oder das Autotelefon in seinem Bentley Mark IV waren Zukunftsmusik.

Bei den Dreharbeiten in London war die erste Szene, die gedreht wurde, die Vorführung des Aktenkoffers in M.’s Büro. „Lassen Sie den Equipment Officer herein, Miss Moneypenny“, sagt M. in der deutschen Fassung in die Sprechanlage. Q. hatte noch keinen Namen, seine Auftritte wurden jedoch bald ein fester Bestandteil der Bond-Saga. Das zerlegte Gewehr trägt Bond nonchalant in der inneren Jackettasche, als es dann Zeit für den Einsatz der AR 7-Scharfschützenwaffe wird. Der Istanbuler Stationschef Kerim Bey (Pedro Armendáriz in seiner letzten Rolle) muss sich des russischen Killers Krilencu entledigen, Bond überlässt ihm dafür den Vortritt, bietet seine Schulter als Auflage an und warnt: „Vergessen Sie nicht, dass Sie nur einen Schuss haben!“ Kerim Bey trifft seinen Mann, der filmisch wirksam, um nicht zu sagen cineastisch dekorativ aus dem Mund eines hausgroßen Anita-Ekberg-Plakats an einer Strickleiter absteigt und als ein spektakuläres Scharfschützenopfer

Lotte Lenya als Rosa Klebb

endet. Bonds große Gegenspielerin ist Rosa Klebb, eine böse alte, lesbische Russin mit ausfahrbarem Giftdolch in der Schuhspitze – verkörpert von niemand Geringerem als von [[Lotte Lenya]], der Witwe des Komponisten Kurt Weill. In den Monaten der englischen Profumo-Krise zeigten die „Liebesgrüße“ eine Erpressung mit Sexfilmaufnahmen, das Kokettieren der Verführerin vor einem Spiegel, Bond wurde als (k)einem Dreier abgeneigter Helden gezeigt und war überhaupt so cool, „dass in der Tat von diesem Moment an die ganze Welt verrückt nach Geheimdienstagenten wurde“, so der Kulturhistoriker J. Hoberman.

Auf dem Flug nach Istanbul übrigens liest Bond in Amblers „Die Maske des Dimitrios“ (1939), Fleming und Ambler teilten sich einst sogar einen (realen) Agenten, waren befreundet. Die Balkan-Eisenbahn war bereits in Graham Greenes „Stamboul Train“ (1932) und Agatha Christies „[[Murder on the Orient Express]]“ (1934) sowie Hitchcocks „[[The Lady Vanishes]]“ (1938) Sujet. 22 Prozent der Briten sahen „Liebesgrüße aus Moskau“, in Deutschland machte [[Arnim Dahl]] mit seinen Kaufhausklettereien Reklame, in nicht wenigen Kinos lief der Film bei uns von Februar bis Oktober 1964, in der heutigen Verwertungskette undenkbare acht Monate lang. Andere Zeiten, auch in folgender Hinsicht: Die Pille kam 1963 auf den Markt, AIDS warf noch keine Schatten. Die Welt war bunt und frei.

Ian Fleming benutzte den Scharfschützen-Topos noch einmal, und zwar 1966 in der Erzählung „[[The Living Daylights]]“, die ursprünglich „Trigger Finger“ heißen sollte. Bond wird darin nach Westberlin gesandt, um einen Scharfschützen jenseits der Mauer auszuschalten, der die Grenzüberquerung eines britischen Agenten gefährdet. Um sich die Zeit zu vertreiben, liest der des Tötens überdrüssig gewordene Bond in einem deutschen Schundroman,  und als er erspäht, dass es sich bei seinem zu eliminierenden Gegner um eine schöne junge Musikerin handelt (so viel zur Filmversion mit Timothy Dalton), verpatzt er absichtlich den Job, hofft sogar, dass M. ihm kündigt. Für seine Hintergrundrecherche kontaktierte Fleming Captain E.K. Le Mesurier, den Geschäftsführer der National Rifle Association.

„Solo für O.N.C.E.L.“: Eine Serie persifliert sich selbst

„Liebesgrüße aus Moskau“ hatte am 10. Oktober 1963 Premiere, sechs Wochen später fiel Kennedy den Kugeln eines (wirklich nur eines?) Scharfschützen zum Opfer, die Filmaufnahmen des im offenen Wagen erschossenen Präsidenten – der sogenannte „Zapruder-Film“ – gingen in die Ikonographie des 20. Jahrhunderts ein (siehe Teil drei ). Das Fadenkreuz hat sich seitdem weltweit in das kollektiv-kulturelle Gedächtnis als Zeichen eingebrannt.

Mit James Bond wurden Schusswaffen Kult, sie wurden Accessoires für coole Posen, waren sexy Spielzeug. Bald schon gab es Bond-Nachfolger, Nachahmer und Konkurrenten, die durch allerlei Übertreibungen auf sich aufmerksam zu machen suchten. Die Agentenserie „Solo für O.N.C.E.L.“ (im Original „The Man from U.N.C.L.E.“) etwa lief von 1967 bis 1968 im ZDF. Das Hauptquartier des „Organization Network Command for Enforcement and Law“ lag in New York hinter einer Schneiderei versteckt, der US-Agent Napoleon Solo (Robert Vaughn) und sein russischer Kollege Ilya Kuryakin (David McCallum) kämpften gegen den global operierenden Verbrecherkonzern der „Drosseln“ (im Original THRUSH). Absurde Plots, große Schlitten, Ausrüstungs- und Technikorgien, die Synchronisation von Rainer Brandt mit zusätzlichen Gags und Kalauern sowie konsequente, handlungsbeschleunigende Wischblenden sorgten für ein damals beinahe schwindelerregendes Erzähltempo. 105 Folgen wurden gedreht, der Starkult erreichte Beatle-Mania-Ausmaße. Viele Stars gönnten sich Gastauftritte, darunter auch Senta Berger. Ausgestrahlt in Deutschland wurden 26 Folgen, RTL entschloss sich 22 Jahre später zur Ausstrahlung weiterer Teile. Trash – besser hier: Camp – never dies.

Der Waffenfetischismus der U.N.C.L.E.-Serie war sprichwörtlich, die vielen deutschen Wehrmachtswaffen verschafften Exotik und manchem deutschen Zuschauer wohl auch noch andere Gefühle, manche der teils unmöglich anmutenden Schießprügel aber waren schlicht umlackierte Wasserpistolen. Ein Eigenleben entfalteten die TRUSH-Gun und „Die Gun“, eine zum Gewehr ausbaubare Walther P-38, vielen wohl eher als Luger Parabellum bekannt. Das zusammensteckbare, recht unmöglich aussehende Präzisionsgewehr, mit dem man auch Betäubungspfeile verschießen konnte, besaß ein Infrarot-Sniperscope und wurde zur ersten Schusswaffe in der Geschichte der Fernsehunterhaltung, für die Fanbriefe eingingen. Das US-Militär, das sich einige Male nach den futuristischen Waffen der Serie erkundigte, musste erfahren, dass keine der Waffen wirklich funktionierte, sondern eben alles nur Show war. (Harlan Ellison übrigens schrieb für die Serie zwei Episoden, in einer verschiebt ein Schweizer Banker Milliarden von Dollar, wohlgemerkt 1967.) Noch Dominik Graf staffierte 1988 Götz George als Schwerverbrecher Probek für „Die Katze“ mit einem absurd aufgepimpten Scharfschützengewehr aus. Solch ein Ding macht sich einfach gut und gibt dem Helden eine coole Note.

„Winchester ’73“: ein Gewehr als Handlungsträger

Bis zu Clint Eastwoods Magnum in „Dirty Harry“ (siehe Teil sieben) wird in Gangsterfilmen wenig Aufhebens um Waffen gemacht, noch in Raoul Walshs Gangsterfilm „White Heat“ (1949) ist es völlig egal, womit James Cagney oben auf dem Wasserturm herumfuchtelt und die Welt zum Teufel flucht. Auch die ganze Genregeschichte des Westerns kommt – erstaunlicherweise – beinahe ohne Scharfschützen aus, der deutsche Filmtitel für „The Shootist“, was etwas anderes ist als der deutsche Titel „Der Scharfschütze“, sollte da nicht täuschen. Explizit spielt ein Gewehr in Anthony Manns „[[Winchester ’73]]“ (von 1950) die Hauptrolle. „The gun that won the West“, wie es im Vorspann heißt, wechselt darin mehrmals den Besitzer, was einen Querschnittsritt durch die Handlungsfelder des Western erlaubt. Noch einmal der Vorspann: „To cowman, peace officer or soldier the Winchester 73 was a treasured possession, an Indian would sell his soul to own one …“ Die längste Sequenz dieses schön fotografierten Schwarzweißfilms ist ein Wettschießen auf der Hauptstraße von Dodge City, bei dem James Stewart sich den ersten Preis, eben eine besondere Winchester, eine aus der Linie „One of One Thousand“, sichert. Erst wird der Abstand zu den Zielscheiben immer weiter vergrößert, mit immer dem gleichen Ergebnis: „three bull’s eyes“, dann schießt James Stewart mitten DURCH einen hochgeworfenen Ring, was die aufgeklebte und zerfetzte Briefmarke beweist.

Das Winchester-Gewehr wurde in der Zeit der amerikanischen Revolutionskriege entwickelt, die erste Baureihe kam 1866 als Nachfolger des Henry-Gewehrs (siehe dazu auch Old Shatterhands Henry-Stutzen weiter unten) auf den Markt. Besonders das Repetier-Modell Winchester ’73 der Winchester Repeating Arms Company in New Haven, Connecticut, wurde  zum Synonym für die (mit Schusswaffen durchgesetzte) Besiedlung des Westens. Die Modellreihe „Eine unter Tausend“ wurde ab 1875 auf den Markt gebracht. Aus einem Fertigungslos von jeweils 1000 Stück Läufen wurden dafür die am präzisesten schießenden ausgesucht und in ein Gewehr eingebaut, das eine eigene Gravur erhielt. 136 solcher Exemplare wurden gefertigt, der Stückpreis betrug 100 US-Dollar, 60 mehr als eine handelsübliche Winchester. Der durchschnittliche Monatslohn eines Cowboys  damals waren etwa 30 Dollar. 60 Exemplare des Modells 1873 „One of One Thousand“ sind noch erhaltenen, jedes hat einen Sammlerwert von gut 125.000 Dollar.

Eigentlich war „Winchester ’73“ das Projekt des deutschen Exilregisseurs [[Fritz Lang]] gewesen, dem Regisseur des Thrillers „Man Hunt“, in dem Hitler ins Zielfernrohr eines englischen Scharfschützen gerät (siehe Teil vier). Lang hatte den Winchester-Stoff aus einer Story von Stuart N. Lake entwickelt. Die Handlung, laut Lang: „Ein Westerner verliert sein Gewehr, das für ihn der einzige Lebensgrund und das Symbol seiner Stärke war. Er muss diese Waffen finden oder einen neuen Grund zum Leben finden. Er muss seine verlorene Kraft wiederfinden.“ Es sollte ein Technicolor-Film werden, das erste Drehbuch umfasste 200 Seiten – Stoff für einen Monumentalfilm. Während der Arbeit an kürzeren Versionen fielen die Rechte an das Filmstudio Universal zurück, und Anthony Mann und James Stewart kamen zum Zuge.

Die Ambivalenz einer so treffgenauen Waffe wird in „Winchester ’73“ immerhin mehrfach thematisiert: „a weapon who promised life and dealt out death“. Samuel Fuller, der in seinem Projekt „The Rifle“ ein Gewehr durch den Vietnamkrieg begleiten wollte, fand jedoch dafür keine Geldgeber. „The story was centered on an old M1 rifle, a World War II relic, which passes through the lives of my main characters, a legendary colonel with a death wish, a fourteen-year-old Viet Cong, an insane French nun, and a crazed soldier who steals blood from the wounded“, erzählt er in seiner Autobiografie „A Third Face. My Tale of Writing, Fighting and Filmmaking” (New York, 2002). Der Film sollte die Sicht der kleinen Leute auf den Krieg zeigen. Fullers Traum war es, den Film aus der Perspektive des Gewehrs zu drehen, in kontinuierlichen Sequenzen von zehn Minuten.

Karl Mays Gewehrmythen: Silberbüchse, Henrystutzen und Bärentöter

Der Western war bereits ein ausblutendes Genre, als frisches Blut aus Europa kam. Nein, nicht gleich von den Italowestern. Lee van Cleef gab 1965 in Sergio Leones „[[Für ein paar Dollar mehr]]“ eine coole Vorstellung als stets korrekt gekleideter Kopfgeldjäger und Scharfschütze Colonel Douglas Mortimer, der ruhig an sein Pferd tritt, es streichelt und gelassen die ungewöhnliche Satteldecke aufknüpft, während sein Delinquent davonreitet; aus dem sich entfalteten Arsenal diverser dünnläufiger Gewehre und Läufe wählt er das richtige, stellt sich in Position, zielt und holt sein Opfer auf weite Entfernung aus dem Sattel.

http://www.youtube.com/watch?v=hRlGbr3NuYc&feature=relmfu

Die Italowestern griffen Platz, weil der deutsche Produzent [[Horst Wendland]] mit seinen Karl-May-Filmen es vormachte, dass in Europa mit Western Geld zu verdienen sei. Damit sind wir bei einem weiteren Schusswaffen-Fetischisten, bei [[Karl May]]. Noch vor seinem Helden stellt er in der ausdrücklich für Jugendliche geschriebenen Erzählung „Der Sohn des Bärenjägers“ (1887) dessen Waffe vor: „Dies war die berühmte Silberbüchse, deren Kugel niemals ihr Ziel verfehlte. Der Ausdruck seines ernsten, männlich-schönen Gesichtes war fast römisch zu nennen; die Backenknochen standen kaum merklich vor, und die Hautfarbe war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Das war Winnetou, der Apachenhäuptling, der herrlichste der Indianer. Sein Name lebte in jeder Blockhütte und an jedem Lagerfeuer. Gerecht, klug, treu, tapfer bis zur Verwegenheit, ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, gleichviel ob sie rot oder weiß von Farbe waren, so war er bekannt über die ganze Länge und Breite der Vereinigten Staaten und deren Grenzen hinaus.“

In einer Zeit, in der auch in Flauberts „[[Madame Bovary]]“ eine Entfernung mit „mehr als ein Büchsenschuss“ angegeben wird, machte Karl May nicht nur mit fremden Ländern und Sitten, sondern – wenn auch wenig tiefschürfend – zudem mit drei Gewehren bekannt, sozusagen als Individuen. Hier eine Szene aus dem Erzählband „Der schwarze Mustang“:
„Und ihre Waffen? Sind sie wirklich so vorzüglich, wie man erzählt?“ – „Will es meinen, Sir! Aus Winnetous Silberbüchse ist noch nicht ein Fehlschuss gegangen; sie hat in ihrer Art nicht ihresgleichen. Der Bärentöter Old Shatterhands ist wie ein brüllender Löwe, dem keine Beute entgehen kann, und wenn sie noch so schnell entflöhe. Und nun erst sein Henrystutzen! Ich bin Büchsenmacher gewesen und verstehe mich darauf. Henry hat, glaube ich, nur zehn oder zwölf solcher Stutzen gefertigt, aber wer hat sie und wo sind sie? Keiner von ihnen ist bekannt, als nur der Old Shatterhands. Dieser Stutzen, ursprünglich ein totes Meisterstück, ist in dieser Hand zu einem lebenden Wesen geworden, hat denken, berechnen und gehorchen gelernt. Old Shatterhand wettet zwar mit jedem fremden Gewehr nach drei Probeschüssen so hoch ihr wollt, auf Ziel; hat er aber seinen Stutzen in der Hand, so würde er Euch niederschlagen, wenn Ihr es wagtet, ihm eine Wette anzubieten.“ Bei Lebzeiten, so heißt es in „Weihnacht“, wo es in einer Erzählung um die Begegnung mit solch einer besonderen Waffe geht, „verkauft oder verschenkt so ein Mann ein solches Gewehr nie“.

„Der goldene Schuss“: Jeder darf mitzielen

[[Lex Barker]], der als Darsteller des Old Shatterhand zum Filmhelden der Deutschen geworden war, war 1968 Stargast bei Vico Torriani und dessen ZDF-Show „Der goldene Schuss“. Das war keineswegs eine Sendung über Rauschgiftsüchtige, Nelson Algren oder die Kinder vom Berliner Bahnhof Zoo. Es war originäre deutsche Fernsehunterhaltung, die erfolgreichste Sendung der Sechziger mit einem Allzeitrekord von bis zu 74 Prozent Zuschaueranteil, 1964 bis 1970 insgesamt 50 Mal ausgestrahlt. Mittelpunkt des Straßenfegers war – das immer gleiche Schießspiel mit einer Armbrust. Nach dem Kommando „Kimme, Korn, ran!“, von Vico Torriani später ergänzt mit der Aufforderung „Bruno, den Bolzen!“, mussten Kandidaten aus dem Saal oder solche am Telefon ins Schwarze treffen. Das ZDF hatte dazu eine große Studiokamera zu einer gewaltigen Harpune umgerüstet, Moby Dick wäre ob des Anblicks gewiss sofort abgetaucht. Die Zuschauer waren dank des Geräts auf der Linie Kimme-Korn-Ziel, dem Kameramann jedoch waren die Augen verbunden, die Telefonkandidaten mussten ihn innerhalb der gegebenen Zeit einweisen mit: „Links! Rechts! Runter! Hoch! … Schuss!“ Wer erfolgreich war, berühmt wurde das geflügelte Fernsehwort „Der Kandidat hat 99 Punkte“, qualifizierte sich zum Studiokandidaten und konnte dann über allerlei Geschicklichkeitsspiele als Schützenkönig ins Endspiel einziehen, in dem ein Beutel mit Gold zu gewinnen war. Dazu musste mit der Armbrust der Faden getroffen werden, an dem der Goldbeutel hing – eben der „goldene Schuss“.

Das Konzept war von den Schweizern Hannes und Werner Schmid und dem Niederländer [[Lou van Burg]] entwickelt worden. Van Burg, schnell als „Onkel Lou“ oder „Mister Wunnebar“ bekannt, moderierte überaus erfolgreich, die Sendung begann stets mit seinem Lied „Der goldene Schuss heißt unser Spiel; dass Sie sich freuen, ist unser Ziel …“ Als der verheiratete Onkel Lou jedoch eine Affäre mit seiner ebenfalls verheirateten Assistentin begann, war für das ZDF „die Visitenkarte beschmutzt, sie muss und soll aber sauber bleiben“, so der ZDF-Intendant Karl Holzamer im Sommer 1967. Lou wurde nach 24 Sendungen mit 120.000 Mark abgefunden, die Jubiläumssendung, nämlich die 25., moderierte dann schon Vico Torriani. Es war die erste in Farbe ausgestrahlte Sendung im deutschen Fernsehen, Kanzler Willi Brandt hatte dafür auf der Berliner Funkausstellung extra einen roten Knopf gedrückt. Wie sein Vorgänger bestritt Torriani einen Teil der Liedkunst selbst, und er führte die Aufforderung ein „Bruno, den Bolzen!“, was dann auch für die späteren Bolzeneinleger Peter und Ralf galt.

Lex Barker, dem eigentlich nur das Hemd mit den Lederfransen fehlte, erledigte als Show-Gast seine Aufgabe gelassen und schoss „500 Mark für die Aktion Sorgenkind“, was damals ein ordentlicher Batzen war und Aufschluss über den heutigen Geldverfall gibt, wo Promis mit Hunderttausenden zu Gunsten guter Zwecke (zu denen immer noch die Einschaltquote gehört) jonglieren. Lex Barker musste per Joystick auf den Kutscher einer fahrenden Postkutsche zielen, er agierte wie ein richtiger Scharfschütze, indem er Maß nahm, sich ruhig auf der Bewegungslinie positionierte und sein Ziel in die richtige Schussposition galoppieren ließ.

Von heute aus betrachtet ist die Sendung, die sich erfolgreich in viele Länder verkaufte, ein eigentlich recht seltsames kollektives Schießspiel für ein Volk, das 20 Jahre zuvor einen Weltkrieg angezettelt und verloren hatte. Am deutschen Schießen konnten so wenigstens die Einschaltquoten genesen. Ein Rudiment dieser Zielfaszination sind im heutigen Fernsehen die hohen Zuschauerzahlen für die Biathlon-Übertragungen, in denen man Skifahrern und Skifahrerinnen beim Langlaufen und beim Schießen über die Schulter schauen kann – als [[Magdalena Neuner]] MUSS man da ins Schwarze treffen. Es gibt, das ist offenkundig, eine weitverbreitet tiefe (Sehn?)Sucht, dabei zu sein, wenn etwas ins Visier genommen wird …

(Hier geht es zu den Teilen eins, zwei , drei , vierfünf , sechs  und sieben des Stephen-Hunter-Porträts und der Kulturgeschichte des Scharfschützen. Fortsetzung folgt.)

Alf Mayer

Alf Mayer über Lee van Cleef. „Winchester ’73“ komplett bei youtube.

Tags :