Geschrieben am 1. Oktober 2011 von für Crimemag

Alf Mayers „Blutige Ernte“

Alf Mayers „Blutige Ernte“ gehört zu den ältesten deutschen Krimi-Kolumnen überhaupt. Und zu den besten. CrimeMag freut sich, dass sie regelmäßig unregelmäßig bei uns zu lesen ist. Heute:

Balkan statt Malediven – über den Roman „Blutiger Handel“ von Edith Kohn

Bis 35 war sie Journalistin für große Blätter in Deutschland gewesen, sie galt als unerschrocken und äußerst zäh. Ihre Kontakte im In- und Ausland waren legendär. Doch das immerwährende mühevolle Recherchieren von Fakten, die dann in nur einer einzigen Veröffentlichung verglühten, hatte sie irgendwann nur noch gelangweilt. Ihre Reportagen hielten maximal eine Woche, dann traten sie ihren Weg an in die verstaubte Welt der Archive. Sie wünschte sich Nachhaltigkeit. Sie wollte, dass ihre Arbeit Folgen hatte, dass sie zu etwas führte. Darüber hatte sie einmal mit dem Chef eines deutschen Geheimdienstes gesprochen und zu ihrer Überraschung kurz darauf ihren ersten Auftrag erhalten. –

So stellt uns Edith Kohn ihre Heldin Lin Baumann vor, eine Privatdetektivin ohne Prüfung, „eine hervorragende Schützin mit reichlich Erfahrung im Combat-Schießen mit bewegten Zielen und mobilen Schützen“. Statt auf die Malediven geht es dank der Überredungskünste zweier Herren („Wie bereits gesagt, gehören wir zu einem Spezialbereich des Bundesnachrichtendienstes“) in den Kosovo, um dunkle Geldtransfers und Schlimmeres aufzuklären: Organhandel.

Ein kosovo-albanischer Barbesitzer „mit einem enormen Wissen über Waffen, einem durchtrainierten Körper und Glutaugen“ steht ihr dort zur Seite: Tariq, ihr Seelenbruder (wirklich so bezeichnet). „Ein wilder Albaner, dachte Lin, als sie die Wanne verließ, um sich in den Laken trocken zu lassen. Tariq hatte schöne, sehnige Hände. Darüber schlummerte sie ein. Ihr Urlaub, die Malediven schienen wie weggeblasen.“

Ein paar Tote später …

170 Seiten und ein paar Tote später findet sie sich mit ihrem Seelenbruder auf einem Bett. „Es war nicht nur der durchtrainierte Körper, der sie so anzog. Auch der heisere Klang seiner Stimme, der leichte Duft von Zitrone und Sandelholz, der ihn umgab, und die schläfrige Art, mit der er sich bewegte, vergrößerten nur ihre Sehnsucht. Verweile doch, du bist so schön! Lin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, dass ihr ausgerechnet diese Zeile aus Goethes Faust einfiel …“

An einem anderem Ort, gefangen und mit Haube über dem Kopf, bringt die Erinnerung an Chopins Erstes Klavierkonzert in e-Moll, gespielt von Maurizio Pollini, einst in der „Alten Oper“ in Frankfurt gehört, einen gewissen Trost.

Niveau zu halten ist durchgängig angesagt. Bei aller Action bleibt es eine eher feingeistige Heldin, die sich die Alt-Frankfurterin Edith Kohn, früher Pflasterstrand, dann STERN-Autorin und heute in Berlin lebend, ausgedacht hat. „Blutiger Handel“ hat bei aller Vor-Ort-Erfahrung der Autorin etwas von Lore-Geschichten, die man beim Bundespresseball vom Chef eines Geheimdienstes erzählt bekommt. Nicht unter jedem Pflaster liegt heute noch ein Strand. „Es ist aus!“, wird dem (deutschen) Bösewicht zugerufen, der beim Festnahmeversuch brüllt: „Mir gehört hier der halbe Ort. Ich zerschneide hier, wen ich will, verstehen Sie?“ Worauf Lin ihm combat-erfahren in den Fuß schießt. Zu Pflasterstrand-Zeiten wäre man mit solch einer Lösung wohl kaum zufrieden gewesen. Tempora mutantur – und wir in ihnen …

Alf Mayer

Edith Kohn: Blutiger Handel. Roman. München: Piper 2011.  272 Seiten. 8,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Ein kleines Archiv von Alf Mayers Texten gibt es hier.

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