Geschrieben am 15. Mai 2018 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2018

Alf Mayer über zwei Verschwörungs-Bücher

verschwoerung-schawinski_stehend„Finsternis ist gut. Das ist Macht.“

Zwei Bücher über Verschwörungstheorien.

Paul McCartney ist schon lange tot und durch einen Doppelgänger ersetzt, kenntlich durch den Schriftzug „OPD“ auf dem„Sgt. Pepper“-Album, das kanadische Kürzel für „officially pronounced dead“ (offiziell für tot erklärt). Seehofer will jetzt Terroristen töten. Sicher sind wir bald auch welche. Dann geht es ins Lager. Oder wir werden gleich getötet. Das bestimmt dann die EU. Der ganze Euro, das ist nur Strategie zur Ausschaltung der Nationalstaaten, dann kommt die Einheitsregierung. Die ist nicht mal gewählt. Und die sagen, wer ein Terrorist ist. Die NSA hat 50 Jahre Vorsprung. Nanotechnologie! Die sind überall. Immer schon. Reinhard Gehlen war der Geheimdienstchef Hitlers, dann hat er den BND aufgebaut und die OSS, also die CIA. Das muss man wissen, diese Zusammenhänge werden gern verschwiegen. Die Usteca, da haben sich sogar die Nazis angewidert abgewendet. Jetzt sind sie EU-Mitglied. Also wachsam sein. Das Rathaus hat sieben Türme, zählen Sie mal. Wer sich auskennt weiß, dass sieben keine gute Zahl ist. Im Mittelalter haben sie hier hingerichtet. Hast du das Flugzeug gesehen, die sprühen doch was. Gestern auch schon. Das ist nicht das Normale, was da rauskommt. Krebs vermutlich, kein Wunder. Und dann das Palmöl aus Borneo, der WWF hat einen Teufelspakt. Wir haben alle unsere Spezialgebiete. Wir wissen Bescheid. (Siehe auch das CrimeMag-KickAss „Verschwörung schlemmen in Rostock.“)

Jetzt mit Commander-in-Chief

Verschwörungstheorien haben jetzt sogar einen Commander-in-Chief. Er sitzt im Weißen Haus. Keinem Verschwörungstheoretiker würde man das glauben, aber es ist wahr. Wie noch nie ein Politiker in solch einer Position, „bedient Donald Trump sich gewohnheitsmäßig und ohne jegliche Hemmungen bei Verschwörungstheorien, um sich auf diese Weise persönliche Vorteile zu verschaffen … und hat diese bereits zuvor vorhandenen Tendenzen in seiner bisherigen Amtszeit als Präsident der USA noch weiter verstärkt.“ Noch auf einer seiner letzten Wahlkampfauftritte beschuldigte Donald Trump Hillary Clinton, dass sie im Herzen einer weltumspannenden Verschwörung mit internationalen Bankiers sitze und „die Zerstörung der amerikanische Unabhängigkeit“ bezwecke.

Klare Worte von Roger Schawinski, der auch sonst kein Blatt vor den Mund nimmt und sich aus einem langen Journalisten- und Moderatorenleben heraus mit dem kommunikativen Krebsgeschwür unserer Zeit beschäftigt: „Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt“ (NZZ Libro) heißt sein sehr lesbares, empfehlenswertes Buch, das ohne Fußnoten auskommt. Wissenschaftlicher aufgezäumt, aber ebenfalls verständlich und anschaulich geschrieben, ist „Nichts wie es scheint“ von Michael Butter (edition suhrkamp). Beide Bücher vertragen sich gut nebeneinander. Schwer, einem den Vorzug zu geben.

Ablenken und Manipulieren gehört zum Geschäft

Roger Schawinski gründete mit Radio 24 den ersten privaten Radiosender der Schweiz, lancierte mit TeleZüri den ersten Schweizer Privat-TV-Sender und startete mit Tele 24 das erste nationale Privatfernsehen. 2003 bis 2008 war er Geschäftsführer von Sat.1 in Berlin, 2008 kehrte er nach Zürich zurück. Er beginnt sein Buch mit der Schilderung eines TV-Eklats vom Februar 2017, mit einer Ausgabe der Talkshow „Arena“ im Schweizer Fernsehen zum Thema „Trumps Krieg gegen die Medien“. Über 500 Beanstandungen gingen danach fristgerecht beim Ombudsmann ein, von einem gewaltigen Shitstorm im Netz zu schweigen. Die Beschwerden kamen auch aus Deutschland, Luxemburg, Italien, Indonesien, Spanien, der Türkei und den Philippinen – dies zu einer im Schweizer Dialekt geführten Diskussion. Mit in der Sendung dabei: der als „umstrittener Historiker“ eingeführte Daniele Ganser, der sich als sogenannter Friedensforscher eine besondere Stellung in der Welt der deutschsprachigen Verschwörungstheoretiker erarbeitet hat. „Meine Doktorarbeit ist über inszenierten Terrorismus im Kalten Krieg und Operation Gladio. Worüber ist Ihre Doktorarbeit?“, griff er als erstes den Moderator an. Der weitere Verlauf der Sendung illustrierte nach Ansicht von Roger Schawinski „Exemplarisches über die Welt der Verschwörungstheoretiker. Erstens nutzen sie jede sich bietende Gelegenheit, um sich mit ihren Thesen in Szene zu setzen. Zweitens manipulieren sie jede sachliche Diskussion, um ihr Anliegen in den Mittelpunkt zu stellen. Und drittens ergreifen sie jede sich bietende Chance, um ihrerseits der Gegenseite eine Verschwörung zu unterstellen, um so vom selbigen Vorwurf gegen sich abzulenken.“

Gustav Le Bon bereits 1895 in seinem Standardwerk „Psychologie der Massen“: „Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter eine Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie.“

verschwör7360„Nichts ist, wie es scheint“

Der amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte lehrende Michael Butter wählt als Einstieg in „Nichts ist, wie es scheint“, die Theorie vom „Großen Austausch“. Der geistert durch das Netz seit 2015 Hunderttausende Flüchtlinge in die Bundesrepublik kamen. Eva Herrmann ist eine dieser Predigerinnen. Das Land solle von einer globalen „Finanzoligarchie“ mittels der „Migrationswaffe“ ausgeschaltet werden, geht dieses Narrativ.

Butters erfreulich lesbare und kompakte Studie über Verschwörungstheorien  rekapitulieren kurz die wichtigsten Topoi dieses globalen Sumpfes: Die USA haben die Anschläge des 11. September 2001 selbst durchgeführt; wir werden heimlich von einer Neuen Weltordnung kontrolliert, die uns über Chemtrails und Impfungen gefügig hält; Barack Obama wurde wahlweise nicht in den USA geboren oder er ist – wie Angela Merkel und George W. Bush – Teil einer Elite außerirdischer Reptilien; die Mondlandung hat natürlich nie stattgefunden, und John F. Kennedy wurde von der CIA ermordet…

Der Titel seines Buches ist doppeldeutig. Wenn es technisch möglich wäre, findet Butter, müssten die ihn rahmenden Anführungszeichen immer für einen Moment da sein und dann für einen Augenblick verschwinden: „Nichts ist, wie es scheint.“

Das englische Wort für Verschwörungstheorie, conspiracy theory, kommt vom Lateinischen conspirare, für übereinstimmen oder zusammenwirken. Verschwörungstheorien, zitiert Butter den Kulturwissenschaftler Mark Fenster „erzählen packende, dramatische Geschichten. Sie handeln vom Kampf zwischen Gut und Böse, vom Konflikt zwischen im Geheimen agierenden Übeltätern, die eine ahnungslose Masse manipulieren, und den wenigen, die dem Komplott auf die Schliche gekommen sind und jetzt alles tun (müssen), um die Verschwörung zu vereiteln. Es ist ein manichäisches Weltbild „Gut gegen Böse“, überwiegend von Männern geprägt, die auf Ziegen starren – oder was immer. Ihr Paradies ist das Internet. Gundolf Freyermuth hat das schon 1998 in einem schönen Artikel mit dem Untertitel „Verschwörungstheorien blühen erst im Internet richtig auf“ beschrieben.

Was, das hast du noch gar nicht mitbekommen?

Verschwörungstheoretiker haben sich im Internet und im Buchmarkt ein neues Universum geschaffen. Roger Schawinski wie auch Michael Butter stellen die beliebtesten und gefährlichsten Theorien und die wichtigsten Repräsentanten der gegenwärtigen Szene vor. Bei beiden prominent: Donald Trump und Daniele Ganser. Nicht fehlen dürfen Steve Bannon („Finsternis ist gut. Dick Cheney. Dark Vader. Satan. Das ist Macht.“), Alex Jones, das Gesicht von „Infowars“, oder Ken Jebsen, der Kopf von „KenFM“.“

Lügen sind spannend. Die Wahrheit ist langweilig. Tatsächlich finden wir Menschen eher alles, was neu ist, interessant als die alten Wahrheiten. Big Foot lebt doch? Der Mörder von John F. Kennedy ist endlich entlarvt? Das wird natürlich öfter in den sozialen Medien geteilt als die Nachricht, dass Big Foot nur ein Baum war und der angebliche Attentäter nur ein Wichtigtuer. Falschmeldungen solcher Art sind auch deshalb so beliebt, weil sie suggerieren, dass wir unsere Weltsicht komplett neu ordnen müssen. Das klingt aufregend und spannend. Wer möchte bei solchen Gerüchten nicht weit vorne sein? Motto: Was, das hast du noch gar nicht mitbekommen? Wie rückständig bist du denn?!

417MjwSX1iL._SX362_BO1,204,203,200_Robert Anton Wilson in seinem „Lexikon der Verschwörungstheorien“ (CrimeMag-Kritik hier, natürlich ganz nach unten gestellt): „Der menschliche Geist ist einfallsreich und kreativ, besonders wen er sich Sorgen macht … Es ist einer der Grundzüge des Verschwörungsdenkens, dass Leute nach Erklärungen für Dinge suchen, die sie nicht verstehen … Und viele Erwachsenen behalten diesen kindischen Geist – und damit auch den Hang, immer nach möglichst simplen Erklärungen zu suchen, nach jemandem, den sie für irgendein Übel verantwortlich machen können.“

Was ist eine Verschwörungstheorie? Wie argumentieren solche Gebäude? Warum glauben Menschen an so etwas? Wie hat sich das historisch entwickelt? Wie verändert das  Internet Verschwörungstheorien? Als „Brandbeschleuniger“ sieht es Roger Schawinski.

Was man dagegen tun kann, bewegt beide Autoren. Beide sehen sie eine demokratiegefährdende Fragmentierung der Öffentlichkeit. Roger Schawinski hat sich nach schmerzlichen Erfahrungen entschlossen, eindeutige Provokateure und Verschwörungstheoretiker nicht mehr ins TV-Studio oder in seine Radiosendung einzuladen. Michael Butter fürchtet ein „Geteiltes Haus“, wie Abraham Lincoln einmal die USA der Sklavenzeit beschrieb, in der die politische Auseinandersetzung dann letztlich in den Krieg führte. Denn wünschen sich nicht wenig der  Verschwörungstheoretiker – und sie zündeln kräftig.

Ein Rezept? Was für Verschwörungstheoretiker gilt, trifft auch auf Verschwörungstheorieforscher und Leute zu, denen an Vernunft liegt: Es gibt immer mehr zu erfahren.

Alf Mayer

Michael Butter: „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Suhrkamp, Berlin 2018. Klappenbroschur, 271 Seiten, 18 Euro.

Roger Schawinski: Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt. NZZ Libro, Zürich 2018. 192 Seiten, gebunden, 29 Euro. Verlagsinformationen.

PS.: „Sie beobachten uns!“ warnte Gundolf Freyermuth 1998. Auszug: „Um Windows 95 zu verstehen, musst du erkennen, dass alles von einer kleinen Gruppe von Leuten kontrolliert wird, unter Mithilfe von Typen, die dunkle Sonnenbrillen tragen. Die Konspiration begann in grauer Vorzeit in Kalifornien, in dem Jahr, als Michael Jackson sich zum zweiten Mal die Nase operieren ließ. Die Konspirateure waren für viele Ereignisse der Geschichte verantwortlich, darunter für die Disco-Revolution. 
Sie wollen deiner ganzen Familie Frostbeulen verpassen und jeden, der Widerstand leistet, mit aufgemotzten Golfkarren ins Bermuda-Dreieck verfrachten. Um uns darauf vorzubereiten, müssen wir Frühstücksfleisch en gros kaufen. Da die Medien von Mister Ed, dem sprechenden Pferd, kontrolliert werden, sollten wir alle unsere Informationen nur von den geheimen Stimmen beziehen, die ich allein hören kann …“

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