Geschrieben am 1. Februar 2022 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2022

Alf Mayer: So viel Bond war nie

Paul Duncan: The James Bond Archives. “No Time To Die” Edition. Verlag Taschen, Köln 2021. Hardcover, Format 41,1 x 30 cm, 6,65 kg. 648 Seiten, über 1000 Abbildungen, 150 Euro. Verlagsinformationen hier.

Es hätte auch schiefgehen können – jetzt aber gehört er zu unserem kulturellen Gedächtnis

Schwer wie eine Marmorplatte, zu Ehren eines der größten Filmhelden zentral in den Mittelgang der Filmkathedrale gesetzt, das ist dieser XXL-Band aus dem Verlag Taschen. So viel Bond war noch nie. Nirgends. „Das James Bond Archiv“ ist das ultimative Monument für eine Kino- und Populär-Mythen-Figur, die ihresgleichen sucht. Als Romanfigur eher blass, machten die Filme aus dem britischen Geheimagenten eine „weltweite Ikone“ (Thomas Wörtche). In knapp 60 Jahren entstanden mit insgesamt sechs Darstellern – deren Wechsel von der Weltpresse immer stöhnend wie bei einer schweren Geburt begleitet wurde ­– 25 Filme, alle von ihnen weltweite Blockbuster. Das ist einzigartig. Das ist kulturprägend. Das ist ein Buch wie dieses wert. Und eine kluge Sinnsuche wie jüngst die von Georg Seeßlen (in epdFilm 9/21): „Und jetzt? – Über die Zukunft der Bond-Reihe“.

Mit nun sechs Millionen Besuchern alleine in Deutschland für den letzten September angelaufenen „James Bond – Keine Zeit zu sterben“ ist es kein allzu großer Spoiler mehr, wenn ich konstatiere, dass das Phänomen Bond wohl – wenn es denn je noch fortgesetzt wird – mit Film 25 nicht nur für Hauptdarsteller Daniel Craig zu einem Ende gekommen ist. Ein einfach „Weiter so“ wird es mit dieser Filmfigur nicht geben. Kann es nicht. Siehe dazu auch unseren Geheimdienstexperten Bodo V. Hechelhammer in unserem Jahresrückblick 2021.

Tatsächlich also ist James Bond jetzt etwas fürs Archiv. Oder sagen wir vornehmer: für unser kulturelles Gedächtnis. Dabei hilft dieser Band immens, mit diesem Buch wird er uns bleiben. Es ist 6,8 Kilo schwer, 648 Seiten stark, aufgeschlagen 78 Zentimeter breit – und zeigt eine Filmfigur in Breitwand und im Brennglas. Dies auf der Bildebene in exquisiten, exklusiven Bildern. Insgesamt sind es über tausend. Autor Paul Duncan hat dafür, so schätzt er, etwa eine Million Bilder gesichtet.

Die Bildwelten des Buches sind enorm. Und auch die Textebene hat es in sich. Gestaltung und Design machen es dann als Gesamtkunstwerk beinahe selbst zu einem Film. Totalen und Nahaufnahmen wechseln sich ab, alles fließt, nichts ist statisch. Des Öfteren hält man den Atem an. Andy Disl und Birgit Elchwede (Design), Jascha Kempe (Projektmanagement) und Stefan Klatte (Produktion) liefern hier eine Oscar-reife Filmbuch-Meisterleistung.

Paul Duncan – ich hatte das an anderer Stelle schon einmal vermerkt, nämlich bei seinen „Star War Archives“ – hat eine äußerst lesbare Erzählmethode entwickelt, Zitate aus zahlreichen Quellen zu einer mündlichen Erzählung über die Entstehung der einzelnen Filme zu montieren. Für das „James Bond Archiv“ übertrifft er sich selbst. Er hatte Zugang zu Produktions-, Verleih- und Privatarchiven und zu den Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson, er konnte mehr als hundert Aktenschränke mit Produktionsunterlagen durchforsten, mit vielen Beteiligten reden, mit den Regisseuren und dem Produktionsstab, mit Ausstattern, Kameraleuten, Kostümbildnern, Tricktechnikern, Komponisten und Cuttern, mit der ganzen Welt hinter den Filmen. Die daraus entstandene Darstellungen der teils abenteuerlichen Finanzierungsgeschichten, Drehbuch- und Konzeptwirrungen, Palastintrigen, von interner Kritik und Skepsis, Kleinmut, Kreativität und Größenwahn ist ziemlich ungeschminkt. Und rasend spannend. Duncan behält hier viel journalistische Distanz.

Albert “Cubby” Broccoli

Eine der Geschichten, die mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist, stammt von Barbara Broccoli, sie berichtet: 

„Mein Vater erzählte mir eine Geschichte aus den frühen Fünfzigerjahren, als er zum ersten Mal nach Großbritannien kam und im Savoy-Hotel untergebracht wurde. Er kam herunter zum Frühstück und bestellte „zwei Eier, Schinken und etwas Toast“. Der Kellner schaute ihn verdutzt an und sagte: „Lebensmittel sind hier noch immer rationiert, mein Herr.“ Cubby schämte sich so sehr, dass er sagte: „Ich nehme, was da ist.“ 
Ein paar Tage später ging er wieder hinunter zum Frühstück, und der Kellner brachte ihm einen Teller, hob die Glocke – und da lagen zwei Eier. Cubby sagte: „Meine Güte, das ist wunderbar, vielen Dank. Woher haben Sie die?“ Und der Kellner antwortete: „Ich habe sie von zu Hause mitgebracht.“ Das bewegt mich immer wieder … jemand anderem von der eigenen Ration abzugeben.“ 

Zwei Eier also, mit denen alles anfing … heute ist James Bond ein Multi-Milliarden-Franchise-Geschäft. Auf über 18,5 Milliarden Dollar summieren sich, zusammengerechnet, die Einspielergebnisse der 25 Bond-Filme. Sie verteilen sich folgendermaßen auf die Filme der bis heute sechs Bond-Darsteller:

Daniel Craig (5 Filme): 4.685 Millionen $
Sean Connery (6 Filme): 5.275 Millionen $
Roger Moore (7 Filme): 4.667 Millionen $
Pierce Brosnan (4 Filme): 2.470 Millionen $
George Lazenby (1 Film): 611 Millionen $
Timothy Dalton (2 Filme): 805 Millionen $.

Als Jean Connery starb wurde er auf ein Vermögen von rund 350 Millionen Pfund geschätzt, eine Villa nahe Cannes stand jüngst für über 30 Mio Euro zum Verkauf. Mit Einspielergebnissen von rund 937 Millionen Dollar pro Film ist jedoch Daniel Craig der erfolgreichste aller 007-Darsteller. Sein Bond ist proletarisch, immer im Stress. Bonds Todesszene in „No Time to Die“ wurde am 5. Oktober 2019 in der 007-Studiohalle in London fertiggestellt, am gleichen Datum, an dem 1962 „Dr. No“ in die Kinos gekommen war. Bond blickt auf die herannahenden Raketen und verabschiedet sich über Funk von Madeleine… 

In Paul Duncans Buch findet sich ein Zitat von Daniel Craig: „Als ich mit „Casino Royale“ als Bond anfing, drehte sich eines der ersten Gespräche, die ich mit Barbara und Michael führte, darum, dass ich Bond gerne sterben lassen würde, wenn ich aufhörte.“ An anderer Stelle verrät Barbara Broccoli:  „Wir hatten in Erwägung gezogen, Bond in „Spectre“ zu töten, entschieden uns aber dagegen.“ 

Im fünften Daniel-Craig-Bond war es dann soweit. Nick Kolakowski hat das bei uns mit einem kleinen, in den Filmtitel gesetzten Komma begründet: „No, time to die“. Um diesen Tod, dieses Sterben einer Filmfigur emotional aufzuladen, griffen die Macher tief in die Filmgeschichte. Dieser eine Satz – „We have all the time in the world“, eine paradoxe Verbal-Intervention in einem Moment, da Liebende auf immer auseinander gerissen werden –, stammt nämlich aus „Casablanca“ (1946). Rick Bogart sagt ihn zu Inga Bergman.

George Lazenby zitierte diesen Satz dann zärtlich – über die eben gleich nach der Hochzeit neben ihm im Autor erschossene Diana Rigg gebeugt – in „On Her Majesty’s Service“ von 1969. Der Song dazu von Louis Armstrong (Text Hal David) wurde dessen letzte Tonaufnahme. Nun liegt „We Have All the Time in the World“ unter dem Abspann von „No Time to Die“ und versöhnt einigermaßen mit der nach 25 Filmen zu Ende gehenden Bond-Saga, die jetzt – so das Schlussbild – zu einer Gute-Nacht-Geschichte für kleine Mädchen umfunktioniert wird: „I’m going to tell you a story about a man. His name was Bond, James Bond…“ 

Das beste Einspielergebnis aller Bond-Filme übrigens hat der erste zu verzeichnen. „Dr. No“ hatte ein Budget von rund 1 Mio Dollar und spielt das Sechzigfache seiner Kosten ein. So gut amortisierte sich kein anderer Bond mehr, aber es legte die Grundlage für den Goldstandard der Filmhelden-Reihen. David Niven, Cary Grant und andere wurden ursprünglich als Bond-Darsteller angefragt, sie alle lehnten ab. Bis man auf den schottischen Milchmann, Baggerfahrer, Pferdekutscher und Sargpolierer Sean Connery kam. 

Cubby Broccoli: „Ich war der Meinung, wir sollten einen unbekannten Schauspieler nehmen, keinen Star – vor allem einen Mann, dem man abnahm, dass er James Bond sein könnte. Unsere Theorie war: Wenn wir die Rolle mit einem praktisch unbekannten Schauspieler besetzten, dann würde ihn das Publikum eher als die Figur James Bond akzeptieren. Wir wollten also einen Schauspieler in die Rolle hineinzüchten, sodass er mit ihr wachsen und sich nicht beschweren würde, wenn wir von ihm noch mehr Bond-Streifen verlangten. Patrick McGoohan wurde vorgeschlagen, und er hätte einen guten Bond abgegeben, aber er war sehr gläubig und fühlte sich unwohl mit Sex und Gewalt. James Fox, der ebenfalls zur Debatte stand, zögerte aufgrund derselben starken religiösen Bedenken. Auch Roger Moore war als möglicher Bond im Gespräch. Damals hielt ich ihn für etwas zu jung und vielleicht auch einen Hauch zu attraktiv. Er hatte das, was wir den „Arrow-Kragen-Look“ nannten: zu konservativ elegant. …. Während all diese Diskussionen über die Besetzung von Bond im Gange waren, kam mir immer wieder ein Gesicht in den Sinn. Es gehörte zu einem Schauspieler, den ich ein paar Jahre zuvor in London kennengelernt hatte. Er hieß Sean Connery und drehte zu dieser Zeit mit Lana Turner einen Film mit dem Titel „Another Time, Another Place“ (Herz ohne Hoffnung, 1958). Er war ein gut aussehender, umgänglicher Bursche, der eine Art animalische Männlichkeit ausstrahlte. Er war groß, hatte eine starke physische Präsenz, und hinter seinem steifen Lächeln und schwachen schottischen Akzent lauerte genau das richtige Maß an Bedrohlichkeit…“

Broccoli weiter: „Körperlich und in seinem gesamten Auftreten war er zu ungeschliffen, um ein Ebenbild von Flemings Geheimagent aus der Oberschicht zu sein. Das war für uns aber in Ordnung, weil unser 007 durchaus bei einem breiteren Publikum ankommen sollte: ein erotischer Athlet, der in einem Maßanzug aus der Savile Row gut aussah, aber mit dem durchtrainierten Bauch eines Typen, der seinen Tag mit zwanzig Liegestützen beginnt. Alles an Connery war an diesem Tag überzeugend James Bond. Harry und ich stellten ihm eine Menge Fragen. Seine Antworten in diesem äußerst reizvollen schottischen Akzent, den er hat, waren freundlich und direkt. Er war weder eingebildet, noch von falscher Bescheidenheit. Er verhielt sich auch nicht wie ein klassischer Schauspieler, der dachte, James Bond sei ein wenig zu anspruchslos für sein Talent. … Jeder Beteiligte akzeptierte, dass bei dem streng begrenzten Budget, das für die Produktion zur Verfügung stand, keine hohen Summen gezahlt werden konnten. Als wir Sean dies erklärten, wurde die Diskussion sehr lebhaft. Er hämmerte auf den Tisch, und sein Akzent verstärkte sich: „Ich will, verdammt noch mal, so viel, oder ich mache den Scheißfilm nicht! Ich arbeite nicht für einen Scheißhungerlohn!“

Als Regisseur wurde Terence Young engagiert, nach Ansicht von Bob Simmons, der von 1962 bis 1985 als Stunt-Spezialist und Double des Hauptdarstellers zwölf Bond-Filme prägte, „der beste Regisseur, den sie finden konnten, um den Bond-Filmen zu einem großartigen Start zu verhelfen. Terence erschien stets in makellosem Aufzug bei den Dreharbeiten. Selbst wenn er die aktionsreichsten Szenen in sportlicher Kleidung einrichtete, hatten seine Hosen Bügelfalten, und seine Strickjacke sah frisch gewaschen aus. Bei jedem Film, bei dem ich dabei war, hatte er immer einen Mercedes, Rolls oder Bentley und erhielt eine unglaubliche Reihe von Anrufen von schätzungsweise vierzig femmes, die versuchten, fatales zu sein. Und während all dessen war er stets die Ruhe selbst. … füllte dieser Kerl das Glas mit Champagner – mittendrin in der Hektik der Dreharbeiten, ohne dass Terence auch nur ein einziges Mal die Augen von der Szene schweifen ließ! Er reiste erster Klasse, dieser Terence. Ganz stilvoll. Ganz Sechzigerjahre. Ganz Bond.“

Terence Young überredete Connery, abends in seiner Film-Kleidung auszugehen, damit er sich darin langsam wohl fühlte. „Wir wollten, dass er sich an seine Sachen aus der Savile Row so gewöhnt, wie sich jeder gute Schauspieler an sein Kostüm gewöhnt.“ Cubby Broccoli: „Terence lud ihn auch ein paarmal zum Mittag- und Abendessen in die exklusivsten Restaurants ein, einzig zu dem Zweck, ihm ein wenig von Bonds Anspruch zu vermitteln, ein Experte für Wein und gutes Essen zu sein. Wir wollten die Figur ein wenig unterfüttern. Es sollte aussehen, als sei er es gewöhnt, in einem Restaurant Mouton Rothschild Jahrgang ’53 oder Taittinger Blanc de Blancs zu bestellen oder im Kaufhaus Fortnum & Mason norwegischen Heidehonig zu kaufen, bevor er sich vom königlichen Schuhmacher einen Leisten anfertigen lässt. … Wir hatten in gewisser Weise Glück. Ich glaube, dass sich Terence Young, genau wie Ian Fleming, unterbewusst als James Bond fühlte. Der Anspruch war nicht ganz unberechtigt: Harrow, Cambridge, dann Dienst in der Guards Armoured Division während des Kriegs – Terence hatte durchaus die passenden Voraussetzungen. Er hatte auch die Bücher gelesen, war ein Lebemann und kannte die eine oder andere Gräfin. Das Ende vom Lied war, dass Sean das ganze Bond-Drumherum annahm und einsetzte, um die Rolle dann so zu spielen, wie er sie sah.“

So begann die Saga. Terrence Young gesteht Paul Duncan: „Es war ein Wunder. Wenn man zurück blickt, hatten wir verdammt viel Glück, und alles hat geklappt. Es war eine Sache, die genauso gut hätte schiefgehen können, und dann wären wir sang­ und klanglos untergegangen.“

Alf Mayer

PS. Was ich so nicht wusste, verrät Art Director Chris Lowe im Buch: „Für einen Bond-Film entwerfen und designen wir an die zweihundert Filmsets. Gedreht wird aber nur an hundert. Was man im Kino sieht ist die beste Auswahl davon. Wir werden nicht dafür bezahlt, dass die Schauspieler auf dem falschen Drehort stehen, sondern am richtigen. Das ist unsere Arbeit.“

James Bond bei CrimeMag:
Thomas Wörtche: Super Camp. Bond, … James Bond. Filmplakate und Fotografien aus fünfzig Jahren. CrimeMag Nov 2012

Alf Mayer: Moving Targets – Notizen zu Filmen aus dem Genre: „Rampart“ & „Skyfall“. CrimeMag Nov 2012

Thomas Wörtche zur Neu-Übersetzung der Bond-Romane. CrimeMag Dez 2012

Alf Mayers Blutige Ernte: 007 – Der Halbschotte aus Wattenscheid. – Zu William Boyds James-Bond-Roman „Solo“. CrimeMag Nov 2013

Matthew Parker: Ian Fleming, James Bond & Jamaika. Textauszug aus „Goldeneye. Ian Fleming und Jamaika – Wo James Bond zur Welt kam. CrimeMag März 2019

Alf Mayer: Die „Goldfinger Files“. CrimeMag August 2021

Nick Kolakowski: No, Time to Die The latest James Bond movie digs into the fatalism at the iconic spy’s core. CrimeMag Dez 2022

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