Geschrieben am 1. März 2022 von für Crimemag, CrimeMag März 2022

Achtung, schlimm …

Die Triggerwarnung – Eine Glosse von Thomas Wörtche

Ein gar nicht so neuer Aufreger schwirrt mal wieder durch die literaturbetriebliche Blase: Die Triggerwarnung. Sie wissen schon, der Hinweis, dass es in einem Buch oder einem Film (oder einem sonstigen Medium) zu Sex, Nacktheit, Gewalt, Alkohol oder Drogenkonsum kommen oder dass unflätiges Vokabular benutzt werden könnte. Man hat sich allmählich daran gewöhnt, dass z. B. bei Amazon Prime bei jeder noch so harmlosen Serien-Folge links oben vor derlei schlimmen Dingen gewarnt wird. Mehr als ein amüsiertes Lächeln dürfte die Angelegenheit eigentlich nicht wert sein. Und vollends albern wäre es, eine Triggerwarnung mit dem Versuch von Cancel Culture in Verbindung zu bringen, das tun nur durchgeknallte Amis, die gerade Art Spiegelman´s „Maus“ auf diese Art als Schullektüre verhindern wollen, aber eine solche politische Funktionalisierung meine ich hier gar nicht. Kein Mensch will bei uns „Macbeth“ verbieten.  Und natürlich kennen wir das Spiel schon lange: „Ab 18“, „Für Kinder und Jugendliche nicht geeignet“, schlimmstenfalls droht Indizierung, Thomas Groh hat das neulich am Fall George A. Romeros „Day of the Dead“ und dessen Ausstrahlung bei ARTE noch einmal sehr schön aufgedröselt. Aktion „Saubere Leinwand“ revisited. Solche Maßnahmen sind natürlich auch Triggerwarnungen. 

Überhaupt ist das Hantieren mit medizinischen Kategorien an dieser Stelle fahrlässig grobschlächtig bis falsch. Und in einem literaturbetrieblichen Diskurs auch nicht unbedingt zielführend. Angststörungen sind ein ernsthaftes Thema, katalogisiert im ICD-Code (= International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) unter F41.0 bis F41.9, das betrifft ebenso und gerade die Posttraumatische Belastungsstörung: F43.1. Menschen, die darunter leiden, sollte man nicht unvorbereitet auf ein unschönes Lese- oder Seherlebnis prallen lassen, das verstörend, eben triggernd wirken könnte, wenn man dergleichen schon nicht im Alltag vermeiden kann – und überhaupt das Leben gerade meistens keine Warnungen bereit stellt, schon gar nicht in diesen üblen Kriegszeiten.

Da fangen allerdings die pragmatischen Probleme an. Als Programm-Macher, als Programm-Macher eines kriminalliterarischen Programms im Speziellen stehe ich vor einem Problem: Kriminalromane stehen für Mord, Grausamkeit, Brutalität, Verbrechen, oft auch für sexualisierte Gewalt. Das ist nun mal ihr Beruf, deswegen heißen sie so. Zu warnen, es käme in solchen Texten zu Gewalt, doppelt nur die Implikationen der Genre-Bezeichnung (gilt auch für Horror, Splatter et al). Selbst das schlichteste Gemüt ist nicht so schlicht, das nicht zu wissen. Schwieriger wird es, wenn wir weg von den generellen Trigger-Themen gehen, also etwas tiefer in die Individualpsychen schauen. Die Symptome sind ja vielfältig und bei weitem nicht alle Phobien gehen darin auf, an meine psychotische Angst vor Bürokratien hat man zum Beispiel nicht gedacht.  Also müsste ich jeden Text auf neuralgische „Stellen“ durchkämmen. Die Angst vor Spinnen oder die Angst vor Zahnärzten („Marathon Man“) sind dabei die leichteren Fälle. Aber was mache ich mit Menschen, die unter Chaetophobie leiden, der Angst vor Haaren. Müsste ich da auf die Romane von Kathleen Kent, die von einer auffällig rothaarigen Heldin namens Betty Rhyzyk erzählen („Die Tote mit der roten Strähne“, dt. von Andrea O´Brien, Suhrkamp), eine Triggerwarnung draufschreiben? Was mache ich mit Neophobikern, die Angst vor Neuem haben, angesichts neuer Erzählstrategien wie in Riku Ondas „Die Awosawa Morde“ (dt. von Nora Bartels, Atrium)? Und kann man Leuten, die sich, so wie ich, regelrecht vor dem Watt gruseln, Mathijs Deens „Der Holländer“, dt. von Andreas Ecke, mare) ohne Warnung zumuten?  Und kann ich alle Phobien aller Leserinnen und Leser kennen? Und wenn ich mir Mühe gebe, und in einem Roman fünfundzwanzig Phobien unterhalb der allgemeinen Gewalt & Co.-Schwelle entdecke: Soll ich die alle auf den Umschlag drucken? Wenn ich die Triggerwarnung nach hinten, Richtung Impressum schiebe, kann es ja vorkommen, dass sie jemand übersieht – und patsch, ist es passiert. Ich überlege ja nur.

Nachdenklich macht mich zudem eine Bemerkung von Gudrun Lerchbaum, in einem Interview mit der BUCHKULTUR. Sie erzählt, wie sie ihren spontanen Reflex gegen Triggerwarnungen revidiert hat, und zitiert ihre Lektorin des Haymon Verlags (ein Vorreiter in Sachen Triggerwarnung), die wiederum Buchhändlerinnen zitiert: „Beim Empfehlen von Büchern kann es eine wichtige Information sein, welche Traumata aufgewühlt werden können.“ Das ist zweifelsohne richtig. Eine kompetente Buchhändlerin würde niemals einer Person, deren zarte psychische Konstellation ihr bekannt ist, einen Roman von Miron Zownir (zuletzt: „Sorry, Lana“, Golden Press) empfehlen, weil „zu brutal“. Das wäre ein ausgesprochen ungeschicktes Verkaufsgespräch. So gesehen, wäre eine Triggerwarnung auf einem Buch ein neuer Paratext (der Großtheoretiker der Paratexte, Gérard Genette hatte diese Sorte noch nicht auf dem Schirm). Paratexte aber, also Umschlagtexte, Verlagsvorschauen und so weiter, sind Instrumente des Marketings. Sie dienen der Verkäuflichkeit. Und dabei wollen wir nicht vergessen: Vor was gewarnt wird, macht uns erst richtig scharf. Das wäre dann eine Win-Win-Situation. Einwandfrei und verkäuflich gleichzeitig. Und wie alle werblichen Maßnahmen nicht allzu ernst zu nehmen.

Deswegen interessieren sie sich auch nicht wirklich für die zahlreichen Phobien unterhalb der vermeintlichen Konsens-Ebene. Oder jedem Buch liegt ein psychiatrisches Gutachten bei. 

Herzlichen Dank, Anne Kuhlmeyer, für die Fachberatung!

© 02/2022 Thomas Wörtche

https://www.perlentaucher.de/essay/ueber-die-anhaltenden-indizierungen-und-verbote-von-splatterfilmen.html

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