Kosmische Meditationen Teil I: Seneca oder Vom Denken und Dichten der Anfänge. Ein Essay über (Un)Mögliches – von Markus Pohlmeyer In Science Fiction-Filmen und -Erzählungen wird Schöpfung vielfältig aufgegriffen – mit mehr oder weniger hohem Niveau, in mythopoetischer Aneignung oder einfach nur als trash-Dekoration: von „Frankenstein“ über „2001“ und „Prometheus“ bis hin zu den nie endenden Mulitversa-Varianten eines Stephen Baxter. Interessanterweise findet sich häufig die moralische (oder reflektierter: die ethische) Frage, ob ein Schöpfer, z.B. der Mensch, gegenüber seinen Geschöpfen, z.B. biogenetischen Produkten oder KIs, Verantwortung übernehmen kann? Wären z.B. Klone frei – oder nur
Read More Was australischen Touristen verborgen bleibt, gräbt Tim Winton aus Von Iris Tscharf Australien. Ein schönes Land, oder? Sieht in Reisebroschüren so richtig zauberhaft aus mit den schillernden Fischen, den Schildkröten, den Mantarochen oder den Korallen im Great Barrier Reef. Den Krokodilen, den Delfinen und plüschigen Getier wie Kängurus, Koalabären und den süßen Wombats. Oder die mächtigen Wasserfälle im Kimberley Canyon wirken selbst auf Fotos atemberaubend schön. Von schneeweißen Sandstränden und putzig aussehenden Beuteltieren findet man in Tim Wintons Roman nichts. Der australische Autor zeigt sein Land nämlich von einer Seite, die
Read More Zwei Männer und der Fluss Andrea O’Brien über „The River“ von Peter Heller Mit wenigen Zutaten gelingt Peter Heller mit »The River/ Der Fluss« ein Meisterstück der Spannungsliteratur. Dieses Buch sollte mit einer Warnung versehen werden: Wer es in die Hand nimmt, wird es nicht mehr weglegen!Von der Idylle zum Höllentrip Wynn und Jack sind zwei junge Männer, die seit Studienbeginn eine innige Freundschaft verbindet. Sie wollen in den Semesterferien über mehrere Wochen mit dem Kanu auf dem Maskwa Fluss in Kanada durch die Wildnis paddeln. Beide sind versierte Outdoor-Experten
Read More Waldeinsamkeit oder Napalmgeruch am Morgen Zum Naturbegriff zwischen Romantik und „Apocalypse Now“ – von Peter Münder Schon am ersten Tag unserer Radtour durch einsame litauische Wälder – von der Kurischen Nehrung bis nach Vilnius und an die Grenze zu Weißrussland – ging mir der Ruf des mysteriösen sprechenden Vogels aus Tiecks Novelle „Der Blonde Eckbert“ (von 1797) durch den Kopf: „Waldeinsamkeit! Oh wie mich freut Waldeinsamkeit!“ Das Schwelgen in dieser litauischen Wald-Einsamkeit war einerseits der Auslöser eines Glücksgefühls, das die Symbiose von Mensch und Natur zelebrierte, wozu unterwegs auch noch das stundenlange Dösen in
Read More Verbundenheit in reinster Form Kapitel Zehn: Schlaf – aus Nan Shepherds Klassiker „Der lebende Berg“ Erst kurz vor ihrem Tod veröffentlichte die schottische Schriftstellerin Nan (Anna) Shepherd, 1893 in Peterculter geboren und 1981 in Aberdeen gestorben, im Jahr 1977 ihr vielleicht wichtiges Buch: das Kondensat jahrzehntelanger Berggänge in die schottischen Cairngorm Mountains – Titel: „Der lebende Berg“ -, bereits während des Zweiten Weltkriegs geschrieben und eines der schönsten und aufwühlendesten Bücher, das es über die Berge gibt. Hier ein Auszug: Nun, ich habe mein Gebirge erkundet – sein Wetter, seine Luft
Read More Die Natur schlägt zurück – oder „…ich lass es dann mal wachsen…“ Eine kleine Fotogeschichte von Rolf Barkowski Keine Ahnung, was die Eigentümer sich dabei denken. Bei Haus 1 sieht ja alles noch recht gepflegt aus; bei Haus 2 kenne ich die Eigentümerin persönlich. Die findet das richtig gut, dass ganze Haus so zuwachsen zu lassen. Eine Art „Natur-Messi“. Sie kommt gerade noch zur Haustür, die zwei Fenster auf der Frontseite sind allerdings total zugewachsen. Muß total dunkel sein dort drinnen. Staune, dass die Nachbarn sich das gefallen lassen. – Wir reden vom Ruhrgebiet. Rolf
Read More Willkommen zu unserem Verlust-Special DUE. Wie die Trauerarbeit gibt es auch eine Verlustarbeit. Sie sind Geschwister, die Verlustarbeit in ihrem vorsorgenden Teil arbeitet einer möglichen Trauer entgegen. „Der Kopf und die Kultur sind voll vom Verlorenen. Der Segen und das Verhängnis des Menschen: Dass er aus dem Verlust eine Produktivkraft gemacht hat“, schreibt Georg Seeßlen in seiner „Theorie des Verlustes“ – nachzulesen im Teil UNO unseres großes Verlust-Specials. Das Thema Verlust hat sich bei uns und unseren Autoren so vielgestaltig entwickelt, dass wir Ihnen dazu insgesamt 46 Beiträge präsentieren – 24 davon
Read More Sprachverlust 3 oder „Why I Write“ Brigitte Helbling über Sprachverlust, Renitenz, Kulturwechsel, Englisch und „Hochdeutsch“ – und über die Lust des „writers“, Worte auf dem Papier herumzuschieben (Joan Didion). Hin und wieder frage ich mich, ob ich auf Englisch schreiben sollte. Die potentielle Leserschaft wäre wesentlich größer, die schriftstellerische Konkurrenz allerdings auch. Und warum sollte ich mich nicht auf sie einlassen? Auf Englisch würde ich innovativ und mutig und unvergleichlich relevanter daherkommen als auf Deutsch, eine Sprache, die sich vor allem dazu eignet, Landschaften zu beschreiben. Und Innenräume.
Read More „Über Natur zu schreiben, ist heute politisch“ Judith Schalanskys „Verzeichnis der Verluste“ hat Alf Mayer im Teil Eins unseres großen Verlust-Specials besprochen, hier nebenan im Verlust DUE porträtiert er die von ihr herausgegebene Reihe Naturkunden. Für das folgende E-Mail-Interview stand die Schriftstellerin, Herausgeberin und Buchgestalterin während ihrer Lesereise für das neue Buch ganz unkompliziert Rede und Antwort. Frage: Robert Marfarlanes „Die verlorenen Wörter“ sind Band 49 der Reihe Naturkunden. Ist Band 50 noch ein Geheimnis, oder können wir schon den Titel und das Erscheinungsdatum erfahren? Judith Schalansky: Es wird Jutta Persons Portrait der Korallen sein. Die
Read More Anke Feuchtenberger: Rabbit Fiend zum Vergrößern: Doppelklicken Seit 1997 lebt Anke Feuchtenberger in Hamburg, wo sie als Professorin an der Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften im Fachbereich Gestaltung unterrichtet. Ihre Arbeiten sind international bekannt aus zahlreichen Veröffentlichungen und Ausstellungen. Einige ihrer Bücher sind bereits in französischer, englischer, italienischer und chinesischer Sprache übersetzt worden. Letzte größere Arbeit: Der Altar „Tracht und Bleiche“ für das LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster. Ihre Webpräsenz feuchtenbergerowa. Ihr grafischer Essay „Der singende Maulwurf“ bei CulturMag hier. Weitere CulturMag-Besprechungen ihrer Arbeit hier.
Read More „Hörst du, wie sie schweigen, Lennard?“ Sie sagen mir nicht, was auf dem Heimweg meines Sohnes geschehen ist, Herr Kommissar, Sie haben versprochen, das Rätsel zu lösen. Wir warten immer noch auf das erlösende Wort, mein Sohn und ich, wir sitzen hier und war- ten, und ich weiß nicht, ob ich noch länger Geduld haben mag. Dunkel war’s, es regnete unaufhörlich, und der Regen und sein Mittäter, der Wind, verwischten alle Spuren, war’s nicht so? Zwei Stunden hab ich Ihrem Kollegen zugehört; er hat mir erklärt, wie die Polizei
Read More Derek Raymond – Poe, Kafka und Pulp von Thomas Wörtche Der Kosmos von Derek Raymond scheint nicht von dieser Welt, aber er beschreibt sie äußerst präzise. Ein graues Zwischenreich, in dem der Wind den Regen durch die dreckigen Straßen peitscht und die Sonne höchstens befremdliche Effekte zu erzielen vermag. Die Factory-Romane Derek Raymonds sind düstere Visionen aus den verborgensten Winkeln der menschlichen Seele und skalpellscharfe Analysen der Verhältnisse in einem Großbritannien, das einer riesigen Müllhalde ähnlicher ist als dem einst glänzenden Empire. Das Paris von Nightmare in the Street ist
Read More Vor dem Labor brummen die Monsterkühlschränke, Neonleuchten flackern. Nachts legen wir die Beine in die Kühlschränke. Aber die sind heute voll. Ich trage jede Woche ein Bein herauf. Schweiß klebt mir die OP-Kleider an die Haut. Wer noch nie ein Bein in den dritten Stock geschleppt hat, weiß nicht, wie schwer es einem werden kann. Es heißt, Herzen wären schwer. Aber das stimmt nicht. Es sind die Beine. Mein erstes Jahr nach dem Examen. Die im Ersten schaffen die Beine weg. Oder die ganzen Toten. Sie werden durch den Park
Read More Die Welt betrachten – ins Unendliche reisen Alf Mayer über die Reihe Naturkunden und deren Schule des Sehens Wir wissen alles und sehen nichts. Unser Auge hat seine Frische eingebüßt, wir vermögen nicht mehr zu schauen, bringt Claude Lévi-Strauss 1963 unsere Anschauungsmüdigkeit auf den Punkt. Und dann verschwinden auch noch die Wörter. Als das „Oxford Junior Dictionary“ im Jahr 2007 Worte wie „Breitband“ neu in seine Seiten aufnimmt, werden gleichzeitig mehrere Worte des Naturlebens gestrichen. Die Richtlinien des Wörterbuchs, so verteidigt sich der Verlag, wollen es eben, dass das Lexikon „die
Read More Der kultivierte Cyborg, der unsterbliche Popstar und die lebende Wand des Wallpaper-TV Der Cyborg, das elektronischorganische Mischwesen aus Mensch und Maschine, ist keine Zukunftsmusik mehr. Er ist auf der Ebene der Mechanik und der Chemie (1) so real wie auf der Ebene von Geist, Wahrnehmung und Intelligenz. Wir sind die Cyborgs. Aber nicht das ist der Skandal. Aus dem Kino wissen wir, dass man mit dem Cyborg-Status durchaus leben kann, eine entsprechende Kultur und ein entsprechender Auftrag vorausgesetzt. (Denn anders als bei einem »fleischlichen« Menschen, der einfach da ist, gibt
Read More Nachruf auf Yu-chien Kuan / Guan Yuqian Je älter ich werde, desto weniger Menschen gibt es, die ich um ihr Leben und ihre Persönlichkeit beneide. Das war als jüngerer Mensch sicher anders, doch je älter man wird, desto gewisser ist man auch, dass sich noch hinter dem strahlendsten Gesicht etwas nicht ganz so Strahlendes verbirgt. Bei Guan Yuqian / Yu-Chien Kuan war das anders. Ihn habe ich beneidet, zumindest ein bisschen. Nicht unbedingt um sein Leben, aber auf jeden Fall um seine Persönlichkeit. Eigentlich musste einem aber auch sein Leben
Read More Erst war er blind, dann konnte er alles sehen… Kapitel 0 Der Bombenanschlag, bei dem Mr. und Mrs. Khurana nicht anwesend waren, breitete sich flach und dröhnend aus und hatte seinen Ursprung unter der Kühlerhaube eines geparkten weißen Maruti 800, wobei dieses Detail, das Detail mit dem Wagen, natürlich erst später bestätigt werden konnte. Ein ordentlicher Bombenanschlag hat überall gleichzeitig seinen Ursprung. Ein überfüllter Markt hat auch überall gleichzeitig seinen Ursprung, und Lajpat Nagar war beispielhaft für dergleichen Getümmel. Seine Stände bildeten einen unförmigen Sumpf, aus dem hier und dort
Read More Man lebt nur zweimal Von Bodo V. Hechelhammer Der Film beginnt mit einer Beerdigung. Eine kleine Trauergemeinde nimmt still in einer Kirche Abschied. Auf einem aufgebahrten und mit einem Tuch verhüllten Sarg erkennt man die Initialen »J.B.« und führen den Zuschauer damit bewusst zunächst in eine falsche Richtung, wer denn hier verstorben sein soll. Denn der Geheimagent, auf den die Initialen passen würden, befindet sich unter den Trauernden und beobachtete von einer Galerie diese Szene. So beginnt »Thunderball«, der unter der Regie von Terence Young (1915 – 1994) gedrehte James
Read More Die Hand meiner Mutter Von Christiane Nitsche Es gibt Sprachbilder, die mich zur Verzweiflung bringen. Der Schicksalsschlag als „schwere Prüfung“, zum Beispiel – den Tod eines geliebten Menschen mit einer Stunde Schwitzen unter den strengen Blicken des Fahrlehrers zu vergleichen, das will mir bis heute nicht gelingen. Fakt ist: Der Tag, an dem ich meiner Mutter die Hand hielt, während sie schmerzhaft langsam in den Tod hinüberging, war einer der härtesten meines Lebens. Einer, unter dessen Last man in die Knie gehen kann. Und das nicht nur bildlich. Es gibt
Read More Keine Ruhe nach dem Sturm Nicht immer, aber oft lasse ich Bücher zum Thema ’68 links oder rechts liegen, zumal wenn sie von selbstgewissen weißen alten zufriedenen Männern stammen. Dieses ist anders und, wenn ich richtig recherchiert habe, in der 3. Auflage erschienen. Wie der Name sagt, ist Ulrike Heider eine Frau, aber das alleine genügt bekanntlich nicht, um differenziert, genau beobachtend, farbig, aus der Distanz und trotzdem mit heißem Herzen zu schreiben. Vor allem: unideologisch, der genauen Beobachtung mächtig. Sympathisch ist das Buch schon, weil Heider nicht für K-Gruppen,
Read More The Disappearing Newsroom Wallace Stroby on Copy Boys, Night Shifts, and the End of an Era In the documentary The Typewriter, The Rifle, & the Movie Camera, writer/director Sam Fuller recalls the first time he ever walked into a newsroom. It was 1924, he was 12, and the newspaper was the now-long-defunct New York Evening Journal on Manhattan’s famed Park Row. “The noise was loud,” Fuller remembers. “Generally telephones ringing and, of course, typewriters clacking. And every once in a while I’d hear ‘Copy! Copy boy! Copy!’ I’d look around, and I’d
Read More … So when the music’s over … So when the music’s over When the music’s over, yeah When the music’s over Turn out the lights Turn out the lights Turn out the lights Well, the music is your special friend Dance on fire as it intends Music is your only friend Until the end Until the end Until the end (The Doors / Strange Days) Bei jeder Reise, jeder Rückkehr nach Mississippi kommt sie zurück: die Wehmut, die Erinnerung an einen einzigartigen Bluesmusiker, an L.C.Ulmer. Meine erste Begegnung mit L.C.Ulmer
Read More Bevor alle Namen verschwinden, ist es schön am Nebelort In ihrem Romandebüt „Ben“, das 2010 im feinen kookbooks-Verlag das Licht der Welt erblickte, erzählte Annika Scheffel auf sehr unkonventionelle Weise von einem Paar, dessen Schicksale auf seltsame, magische Weise miteinander verwoben sind, von zwei Menschen, die von höheren Mächten als dem eigenen Willen füreinander bestimmt sind. Held des Romans ist Benvolio Antonio Olivio Julio Toto Meo Ho, der auf dem Weg zu seiner großen Liebe märchenhafte Abenteuer bestehen muss und hierbei nach und nach die ihm von seinen Eltern gegebenen
Read More Eine Ballade über Gemeinschaft, Wurzeln, Tradition und Moderne, Liebe und Verlust Ein Fluss namens „Long Man“ und eine Mutter im aussichtlosen Kampf gegen die Zeit stehen im Zentrum dieses zweiten Romans von Amy Greene. Long Man (übersetzt aus der Sprache der indigenen Bevölkerung) fließt seit Urzeiten durch East Tennessee, hat seine Ufern fruchtbar gemacht und den Menschen seit jeher als Transportweg für ihre Waren gedient. In den 1930ern lebten die Einwohner im Herzen Appalachias noch weitgehend ohne Strom. Die Tennessee Valley Authority machte es sich daher zur Aufgabe, diesen Zustand
Read More NUTOPIA New York, 1973 John Lennon, der Sänger der Beatles, lernt Yoko Ono 1966 in London anlässlich einer Ausstellung der japanischen Künstlerin und Menschenrechtsaktivistin kennen. Für die Performance Bed-Ins for Peace verbringt das Paar 1969 aus Protest gegen den Vietnamkrieg eine Woche im Bett. 1973 verkünden Ono und Lennon in einer Pressekonferenz die Gründung des KonzeptLandes Nutopia. Ihre Wohnung im New Yorker Dakota Building erklären sie zur „Nutopischen Botschaft“. Beim Betreten dieses Gebäudes wird Lennon einige Jahre später von einem Bewunderer, dem er wenige Stunden zuvor noch ein Autogramm gegeben hatte, erschossen.
Read More „Emma oder das Ende der Welt“ Wie lebt man weiter, wenn das Schlimmste geschehen ist? Constanze Matthes über ein Buch des norwegischen Autors und Musikers Ketil Bjørnstad. Der Roman beginnt mit einer Tragödie, einem schmerzvollen wie unfassbaren Verlust, den Eltern nie erfahren sollten. Emma, die neunjährige Tochter von Aslak Timbereid und seiner Frau Hanne, stirbt nach einem Flugzeugunglück – als einziges Opfer. Zu Beginn von Vorahnungen gequält, sucht der Vater gemeinsam mit der Mutter seines Kindes nach einem Schuldigen des Unglücks. Der neue Roman „Emma oder das Ende der Welt“ des
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