Empfindsam und noch empfindsamer Für den alten aberglauben und für so kluge ohren, fürs radar der sommernächte unter den linden, für die häßlichkeit des eigenen antlitzes schlugen einst die menschen die fledermaus ans tor. Mit dem stift durchdrangen sie die dünne haut der flügel, die kleine leiche hing zerknittert in der stille, und das schamvolle entsetzen, seidenglatt, rauschte lange auf den kleinen fallschirmen der glocken. Warum trag ich dieses marterbild in mir, und warum prüfe ich, bevor in einem neuen haus ich um nachtlager bitte, aufmerksam und lange die pfosten
Read More my dream about time a woman unlike myself is running down the long hall of a lifeless house with too many windows which open on a world she has no language for, running and running until she reaches at last the one and only door which she pulls open to find each wall is faced with clocks and as she watches all of the clocks strike NO Mein Traum von der Zeit eine Frau, die mir nicht ähnlich ist, rennt den langen Korridor eines totenstillen Hauses entlang, mit zu vielen
Read More Eines Tages Eines Tages die Morgenröte im Brotkorb. Eines Tages werden die Dinge die Morgenröte beugen. Eines Tages werden Liebe und Liebende im Falten der Hände ernten. Die Welt Seite an Seite mit einer andern Welt. Eines Tages. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Kurt Scharf Man bekommt ein Buch geschenkt. Man bedankt sich freundlich. Liest flüchtig die Kurzinformationen auf dem Umschlag – und legt das Geschenk dann mit einem nochmaligen Dank auf die Seite. Ganz selten aber kommt man schon beim ersten oberflächlichen Lesen nicht mehr los von dem
Read More CHRONOS – Ansprache – Teuflischer Zusammenhang Du isst, schlingst, nagst, schluckst immer hungrig, für immer bettelnd glotzend. Dein Absolutes ist unbegreiflich. Hier bin ich auf einem Karussell-Ball selbstgefällig, goldgierig, machtgierig, versuche, nicht ohne Mühe, dich zu begreifen! Geschichten, Mythen, Historien denke ich mir aus um dich zu benennen: ich gebe dir Namen, wende mich an dich gestalte dein Abbild, dein Spiegelbild, deine Verkörperung und gestehe, alles bisher von mir Geschriebene wendet sich an dich: auf Wasser, Luft, Äther, Erde rudern deine Sprache lernen deinem Weg folgen. Der Weg, sogar wenn
Read More Deine Poesie Leer ist sie wie ein Haus das in Eile verlassen wurde Niemand zündet das Licht der Worte in deinem Gedicht an aufgehäufte Ziegel sind in der Dunkelheit Selbst in einem Haus, das in Eile verlassen wurde bleiben die Stimmen unvollendete Gesten der Durchzug im Vorhang In deiner Poesie wohnt seit ich gegangen bin, niemand mehr. Übersetzt von Klaus Dieter Olof Niemand hat im deutschsprachigen Raum den Tod von Jozefina Dautbegović im Jahr 2008 registriert. Wer überhaupt kannte bei uns die 1948 in Bosnien geborene Lyrikerin, in deren Gedichte
Read More The Emperor of Ice-Cream Call the roller of big cigars, The muscular one, and bid him whip In kitchen cups concupiscent curds. Let the wenches dawdle in such dress As they are used to wear, and let the boys Bring flowers in last month’s newspapers. Let be be finale of seem. The only emperor is the emperor of ice-cream. Take from the dresser of deal, Lacking the three glass knobs, that sheet On which she embroidered fantails once And spread it so as to cover her face. If her horny
Read More Tauschen Aus der Lache des dämmernden Tags tranken die langen Vögel der Nacht, nun liegen sie tot umher beim letzten Seufzer des Mondes. Doch sieh die Flamingos der Röte, sie bauen ihr Nest sich im Licht, mit der Seide der Himmelsränder und dem goldenen Wind ihrer Flügel. Übersetzt von Friedhelm Kemp Quelle: Hans Magnus Enzensberger: Museum der modernen Poesie, Frankfurt am Main, 2002 Jules Supervielle (* 16. Januar 1884, Montevideo; † 17. Mai 1960, Paris) war ein „Weltbürger“ ohne dass er sich je so bezeichnet hätte. Seine baskischen Eltern waren
Read More „Gefangenschaft” von Ndjock Ngana In nur einer Stadt zu leben, in einem einzigen Land, in einem einzigen Universum, in nur einer Welt – das ist eine Gefangenschaft. Nur einen einzigen Freund zu lieben, nur einen Vater, nur eine Mutter, nur einen einzigen Menschen – das ist eine Gefangenschaft. Nur eine einzige Sprache zu kennen, nur eine einzige Arbeit, eine einzige Kultur, eine einzige Zivilisation, nur eine einzige Logik zu kennen – das ist eine Gefangenschaft. Nur einen einzigen Körper zu haben, nur ein Denken, ein einziges Bewusstsein, eine einzige Existenz
Read More Die See, die Frau und die Eule von Oktay Rifat Die Frau mit der Eule schaut uns an, ohne je zu blinzeln. In ihrer offenen Hand liegt eine Münze. Wir und die Fischer schauen sie müssig an. Einer von ihnen wirft einen Fisch, ein anderer flickt sein Netz, schert sich um nichts. Ihre Augen und ihre Hand bleiben offen wie die Augen der Eule. Plötzlich kommt die See herein und schüttet ihr Indigoblau auf Eule und Frau. Ohne sich umzuschauen kehren sie dahin zurück, wo sie herkamen. Blaues tieftiefes Blau.
Read More Knifft die Scheu die Lippen lächelnd – Heute denkt Culturmag an August Stramm, der am 1.September vor 97 Jahren gestorben ist. Der Dichter und Dramatiker wurde am 29. Juli 1874 in Münster/Westfalen geboren, er fiel als Soldat 1915. Die Phase des Schreibens – ungefähr im Jahr 1912 „wie eine Krankheit über ihn gekommen“ – war für Stramm nur kurz, aber hochproduktiv und komplex, sein Werk blieb überschaubar, aber wegweisend (Dadaismus, konkrete Poesie, Arno Schmidt). Es ist die Zeit des Expressionismus, Stramm ist ein intensiver Spracharbeiter und schraubt diese in abstrakte
Read More Der Schneider sagt: Es kommt der Mai, man muß jetzt alles anders nähen, ja, ja, so sage ich zu ihm, man muß jetzt alles anders sehen. Die Perlenschnur wird neu gemacht, die Schere schneidet in den Haaren, man möchte in ein andres Land, zum Beispiel durch Grusinien fahren. Aus: Russische Lyrik im 20. Jahrhundert Ausg. und übertragen von Kay Borowsky. Tübingen: Heliopolis 1991 Bella (Isabella) Achatowna Achmadulina wurde am 10. April 1937 (in den Zeiten des schlimmsten Stalinismus) in Moskau geboren und starb, in Deutschland nur wenig beachtet, Ende November
Read More Oder waren es neun Von Idea Vilariño Vielleicht hatten wir nur sieben Nächte, ich weiß nicht, ich habe sie nicht gezählt. Wie hätte ich sie auch zählen können. Vielleicht nicht mehr als sechs. Oder waren es neun? Ich weiß nicht, aber sie waren soviel wert, wie die allerlängste Liebe. Vielleicht kann man mit vier oder fünf Nächten wie diesen, aber genau solchen wie diesen, vielleicht kann man leben, wie mit einer langen Liebe ein ganzes Leben. Aus dem Spanischen von Erich Hackl Von all den großen, kühnen, unbeugsamen Dichterinnen,
Read More Stenogramm eines vorgezogenen Tages wegen der bevorstehenden Sommerferien von Elfriede Czurda 30. juni den knopf an die bluse die bluse in den koffer den koffer an die tür die schuhe geputzt und den brief noch getippt schnell die brief marke drauf die fenster zu jalousien geschlossen alles dicht nichts wie weg den schlüssel noch ein mal den schlüssel umdrehen wegwerfen weg damit weg reisevorbereitungen Elfriede Czurda: ich, weiß. 366 mikro-essays für die westentasche. Wien: Edition Korrespondenzen 2008. 23,70 Euro.
Read More Verleugnung von Mohammed Bennis War ich auf dem Weg zu dir oder durchstreifte ich die Dunkelheit bis ich gar mein Aug verleugnete ein Stück Nichts begleitete mich die Zeit lag näher als das Fieber im Fluss traf ich auf die Leere Mohammed Bennis wurde 1948 in Fes geboren und lebt heute als Dichter, Literaturwissenschaftler und Übersetzer in Rabat. Er gehört zu den Lyrikern arabischer Sprache, die sich mühsam aber stetig auch im deutschen Sprachraum Gehör verschaffen. Wenn ein allgemeiner Dialog zwischen Orient und Okzident, zwischen der europäischen und der arabischen
Read More Die Ballade vom Abseits Vor den brüllenden Kehlen auf glutheißen Rängen Rauf und runter, vor und zurück Springt über den flimmernden Rasen Der sonnenverblichene Ball. Dieser Stürmer, sein Schuss, eine göttliche Gnade: Durchs Trikot ragen schweißglänzende Flügel! Zwei Gegner am Mann, er zieht vorbei! Läuft, als ginge er nackt unter Wölfe, Als zöge er ackernd einen bleibende Furche! Drei lässt er stehen. Ausgespielt. Abseits, er merkt es nicht, dass er schon lange im Abseits steht. Der nächste Schuss, gezielt ins Eck! Wie Rosen regnete der tosende Beifall! Er gab einen
Read More Schreibverbot „Ich habe Schreibverbot, das Publizieren bleibt mir erlaubt, eine besonders raffinierte Schikane. Ich versuche immer wieder gegen das Schreibverbot anzuschreiben. Vergebens. Der, der es mir auferlegt hat, ist stärker als ich“ In diesem Jahr jährt sich am 24.Mai zum 5.Mal der Todestag von Wolfgang Bächler (geb. 1925 – einen CM-Nachruf finden Sie hier). Müßig darüber zu streiten, ob seine Gedichte den Rang von „Weltlyrik“ besitzen. Auf jeden Fall muss sein Name genannt werden, wenn an die großen, vergessenen literarischen Stimmen der deutschen Nachkriegszeit erinnert wird. Bächler hat uns Gedichte geschrieben
Read More Beginn des Gedichts von Miodrag Pavlovic: Eine Frau durchschritt mit mir den Fluß bei Nebel und Mondschein, durchschritt an meiner Seite den Fluß und ich weiß nicht wer sie ist. Wir wollten ins Gebirge. Ihr Haar war lang und gelb, ihre Hüften nah beim Gehen. Verlassen haben wir Gesetze und Verwandte, vergessen den Geruch der elterlichen Tafel, unverhofft umarmten wir einander und ich weiß nicht wer sie ist. wir kehren nicht zurück zu den Dächern der Stadt, hier in der Hochebene werden wir leben unter den Sternen. Armeen werden uns
Read More tralalalalalalalalala – Eines unserer Geburtstagskinder in diesem frühlingshaften Monat ist Tristan Tzara, der am 04. April 1896 in Moinesti, Rumänien geboren und auch schon lange tot ist. Die DADA-Lyrik nicht (oder doch?), und aus diesem Grund fragen wir den „weltweiten DADA-Manager“ Tristan Tzara „Was ist DADA?“ Lesen Sie hier seine Antwort etwa aus dem Jahr 1920: (DADAist eine jungfräuliche Mikrobe) DADAist eine jungfräuliche Mikrobe Dada ist gegen das teure Leben Dada Aktiengesellschaft für die Ausbeutung von Ideen Dada hat 391 verschiedene Haltungen und Farben je nach dem Geschlecht des
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