Grenzgänger Wann ist eigentlich die Geschichte eines Verbrechens noch ein Krimi – und wann dazu im Gegensatz schon nicht mehr? Im Bereich der Genreliteratur, Abteilung „Kriminalroman“, haben in den Jahrzehnten vielfältige Entwicklungen stattgefunden, ein teils hoch kreativer Prozess. Am Interessantesten war er oft da, wo SchriftstellerInnen die Grenze des Genres ausgelotet haben. Die, wie sich herausstellte, einen ausgesprochen schmalen Grat darstellt – so schmal, dass möglicherweise gar keine Grenze mehr auszumachen ist. Ein Krimi? Na ja, halt ein Roman. Und das eröffnet Möglichkeiten … Jüngstes Beispiel dieser Entwicklung ist der
Read More Düsteres Gangster-Epos aus Südkorea Hanspeter Eggenberger über »Heißes Blut« von Un-Su Kim »In Guam trugen die Gangster keine Anzüge.« Mit diesem lakonischen Satz beginnt der Wälzer Heißes Blut des südkoreanischen Autors Un-Su Kim. Und schon sind wir mitten dieser fremden Welt der südkoreanischen Hafenstadt Busan, der zweitgrößten Stadt des Landes. In den anderen Vierteln der Stadt stolzieren die Ganoven herausgeputzt umher. Im fiktiven Stadtteil Guam herrscht der Clan von Vater Son, und der setzt auf eine gewisse Diskretion in der Öffentlichkeit. »Wenn man im Trainingsanzug verhaftet wird, gilt man als kleiner Gauner, aber
Read More ERSTER TEIL Variation Ein schönes GrüßenZum AbschiedeDieser bunten WälderIn einem ParkSah ich noch KinderSpielen heiter undUnbeschwert Ich War auch einmal soGlücklich Der Winter fand inDem Park Nur noch leere Plätze Sah Im aufgewühlten SandEinen alten Ball Voller Schmutz IchIn schwarzen Ästen hingSchwer der graue Himmel AufgewühltMeine Bettdecke,So leis’,Leise,Zogst duDie TürZu … Irgendwie duftenDie Farben des HerbstesBesonders. Und dieGrauen Wolken sind nochKein Grabtuch. Das LichtGeht durch mich hindurch,Als wäre ich transparentesGlas. Wenn wir die Abstände in einem AtomBetrachten, sind wir nurLeerer Raum – soWie eine gotische Kathedrale.Wir lesen den Stein wieUnsere Gesichter – aberVerstehen wir noch? WäreDas des Evangeliums
Read More „Lebe Grösser!“ Alf Mayer über Burghard Schlichts monumentalen Film- & Liebesroman „Im Augenblick der Freiheit“ Gleich im ersten Kapitel sinniert eine der Hauptfiguren über das kleine Kino, das er bald aufmachen will, und über den Film an sich. Als Leser weiß man das zu Beginn der Lektüre noch nicht, aber die hier zitierte Stelle auf Seite 14 verrät auch so etwas wie das Programm des Buches. „Im Augenblick der Freiheit“ des Frankfurters Burghard Schlicht ist tatsächlich ein Roman wie ein Film im Kino. Die Buchdeckel sind seine Wände, der Himmel
Read More Die gewichtige Bedeutung der Literatur für Gesellschaft und Politik – im Guten wie im Bösen „Das bedeutendste politische Buch des Jahres“ nannte Gerhard Beckmann „Das Ding“ von Jürgen Neffe bei uns in der Oktober-Ausgabe. Jetzt legt er noch einmal nach, weil es über dieses Buch noch deutlich mehr zu sagen gibt. Es war ein ungewöhnlicher, politisch wacher Deutschlehrer, der den Geist den Studentenrevolte weitertrug und dem Heranwachsenden insbesondere die Literatur von Böll, Grass und Lenz nahebrachte, „um Licht auf die dunklen Seiten der deutschen Vergangenheit zu werfen, deren Schattens bis
Read More Buddha im Garten Eden Eine Rezension von Markus Pohlmeyer Aus der Fülle spannender und phantastischer Geschichten aus diesem Sammelband[1] – Was passiert z.B., wenn eine Horde durchgeknallter Roboter ein Hotel auf einem Uranus-Mond renovieren will? Oder wenn ein Roboter aus Liebe den Peiniger der geliebten Frau eliminiert? Wenn die Welt nur noch eine via KI geschlossene Schleife darstellt, deren Produkt und Produzent ein und dasselbe Ich ist? – also, aus der Fülle spannender und phantastischer Geschichten in diesem Sammelband möchte ich besonders zwei auswählen: I „Mission: Rettung der Menschheit“ von Liu
Read More Unter Sinnsuchern Sein Traum von einer Langzeit-Studie beim krassen Bundesliga-Außenseiter FC Union Berlin wurde wahr: Sport-Reporter Christoph Biermann konnte sich ein Jahr lang bei den Unionern umsehen und hat seine Erfahrungen nun im Buch „Wir werden ewig leben“ festgehalten: Authentisch, spannend und mit überraschenden Einsichten über Fußball als Religionsersatz. – Von Peter Münder. Nicht der mit Ach und Krach geschaffte Aufstieg der Unioner in die erste Bundesliga war das große Wunder für den Langzeitbeobachter Christoph Biermann, sondern dass er tatsächlich mit dabei sein durfte: Beim Training, im Mannschaftsbus und sogar bei Präsidiumssitzungen –
Read More Eine andere Weltordnung. Von der befreienden Kraft des Möglichen. Im Buch des Propheten Jesaja kann man einen rätselhaften Spruch lesen, der zum Führungsstil und Rollenverständnis von Papst Franziskus sehr gut passen könnte: „Wächter, wie lang ist noch die Nacht? Wächter, wie lang ist noch die Nacht? Der Wächter hat gesagt: Der Morgen ist gekommen und doch ist es Nacht.“ (Jes 21,11-12). Wer die Aufgabe des Wächters übernimmt, hat kein einfaches Leben. Er sagt Worte, auf die man nicht gerne hört. Er muss Worte aussprechen, die unser Begehren und unsere herkömmlichen
Read More Textauszug aus dem Vorwort von Theo Bruns und aus der zweiten und dritten Szene Es ist das formal und inhaltlich vielleicht radikalste Werk des großen italienischen Schriftstellers Nanni Balestrini, der im vergangenen Jahr gestorben ist. Der Roman ist eine der gelungensten literarischen Verarbeitungsformen der dramatischen 1970er-Jahre – nicht nur – in Italien. Zugleich stellt er die Würdigung einer der herausragendsten Verlegerpersönlichkeiten der europäischen Nachkriegsgeschichte dar. Nanni Balestrini: Der Verleger. Aus dem Italienischen von Christel Fröhlich und Andreas Löhrer. Aossziation A, Berlin und Hamburg 2020. Neuausgabe. 152 Seiten, gebunden, 18 Euro.
Read More Eine Frau mit berauschenden Talenten (Frankreich, 2020) Hannelore Cayres Die Alte (frz. La Daronne) stand Anfang dieses Jahres ganz oben auf der Krimibestenliste. Und auch in Frankreich war die kleine, feine Geschichte von Patience Portefeux, der unterbezahlten Arabischübersetzerin für die Pariser Drogenfahndung, die irgendwann selber groß ins Geschäft einsteigt, erfolgreich genug, um daraus einen Film mit Staraufgebot zu machen. Jetzt ist dieser Film auch in Deutschland angelaufen und der beknackte deutsche Titel kombiniert mit dem launigen Trailer lassen eine typisch französische Klamauk-Komödie befürchten – Breaking Bad auf Französisch! Mit Frauen! Und Arabern! Und irre lustig!
Read More Eine Filmkritik von Alf Mayer – die hier Anfang nächster Woche erscheint.
Read More Zurück nach Manderley „Vergangene Nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley“. Mit diesem Satz beginnt Daphne Du Mauriers 1938 veröffentlichter Roman Rebecca, mit diesem Satz beginnt Alfred Hitchcocks Verfilmung aus dem Jahr 1940 und mit diesem Satz beginnt nun auch Ben Wheatleys Adaption im Jahr 2020. Erzählt wird die Geschichte von einer jungen Frau, die als Gesellschafterin einer neureichen Amerikanerin arbeitet und in Monte Carlo dem wohlhabenden, gutaussehenden Witwer Maxim de Winter begegnet. Sie heiraten überstürzt, er nimmt sie mit zu seinem Familiengut Manderley. Doch die Gemäuer dieses alten Hauses stecken
Read More „Seifenblasenmaschine“ Liebeslieder, die so anfangen: „Ich bin Rotz an deinem Ärmel, der Fleck auf deinem Hemd/der Kaugummi unter deinem Schuh …“, packen einen gleich mal bei den Ohren. Politische Songs, die so anfangen: „Bonjour, die Party ist aus – schau mal raus: da steht Krieg vor der Tür/der war doch eben noch weit weg, und hier war auch nie wer dafür/doch jetzt gibts Krieg gegen den Krieg, gegen Gewalt und Gier/und wenn du nicht hingehst, kommt der Krieg zu dir“ (Krieg) ziehen einen sofort rein, magnetisch gar. Souverän und autoritativ.
Read More Spade & Archer Ein Textauszug aus der Neuübersetzung von pociao Es ist einer der Urtexte der modernen Kriminalliteratur, 1929 zum ersten Mal erschienen. Der Emigrant Karl Anders brachte den Malteser Falken erstmals 1952 in der Übertragung des Shakespeare-Übersetzers Peter Fischer innerhalb seiner – heute legendären – Krähenbücher auf Deutsch heraus. 1967 übernahm der Goldmann Verlag diese Übersetzung, bis 1973 erschienen mehrere Auflagen. 1974 brachte dann Diogenes eine Neuübersetzung von Peter Naujack heraus, parallel gab es 1977 immer noch die Goldmann-Variante, während die Diogenes-Fassung 1978 vom DDR-Verlag Volk und Welt übernommen
Read More Krazy: Weg Irgendwann holt mich Frau Tod ab zur Reise ohne Gepäckrunter zum Fluss, rein ins Boot, und dann bin ich wegUnd alle die davon hören, kriegen den üblichen Schreckeinmal noch groß im Gespräch, und dann bin ich wegUnd Feinde wie Freunde erweisen mir ihren Respektauf einmal werd ich vermisst, und dann bin ich wegUnd ihr feiert, dass ihr noch seid, und dass ich mal warund ihr dürft mich zitieren: Trost gibt es nich – aber Schnaps is noch daIch wär sehr gern dabei, und ich wär bis zuletzt mit
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