Die ledrigen Schwingen der Vergangenheit Die Fledermaus auf dem Cover und das vorangestellte Bram Stoker-Zitat lassen keinen Zweifel aufkommen: Diejenigen, die im neuen Roman der 1979 in Bukarest geborenen Dana Grigorcea nicht sterben, sind Vampire. Doch wer einen Schauerroman und Gänsehaut erwartet, wird möglicherweise enttäuscht. Zwar geht um niemand Geringeren als Vlad Dracul selbst, den transsilvanischen „Pfähler“, der Inspiration für Stokers Klassiker gewesen sein soll, und auch unheimliche Elemente finden sich einige, doch die eigentlichen Untoten sind andere – und sie ziehen immer noch die Fäden in einem postkommunistischen Rumänien.
Read More Wahn, Wirklichkeit, Wiederholungszwang Der 1967 in Yorkshire geborene David Peace macht keine Kompromisse: Sein Intimfeind ist der gefällige Mainstream, der dem Leser nur noch bekannte Erzählmuster mit berechenbaren Figuren serviert. Wie seine grandiosen Fußball-Dramen/ Biographien über die englischen Trainer Bill Shankley („Red or Dead“) und Brian Clough („The Damned United“) sowie das Bergarbeiter-Epos „GB 84“ demonstrierten, konzentriert er sich auf manische Charaktere, düstere Yorkshire-Ripper-Szenarien („The Red Riding Quartet“) und Verhaltensmuster, die Therapeuten wegen ihrer Zwanghaftigkeit begeistern dürften. Auch als Zahnarzt wäre David Peace extrem erfolgreich: Denn er bohrt und bohrt und bohrt
Read More Beeindruckendes Ineinander von historischer, persönlicher und politischer Geschichte Über das Buch „Am See, Reise zu meinen Vorfahren in Krieg und Frieden“ Ist es ein Buch über Identität oder Polyamour, handelt es von Wurzelsuche oder Multikulti? All das spielt eine Rolle und dazu kommt die weit zurückreichende Geschichtde von Völkermischungen, Grenzziehungen, dem Neben- und Gegeneinander dort unten am Balkan. Die Autorin befragt bei ihrer Recherche rund um den Ohrid-See Verwandte und Straßenbekanntschaften, sie sammelt Geschichten und erzählt von den unterschiedlichen Religionen, von Kriegen und Fluchten und gemischten Ehen, Freund- und Verwandtschaften
Read More Welch geistiges Leben Über den Band Jüdische und christliche Intellektuelle in Berlin um 1800 Berlin um 1800 muss ein auf- und anregendes Pflaster gewesen sein! Der vorliegende Band ist das Resultat einer Tagung, die 2016 im Berliner Jüdischen Museum stattfand. Den Herausgebern geht es um die Darstellung „sozialer Öffnung“, um das „Hereinholen der jeweils anderen Seite in das spezifisch Eigene“. Aktueller kann ein Thema nicht sein. Eine kleine Auswahl dessen, was sich an Diskussionen, Streitgesprächen, Lebensentwürfen und Standortbestimmungen in dieser Epoche entdecken lässt, tritt uns in den fünfzehn Beiträgen lebendig
Read More Davon braucht es mehr 111 Kilometer – das ist in etwa die Entfernung von Leipzig nach Erfurt oder von Leipzig nach Dresden. Diesen Umfang erreichen die Akten, die im Stasi-Unterlagen-Archiv zur Recherche lagern. Weitere 60 Kilometer waren nach der Wende unsortiert gefunden worden und sind noch immer nicht vollständig erschlossen. Mehr als 7,3 Millionen Menschen haben bisher Anträge auf Akten-Einsicht gestellt; zahlenmäßig ist das nahezu die Hälfte der damaligen Bevölkerung in den letzten Jahren der DDR. Der Geheimdienst war tief in der Gesellschaft verankert und hat das Leben von unzähligen Familien zerstört
Read More Der arbeitende Kunde – und die Maschine als Agent und Spion Ein Textauszug aus:Markus Metz / Georg Seeßlen: Beute & Gespenst: Lebenswelten im Neoliberalismus. Bertz + Fischer, Berlin 2021. 192 Seiten, 14 Euro. Die Beziehung von rich image und poor image ähnelt dabei der neuen Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten. Die Unternehmen lagern seit etlicher Zeit Arbeiten aus, die früher in einem Face-to-Face-Gespräch oder einer Aktion zwischen Menschen verliefen, um sie durch Automaten erledigen zu lassen, die der Kunde selber bedient. Das ist eine Quelle immerwährenden Verdrusses, da man als arbeitender Kunde mit schöner
Read More „Ein Myrrhenbeutelchen ist mir mein Geliebter,das zwischen meinen Brüsten ruht.“[1] In dieser Liedersammlung kommt das Wort Gott nicht vor. Oh, dieses Wort mag zwar nicht vorkommen, Gott aber schon, denn Gott ist überall in der Liebe.[2] Und wer hat überhaupt diese Gedichte geschrieben? Auch Frauen? Warum nicht. „Siehe, du (bist) schön, meine Freundin,siehe, du (bist) schön.Deine Augen (Blicke) (sind) Tauben.Siehe, du (bist) schön, mein Geliebter,ja lustvoll.Ja, unser Lager (sei) frisches Grün […].“[3] Dass dieser Text mit verteilten Rollen, männlichen und weiblichen Stimmen, vorgetragen werden kann, liegt geradezu im dialogischen Charakter
Read More Monumentaler Ausflug in die Digitalisierung des Kinos Und ich hatte mich schon gewundert, was Paul Duncan eigentlich macht. Jetzt wissen wir es. Pünktlich zum „Star Wars Tag“ – was es damit auf sich hat, erfahren Sie ganz unten – erscheint „Das Star War Archiv II 1999–2005“. Wieder ein raumschiffbreiter, meteoritenschwerer, planetenschöner XL-Prachtband aus dem TASCHEN Verlag. Gebunden ist der 6,9 Kilo schwere Band in prunkvoll rotes Halbleinen, mit Goldpunkten durchsetzt. Kinovorhang-Rot. Oscar-Teppich-Anmutung. Sternenstaub. Milchstraße. Universum. In diesem Buch hebt man ab. Es wird Zeit, dass die Academy of Motion Picture
Read More Der größte Betrüger aller Zeiten: Zum Tod von Bernard Madoff Ob Bernard Madoff auf dem Totenbett vielleicht kurz gegrinst hat? Immerhin hatte der größte Finanzbetrüger aller Zeiten gerade mal 12 Jahre seiner Haftstrafe abgesessen, als er am 14. April 82-jährig im Bundesgefängnis von Butner (North Carolina) das Zeitliche segnete. Macht im Schnitt einen Tag Knast pro 16 Millionen geklaute Dollar. Andere Verbrecher kommen auf einen wesentlich geringeren Tageslohn. Bernard Madoff war eine Kriminallegende. 65 Milliarden Dollar Kundengelder waren verschwunden, als der führende New Yorker Investmentbanker 2008 wegen Betrugs festgenommen wurde. Die Liste
Read More Eine DDR-Besonderheit: „Drei Quadratmeter Vergänglichkeit“ Wer immer an der Konzeption und Ermöglichung dieses Bandes beteiligt war hat alles richtig gemacht. Großes Kompliment. Im Impressum lese ich eine alarmierende Zahl: „Privatdruck der Universität Erfurt in Kooperation mit der DEFA-Stiftung Berlin in 600 Exemplaren. Vertrieb: Bertz + Fischer Verlag Berlin.“ Ein Filmbuch wie dies, Format 27,5 x 25 cm, Hardcover, durchgängig farbig, 184 Seiten, für 29 Euro im Verkauf, geht also mit 600 Exemplaren an den Start, dies in einem Land mit 83,02 Millionen Einwohnern und 118,6 Millionen Kinogängern im Vor-Corona-Jahr 2019. Die im gleichen
Read More Welch eine Einladung in die Welt Constanze Matthes über das Buch von Robert Moor Zugegeben: Obwohl mir die ausgiebigen Strandtouren auf der Insel Usedom aus meiner Kindheit bestens in Erinnerung sind, vor allem dieses Durchhalte-Mantra „Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm“, bin ich erst in den vergangenen Jahren zu einer leidenschaftlichen Wanderin und Flaneurin geworden. Kilometerweit am Meer entlang, durch Wälder oder die Straßenschluchten der Großstädte. Gehen ist existenziell, bewusstseinserweiternd, vereint das Gefühl der Freiheit mit dem Drang zur Entdeckung. Dass seit einiger Zeit dieses Thema auch in der Literatur
Read More Tokio Redux Ein Textauszug aus dem letzten Band der Tokio-Trilogie von David Peace Vorspann nochMit dem lange erwarteten „Tokio, neue Stadt“ ist sie nun abgeschlossen, die Trilogie, mit der David Peace sich so lange beschäftigt hat. „Tokio, besetzte Stadt„, 2010, und „Tokio im Jahr Null„, 2009, gehören dazu. Sie bildet einen Gegenpol zum ebenfalls im Verlag Liebeskind in bester Ausstattung erschienen Yorkshire-Quartett „1974„, „1977„, „1980“ und „1983„. David Peace: Tokio, neue Stadt (Tokio Redux, 21). Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind Verlag, München 2021. 432 Seiten, 24 Euro. 1Der
Read More Lakonie mit Schuss Zwei wiederaufgelegte Rezensionen und ein Textauszug, aus gegegebenem Anlass Der Glauser geht dieses Mal nach Franken: an Tommie Goerz für „Meier“. Günther Grosser (GG) und Frank Rumpel (rum) haben das Buch für uns letztes Jahr besprochen. (GG) Lakonien ist die Gegend um Sparta. Bei einer Belagerung erhielten die Spartaner die Botschaft: “Wenn wir die Stadt einnehmen, geht´s euch allen an den Kragen!“ Die Antwort der Spartaner lautete: „Wenn!“ Das ist Lakonie. Lakonisches Roman-Schreiben ist eine Kunst für sich. Der Franke Tommie Goerz erzählt in „Meier“ mit sehr
Read More Tom Jones‘ „Delilah“ von 1968 ist einer der ewigen Ohrwürmer. Zum Mitschunkeln und Mitsingen. Aber vielleicht fällt heute auf, bei was alle immer fröhlich mitsingen … I saw the light on the night that I passed by her windowI saw the flickering shadows of love on her blindShe was my womanAs she deceived me, I watched and went out of my mind My, my, my, DelilahWhy, why, why, DelilahI could see, that girl was no good for meBut I was lost like a slave that no man could free At
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