Literaturagentin mit der Lizenz zum Töten
Jasper Fforde, der in England schon als Kultautor gehandelt wird, hat mit Der Fall Jane Eyre einen etwas albernen, vor skurrilen Ideen strotzenden Nonsens-Roman geschrieben – und kommt in seinen besten Momenten nahe an Lewis Carroll und Douglas Adams heran.
Dass die Engländer einen an der Waffel haben, ist nichts Neues. Da gibt’s „speed-drinking“-Bars mit Schnaps im Bier, Hunde-Hürdenrennen, skurrilen Comic-Boulevard, seltsames Essen, seltsames Wetter, seltsame Mode. Und einen eigenwilligen Umgang mit der Realität: Noch immer sind die meisten davon überzeugt, sie wären 1966 zu Recht Fussball-Weltmeister geworden.
Ihr eigenartiger Humor ist also aus der Not geboren. Lewis Carroll, Monty Python, Douglas Adams – wer die nicht mag, liest am besten gar nicht erst weiter. Denn in seinen besten Momenten gelingt es Fforde so gut zu sein wie Carrol und Adams, wenn auch nicht ganz so cool. In seinen schlechten ist er von beiden leider weit entfernt.
Ver-rückte Parallelwelt
Jasper Fforde will nicht wissen, was er will: Sein Buch hängt bewusst zwischen den Genres, ist Fantasy, Science Fiction, Liebesschnulze, Nonsens-Roman, Veteranengeschichte und Thriller. Der Fall Jane Eyre beschreibt eine ver-rückte Parallelwelt, in der alles möglich scheint. Ffordes Universum spiegelt unseres, aber folgt dabei seinen ganz eigenen Regeln. Der Krim-Krieg tobt seit 130 Jahren, Dodos werden als Haustiere geklont, Zeitsprünge sind möglich und „Literature rules“: Die meisten Anhänger haben nicht Parteien oder Sportvereine, sondern Schriftsteller. Auf den Straßen liefern sich Surrealisten und radikale Anhänger der französischen Impressionisten blutige Auseinandersetzungen, Kinder tauschen keine Fußball-, sondern Fielding-Sammelkarten, statt den Zeugen Jehovas bestehen die Drückerkolonnen aus Baconiern und Marlowianern, die behaupten, William Shakespeare sei gar nicht der Autor der berühmten englischen Dramen. Alle Literatur ist so bedeutend, dass es eine eigene Geheimpolizei gibt, die sie vor Fälschern schützt.
Thursday Next: LitAg mit der Lizenz zum Töten
Thursday Next ist so eine Literaturagentin im bewaffneten Einsatz gegen die Feinde von Kunst und Kultur. Ihr Widersacher Acheron Hades ist ein Konglomerat aus allen Comic-Superhelden der Welt. Er ist unverwundbar, genial und skrupellos. Dieser Ober-Fiesling hat Thursdays onkel Mycroft entführt, mitsamt seiner neuesten Erfindung: Bücherwürmern. Diese Würmer öffnen die Grenzen von Leben und Literatur. Sie ernähren sich von Worten und übersetzen Silben in Binärcode. Mittels eines ProsaPortals ist es so möglich, alle vorher verfütterten Romane zu betreten. Nachdem Acheron zur Demonstration seiner Boshaftigkeit eine der Figuren aus Dickens Martin Chuzzlewit exekutiert hat, entführt er Jane Eyre aus dem berühmten Roman von Emilie Brontë. Wird es Thursday Next gelingen ihren onkel zu befreien, das ProsaPortal vor Missbrauch zu schützen und Jane, die Ikone aller Romantiker, zu retten?
Eine literarische Schnitzeljagd
Natürlich. Aber nicht der Plot – dem, bei aller Absurdität, eine deutliche Straffung und eine etwas dichtere Dramaturgie gut bekommen wäre – steht im Mittelpunkt von Ffordes eigensinnigem Roman. Sondern der Spaß am Nonsens, am Sprachspiel, die Freude an einem Overkill aus Anspielungen auf populäre und viktorianische Kunst und Kultur; das parodistisch beziehungsreiche Spiel mit Szenen aus berühmten Filmen, Fernsehserien und vor allem aus Romanen von Poe, Dickens, Austen, Orwell und Brontë. Allerdings ist Fforde manchmal so begeistert von seinen fantasievollen Details, dass er sich zu sehr in ihnen verliert. Dass der manchmal etwas alberne Humor das Buch nicht ins Belanglose kippt, liegt vor allem an Thursday Next. Ffordes Hauptfigur wirkt seltsam lebensecht, trotz ihrer abgefahrenen Umgebung. Sie ist toughe Super-Agentin und gleichzeitig ein liebesbedürftiges und verletzliches Mädchen. So muss sie nicht nur Brontës Literatur-Romanze retten, sondern auch ihre eigene Liebe zu dem ihr entgleitenden Jugendfreund Landen Parke-Laine*.
„Die Geburt eines neuen Kults“, wirbt der dtv, aber das ist außerhalb des angelsächsischen Sprachraums nur schwer vorstellbar. Im englischsprachigen Internet allerdings ist der Hype riesig. Auf Ffordes empfehlenswerter Homepage diskutieren begeisterte Leser jedes Detail seiner fantastischen Ideen. Dort gibt es auch „Upgrades“ seiner Bücher („Version 1.4“) und den sehr hilfreichen „Non-Brit’s Guide“, der Ffordes Welt ein wenig transparenter macht. Ein seltsames Buch für seltsame Leser, die man ihm, trotz einiger Schwächen, reichlich wünscht.
Jan Karsten
Jasper Fforde: Der Fall Jane Eyre. Aus dem Englischen von Lorenz Stern. Dtv premium Januar 2004. Taschenbuch. 374 Seiten. 14,50 Euro. ISBN: 3-423-24379-1