Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Allgemein, Crimemag, Film/Fernsehen

Film: Dark Places – Gefährliche Erinnerung

Flynn Dark placesVerpasste Gelegenheit

von Sonja Hartl

Mit „Dark Places“ startet nun nach „Gone Girl“ die zweite Verfilmung eines Romans von Gillian Flynn in den deutschen Kinos. Tatsächlich eignen sich ihre Bücher auf den ersten Blick gut für eine Adaption: Sie haben einen handlungsreichen Plot mit (teilweise zu) vielen Wendungen und spielen in einem gut beschriebenen, genau zu definierenden Setting. Dennoch stecken in diesen vermeintlich einfachen Verfilmbarkeit einige Tücken.

Zunächst sind Frauenfiguren bei Gillian Flynn nicht nur jung und alt, Opfer und Täter, Kumpeltyp und psychopathische Verführerin, sondern vor allem widersprüchliche Charaktere, die sich einer klaren Einordnung entziehen. Dann bewegen sie sich Welten, die nur auf den ersten Blick perfekt-hochglänzend („Gone Girl“), heimelig-idyllisch („Cry Baby“) oder ländlich-friedlich („Dark Places“) sind. Vielmehr entpuppen sich die Ehe eines Vorzeigepaares, eine amerikanische Kleinstadt oder ein Farmhaus im Mittleren Westen als gewalttätige, grausame Orte, an denen kaum vorzustellende Dinge geschehen. Und von dieser Doppelbödigkeit erzählt Gillian Flynn in einer harmlosen Prosa, in deren Glätte Ironie und Bissigkeit stecken.

Im Mittelpunkt von „Dark Places“ steht die Mittdreißigjährige Libby Day (Charlize Theron), deren gesamtes Leben von der Ermordung ihrer Mutter und Schwestern bestimmt ist. Im Alter von acht Jahren hat sie das „Kansas Prairie Massacre“ überlebt und gegen ihren Bruder ausgesagt, der damals für die Tat verurteilt wurde. Die Menschen hatten Mitleid mit ihr und haben u.a. ihr Geld geschickt, von dem sie bisher gelebt hat. Mit den Jahren lassen Interesse und Anteilnahme nach – und Libby hat keinen Plan, was sie machen soll. Also lässt sie sich auf das Angebot des Waschsalonbesitzers Lyle Wirth (Nicholas Hoult) ein, zu einem Treffen des „Kill Club“ zu kommen, bei dem Amateurdetektive ihren Fall besprechen. Dieser Club glaubt, ihr Bruder Ben (Corey Stoll) sei unschuldig, daraufhin lässt sich Libby widerwillig – und hauptsächlich wegen der Bezahlung – darauf ein, nochmals in ihre Vergangenheit einzutauchen.

Libby ist eine Protagonistin, die ihr Trauma verinnerlicht, sich ihm aber bisher nicht gestellt hat. Im Buch wird ihre Persönlichkeit insbesondere dadurch deutlich, dass sie die Erzählerin ist – hierfür findet Regisseur und Drehbuchautor Gilles Paquet-Brenner in seiner Verfilmung jedoch kein filmisches Äquivalent. Vielmehr gibt es ein Voice-Over am Anfang und Endes des Films, ansonsten sollen wohl Libbys extensiver Gebrauch von Schimpfwörtern sowie ihre Kleidung – sie trägt fast immer etwas zu weite weiße T-Shirts – auf ihre Traumatisierung hinweisen. Außerdem stellen sich durch die eher objektive Erzählhaltung Widersprüche ein: Sobald Libby nachzuforschen beginnt, werden ihr Dinge erzählt, die sie entweder schon wusste und dann stellt sich die Frage, warum sie sie nun erinnern sollte – oder gar nicht wissen konnte, aber sie werden gezeigt, als seien sie zum Teil ihre Erinnerungen.

Libby kann sich nun also ihrem Trauma fast ohne (männliche) Hilfe stellen, jedoch wird nicht deutlich, warum sie es erst jetzt kann. Außerdem erscheint ihre Reise in die Vergangenheit lediglich als Anlass, möglichst viele Verdächtige und falsche Pfade abzuhandeln. Dadurch ist die Auflösung wenig überraschend (wie schon im Buch), vor allem aber bleibt der Entwicklungsprozess des Charakters außen vor. Darüber hinaus ist Charlize Theron in dieser Rolle auch trotz ins Gesicht gezogenes Cap zu hochglänzend-schön. Sicherlich ist zu sehen, dass sie sich bemüht, aber das Drehbuch und die Regie geben ihr zu wenig Hilfe , so dass sie als kaputte, schwer traumatisierte Frau kaum überzeugen kann. Das ist umso bedauerlicher als sich die Besetzung von „Dark Places“ auf den ersten Blick durchaus vielversprechend liest. Aber Chloe Grace Moretz wiederholt gewissermaßen ihre Rolle aus „Texas Killing Fields“ und Christina Hendricks bekommt als Mutter von Libby viel zu wenige Szenen, zumal es in der Geschichte doch auch gerade um die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern geht.

Charlize Theron in „Dark Places“

Ohnehin werden sämtliche Themenkomplexe zugunsten der wenig spannenden Mördersuche zurückgestellt. So streift der Film lediglich die mediale Ausschlachtung von Verbrechen sowie deren perverse Faszination, die sich u.a. im Kill Club zeigt, in dem sich Menschen als John Wayne Gacy und Elizabeth Short verkleiden. Vor allem schmerzt aber der Umgang mit dem Handlungsstrang zu der Verurteilung von Ben. Hierin werden bei Gillian Flynn die Strukturen und der Glauben in ländlichen Gebieten behandelt, in denen Gottesfürchtigkeit zu Paranoia führt. Ben kifft, hat seine verzogene reiche Freundin geschwängert und ist mit einer Clique zusammen, die satanische Rituale vollzieht. Er ist ein Außenseiter, ein Sonderling und damit in den Augen der Gesellschaft der perfekte Schuldige für die Ermordung seiner Mutter und seiner Schwestern.

Zwar ist zu sehen, wie die verängstigte kleine Libby nach der Tat von einem sich außerhalb des Bildes befindlichen Polizisten beeinflusst wird, als er sie fragt, ob ihr Bruder Ben der Täter sei. Aber Gilles Paquet-Brenner forscht nicht nach, wie es dazu kommen konnte, dass sich Justiz und Gesellschaft so schnell auf einen Täter festlegten. Dabei gibt es überdeutliche Parallelen zu dem Fall der West Memphis Three – drei Männer, die im Alter von 16 bis 18 Jahren verurteilt worden, drei Jungen ermordet zu haben (und deren Geschichte in „Lost Paradise“ verfilmt wurde). Hier kam es zu Ermittlungspannen, die denen bei Flynn entsprechen: alternative Verdächtige wurden nicht gesucht und Spuren wurde nicht nachgegangen, weil die metalhörenden Jugendlichen aufgrund ihres Musikgeschmacks und Klamottenspiels schon „verdächtig“ waren.

Es ist das Milieu, das Ben zu einem Täter macht. Aber es wird nicht erkundet, sondern als Plot-Element verhandelt. Die satanischen Rituale, die Armut der Familie und ihre Stellung als Außenseiter sind Ingredienzien zur Atmosphäre im ländlichen Amerika, das in Bilder gefasst werden, die nicht nur aufgrund des Drehorts Louisiana – im Gegensatz zum Handlungsort Kansas – an „True Detective“ erinnern. Es ist die ausgebleichte Farbgebung, dominiert von verwaschenen, erdigen Tönen, etwas country-angehauchte Musik und jede Menge White-Trash-Menschen, die abermals die bekannten Vorstellungen bedienen. Subtilität ist ohnehin nicht die Stärke des Films. Deshalb landet der Vater, der entweder abwesend und gewalttätig ist, letztlich als Obdachloser auf einer wortwörtlich verseuchten Müllhalde.

Sicherlich spielt „Dark Places“ schon aufgrund des Produktionsbudgets in einer anderen Liga als „Gone Girl“, dennoch drängen sich Vergleiche aufgrund der Ähnlichkeiten auf: Führt in ersterem die Angst vor dem Fremden zu einer gesellschaftlich angenehmen Deutung des Geschehens, ist es in dem anderen der Journalismus, der aber in dem Film durchaus kritisch behandelt wird. Dabei gelingt es David Fincher durch Einstellungen, in denen viele Details zu finden sind, und einem sehr präzisen Schnitt, die Fragen nach der Wahrnehmung und den Folgen eines medialen Hypes mit dem (nebensächlichen) Krimi-Plot zu verbinden. Sicherlich verweilt „Gone Girl“ ein wenig zu sehr an der oberflächlichen Eleganz der eigenen Perfektion, aber sie verweist auch auf Flynns glatte, harmlose Prosa, mit der sie ihre perfiden Geschichten erzählt. Und hier fehlt „Dark Places“ eine eigene Interpretation und vor allem der Mut zur Komplexität.

Sonja Hartl

Dark Places – Gefährliche Erinnerung. USA, Frankreich, Großbritanien 2015. 103 Minuten. Regie: Gilles Paquet-Brenner. Mit Charlize Theron, Sterling Jerins, Nicholas Hoult u.a.

Tags : , , , ,