Geschrieben am 6. Oktober 2016 von für Allgemein, Kolumnen und Themen, Litmag

Einwurf: Zoë Beck: Tod eines Pseudonyms

Tod eines Pseudonyms

von Zoë Beck

Eine englische Freundin erzählte mir vor einem halben Jahr begeistert von einer italienischen Autorin, die unter Pseudonym publizierte und großen Erfolg in Großbritannien hatte. Einen Überraschungserfolg. Sie wurde rauf und runter gefeiert, aber an zwei Dingen störte sich meine Freundin: Erstens fand sie, dass die Covergestaltung dem Buch nicht wirklich gerecht wurde, aber damit müssten schreibende Frauen nun mal häufig genug leben. Zweitens war sie schrecklich davon genervt, dass im Zuge der Spekulationen darüber, wer hinter dem geschlossenen Pseudonym wohl stecken könne, Stimmen laut wurden, die die Meinung vertraten, der Roman müsse von einem Mann geschrieben worden sein, er sei – auch sprachlich – einfach zu gut. Mal abgesehen davon, dass es sich um die Sprache der Übersetzerin handelte, die angeblich zu gut für einen von einer Frau geschriebenen Roman war – die Diskussionen, dass nur Männer literarisch anspruchsvoll schreiben und Frauen es mehr so mit adjektivlastigen Genreschnulzen haben, ist so unglaublich ermüdend, aber sie stirbt einfach nicht weg.

Jetzt haben wir ein halbes Jahr und eine erfolgreiche Bestechung später, und offenbar weiß die Welt nun endlich, wer die erfolgreiche italienische Schriftstellerin in Wirklichkeit ist.

13654262_10157136358420371_2420624573810616128_nDie Frau, die sich Elena Ferrante nennt, erklärte sehr deutlich, warum sie ihren richtigen Namen nicht nennen wollte. Sie findet zum Beispiel, dass ein abgeschlossenes Werk auch ohne Kenntnis der Autorinnenbiographie funktioniert. Sie hält es für einen Fehler, dass die Person der Autorin wichtiger ist als das Werk.

Es gibt immer mal wieder fröhliche Versuche, Texte renommierter Autor*innen unter einem unbekannten Namen einzureichen, um zu zeigen, dass die Texte dann entsprechend schlechter bewertet werden bzw. keine Beachtung finden. Das ist natürlich nachvollziehbar: Wenn ein bekannter Name irgendwo draufsteht, fällt es leichter, sich an vorangegangenen Urteilen zu orientieren. Die erste Person zu sein, die etwas kategorisiert, um dann möglicherweise doch irgendwie falsch zu liegen, erfordert Mut. Gleichzeitig zeigt es, wie unsicher wir alle mit unseren Urteilen sind. Ein Text, der nur als Text irgendwo steht, ohne dass er die Möglichkeit einer Einordnung bietet? Lieber die Finger davonlassen? Wer weiß, was für ein Mensch sich dahinter verbirgt … Ein unbekannter Name ist wie gar kein Name. Und ein geschlossenes Pseudonym könnte gar etwas Garstiges verstecken wollen …

Total verständlich also, dass man wissen will, wer etwas geschrieben hat. Und ich finde es auch wichtig, Texte in ihren Kontexten zu sehen. Zu welcher Zeit entstanden sie, was weiß ich über die Urheberin, stecken politische Ziele dahinter, auch wenn der Text an sich harmlos erscheint, und so weiter.

Warum ist es nun so wichtig, ganz genau alles über die Autorin Elena Ferrante im echten Leben zu erfahren? Sind ihre Texte sonst nicht einzuordnen? Was ist dann eigentlich mit wichtigen Texten der Weltliteratur, die anonym erschienen? Was mit denen, über deren Verfasser*innen in Wirklichkeit nichts oder sehr, sehr wenig bekannt ist? Was ist mit Texten, die jemandem „zugeschrieben“ wurden – da könnten sich die Literaturwissenschaftler*innen ja auch getäuscht haben? Manchmal geht es eben nicht anders, da kann nur spekuliert werden, wer sich da in Wirklichkeit etwas ausgedacht hat.

Bei Elena Ferrante bestand die Möglichkeit einer Einordnung. Sie hatte schon einige Romane zuvor veröffentlicht. Aus ihrem Gesamtwerk lässt sich vermutlich einiges herauslesen, was gesellschaftliche oder politische Ansichten angeht, sicherlich kann man eine künstlerische Entwicklung nachvollziehen. Elena Ferrante lässt sich zeitgeschichtlich einordnen, sie gab Interviews, beantwortete Fragen. Ihre Bücher hingen nicht im luftleeren Raum, und das sollten sie auch nie.

Ich weiß über Elena Ferrantes Gründe, ihr Pseudonym geschlossen halten zu wollen, nur das, was darüber geschrieben wurde. Ich kenne auch so eine Menge guter Gründe, ein geschlossenes Pseudonym zu haben. Privatsphäre ist einer. (“Wie viel steckt von Ihnen in dem Buch?”, “Haben Sie das selbst erlebt?”, “Was sagt Ihre Familie, wenn Sie so etwas schreiben?”, etc. etc. Kann man sich dann alles schenken.) Die Angst, dass das Werk nicht die Beachtung findet, die es verdient hat, weil die Person der Urheberin dem im Weg steht (“… ist doch in Wirklichkeit von Beruf x und darf deshalb nicht über y schreiben!”, “… ist viel zu alt/jung für diesen Stoff!”, “… schreibt doch sonst ganz andere Dinge!”, etc. etc.), ist einer. Freier schreiben zu können, weil man sich dank der Anonymität von bestimmten Hemmnissen lösen kann, ist einer. Einfach keine Lust im Erfolgsfall auf den Pressezirkus zu haben, ist einer. Auf etwas Bestimmtes festgelegt zu werden, ist einer. Es war, nach meinem Empfinden, weder die Forderung nach einer werkimmanenten Interpretation, um, sagen wir mal, politische Fehltritte oder biografische Ausrutscher von der Bewertung des Romans fernzuhalten, noch war es der akademische Wunsch, Roland Barthes’ Tod des Autors in Ehren zu halten und sich gegen die Rückkehr des Autors zu stellen, um die Diskursschraube nicht rosten zu lassen.

14022216_10157270622100371_594731169392612550_nElena Ferrante als geschlossenes Pseudonym hätte über Jahrzehnte genügen können. Ihren Klarnamen gegen ihren mehrfach erklärten Willen auszugraben, war Sensationslust. Ich frage mich, welchen Einfluss das Wissen um die „echte“ Elena Ferrante nun auf zukünftige Rezensionen haben wird. Welchen Unterschied es macht, dass offenbar doch kein Mann dahintersteckt. Und ich finde es schade, dass es dieses Geheimnis nun nicht mehr geben soll.

 

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