Geschrieben am 18. November 2022 von für Allgemein, News, Special Sozialberufe, Specials

Druck & Monster

Druck & Monster

Druck, sagt der Mann, immer Druck. Fünfmal sagt er: Druck. Sein Herzschlag zittert von der Couch zu mir herüber, die Luft im Raum vibriert davon. Sogar sonntags, sagt er, Druck. Alle sind krank, sagt der Chef am Telefon, Corona angeblich, und dass er kommen muss, sofort, am Sonntag, weil niemand da ist. Und die Zwillinge schreien, mal der eine, mal der andere, auch nachts, auch sonntags. Seine Frau macht Druck, sie kann nicht alles … und immer allein. Aber wenn er nicht … am Sonntag, dann wirft man ihn raus, deswegen muss er, gerade wegen der Zwillinge, denen es mal besser gehen muss. Wenn er rausfliegt und kein Geld … dann ist alles futsch. Das macht so viel Druck. Neulich hat er sie angeschrien, seine Frau, als sie die Kinder auf dem Arm hatte. Das geht doch nicht. Ich will nicht wie mein Alter …, wissen Sie? Der hat nur gesoffen und geprügelt. So will ich doch nicht sein! Eine Träne in der Rede höre ich.

Ich hole Luft, senke die Stimme, lasse Ruhe in den Raum: Ich verstehe. Wir kriegen das hin, ich bin sicher. (Sehe, wie wenig er es ist.)

Das sagen Sie so. Er blickt mich an, verzweifelt, gequält von dem Monster, das er nicht sein will, mit einem Fünkchen Glaubenwollen im Blick.

Ja, sag ich, weil Sie das wollen. Ich komme mit auf den Weg, wird bestimmt holprig und überhaupt nicht einfach und eine Lösung hab ich auch nicht, natürlich nicht, aber es wird. Ich gucke klar in die gespannte Luft zwischen uns, befehle meinem Herz den Rhythmus, damit er hinüberswingt zu dem Mann, der jetzt hinausgeht in den kalten Tag, mit einer kleinen Verwirrung im Kopf. Die wird uns helfen. Beim nächsten Mal.

Das war der erste von den acht Menschen, die mir heute ihre Geschichte bringen, sie weiterzuschreiben miteinander, sie glimpflich ausgehen zu lassen, sie zu bewahren … was auch immer nötig ist. Acht Menschen, fünf Tage die Woche. Heute ist Montag.

Zuhause schaue ich nach den Immortellen, ob sie schon blühen. Und nach meinen eigenen Monstern, ob es denen noch gut genug geht.


Anne, Psychotherapeutin, Nordrhein-Westfalen

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