Geschrieben am 29. Januar 2014 von für Allgemein, Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit The Hidden Cameras, Sophie Ellis-Bextor, Bohren & der Club of Gore, Nationalgalerie sowie Adrian Crowley und James Yorkston, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

thehiddencameras_ageSynth-Pop, stolz und elegisch

(TM) Das erste große Pop-Album dieses Jahres kommt von den Hidden Cameras. Der Kanadier Joel Gibb, Mastermind der Band, lebt mittlerweile in Berlin, gräbt aber mit „Age“ kräftig an seinen Wurzeln herum, und die liegen ganz eindeutig in den 80er-Jahren.

‚Gay Church Folk Music‘, wie Gibb selbst seine Musik einmal nannte, ist das nicht mehr, sondern Synth-Pop reinsten Wassers. Auch politisch positioniert sich die Band unmissverständlich: Als Säulenheiligen haben sich The Hidden Cameras die Wikileaks-Informantin Chelsea (früher Bradley) Manning erwählt, ihr Bildnis prangt auf der Rückseite des CD-Booklets. Für Gibb ist Manning ein Symbol zugleich des queeren Freiheitskampfes und des Kampfes für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Wahrheit – beides Themen, die auch Gibb für sich beansprucht.

So ist die Single „Gay Goth Scene“, die eigentlich erst als Spaß gemeint war, jetzt eine melodramatische und melancholische Mobbing-Geschichte, unterlegt mit entsprechend pathetischem Video. „Carpe Jugular“ ist dann der Depeche-Mode-Song, wie ihn Depeche Mode seit Jahren einfach nicht mehr hinbekommen – richtig guter Pop, fett, stolz und elegisch. Das Ende von „Age“ bildet das epische „Year Of The Spawn“ mit seinen opulenten Streicherarrangements, Bläsersektion und Landsmann Chilly Gonzales am Piano – bombastisches Finale eines beeindruckenden und mitreißenden Albums.

The Hidden Cameras: Age. Evil Evil/Rar (Alive).

sophieellisbextor_wanderlustNur für Erwachsene

(MO) Dies vorweg: ich mag Sophie Ellis-Bextor. Ihre öffentliche Person zumindest und ihre tolle, volle Stimme, die im Jahr 2000 durch „Groovejet (If This Ain´t Love)“ mit Dance-Producer Spiller bekannt wurde und später Solohits wie „Murder On The Dancefloor“ unverkennbar machte.

In den letzten Jahren geriet die Londonerin ein bisschen in Vergessenheit, veröffentlichte aber weiterhin Platten wie zuletzt „Make A Scene“ (2010), die in England auch erfolgreich waren, ganz nebenbei bekam sie zwei Kinder. Jetzt, kurz vor ihrem 35. Geburtstag, möchte Sophie Ellis-Bextor offensichtlich ein „erwachsenes“ Album veröffentlichen, das Reife und Seriosität ausstrahlt.

Schritt eins: sie gründete ein eigenes Label. Schritt zwei: Ellis-Bextor engagierte als Produzenten Singer-/Songwriter Ed Harcourt, der schon mal für den Mercury-Prize nominiert war (vor dreizehn Jahren) und unter anderem mit Patti Smith und Marianne Faithfull auf der Bühne stand. Vertrauenswürdig also. Das Ergebnis der Zusammenarbeit heißt „Wanderlust“, klingt aber bis auf wenige Ausnahmen so gesetzt und betont adult orientated, dass man die Sängerin nur schwer mit ihren einstigen Clubhits in Verbindung bringt. Der Einstieg mit „Birth Of An Empire“ und „Until The Stars Collide“ und vor allem die Single „Young Blood“ sind mit „schwülstig“ nur unzureichend beschrieben – obwohl außer Piano, Geigen und Stimme kaum schweres Gerät aufgefahren wird.

Im Mitteltrack „Interlude“ (ha!) kommt etwas Bewegung ins Spiel und man bekommt eine Ahnung davon, wie lustig es mit Miss Sophie werden könnte, aber nein: abgesehen von einem halbherzigen Walzer („Wrong Side Of The Sun“) wird es wieder sehr erwachsen und getragen-balladesk. „Wanderlust“ wirkt, als hätte Ellis-Bextor während der Aufnahmen ein steifes, viktorianisches Kleid getragen, das sie daran hinderte, aus sich herauszugehen (huch – genau so ein Kleid trägt sie auf dem Cover!). Was nicht heißt, dass sie hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt: ihre Stimme klingt ganz wunderbar!

Sophie Ellis-Bextor: Wanderlust. Ebgbs (Alive). Zur Homepage.

bohrenundderclubofgore_pianonightsLange träumen

(TM) Das Buch, das mir vor einigen Wochen Alpträume gebracht hat, lese ich immer noch, und „Piano Nights“, das neue Album der Slowcore-Götter Bohren & der Club of Gore, ist wunderbar dazu geeignet, diese dunkle Lektüre noch zu befeuern. Wieder einmal verlassen sich die Musiker auf ihr altbekanntes Konzept, sich für jeden Ton extreeem viiiel Zeit zu lassen, woraus eine Stimmung resultiert, die mit ‚entschleunigt‘ noch recht unzureichend beschrieben ist.

Herausgehoben aus der Zeit ist man, angespannt dennoch, lauernd, hochkonzentriert. Die Band selbst hält „Piano Nights“ für ihr bestes Album seit „Black Earth“ und besteht darauf, dass der Titel mehr sei als eine ironische Spielerei. Und ja, doch, „Piano Nights“ hat tatsächlich Qualitäten, die auch zu einem Abend in der Bar passen würden. Beim Video zu „Ganz leise kommt die Nacht“ kann man dieser rauchigen Stimmung bereits etwas nachhängen, aber hey – ein Bohren-Album dauert viiiel länger als ein Song, und man kann noch lange davon träumen.

Bohren & der Club of Gore: Piano Nights. PIAS (Rough Trade).

nationalgalerie_allesMit Leib und Seele rocken

(MO) Die Band Nationalgalerie wird bis heute gern zur Hamburger Schule gezählt, aber eigentlich stimmt das nicht: Niels Frevert (ja, DERFrevert!/Gesang), Dinesh Ketelsen (Gitarre), Dirk Müller (Schlagzeug) und Matthias Krieg (Bass) entschlossen sich nur eben auch Anfang der 1990er-Jahre, in Hamburg eine Band zu gründen.

Bis auf die deutschsprachigen Texte und die tradierte „übliche“ 4-Mann-Bandbesetzung hatten Nationalgalerie mit Kollegen wie Blumfeld, Kolossale Jugend, Tocotronic und Die Sterne wenig gemein. Die Absicht war auch eine andere: Frevert und seine Mitstreiter wollten zeitgenössischen Rock nach amerikanischem Vorbild ins Deutsche übertragen – was ihnen auch gelang. Mit ihrem Hit „Evelin“ vom 1993er-Album „Indiana“ landeten sie sogar in der Rotation von MTV (was damals noch von England aus gespeist und gesteuert wurde).

Die jüngst veröffentlichte Werkschau „Alles“, die an Opulenz nichts zu wünschen übrig lässt, bietet Gelegenheit für Fans und/oder Zuspätgeborene, sich alle vier Studioalben der Band plus Livealbum plus DVD mit wirklich sehr tollen Interviews zur Bandhistorie am Stück oder in Häppchen zu Gemüte zu führen. Auffallend ist – von heute gehört -, dass Nationalgalerie anders als die bereits erwähnten Hamburger-Schule-Bands nie den Rock an sich in Frage stellten: sie waren mit Leib und Seele Rockmusiker, zu denen Freverts Faible für anspruchsvolle, emotionale Texte bestens passte.

Dass Nationalgalerie noch mehr hätten erreichen können als ihr doch relativ kurzes Erscheinen am deutschen Musikhorizont, wird besonders am Live-Material deutlich, das bei einem Konzert in Bloomington (USA) aufgenommen wurde. Die Band hatte das Zeug für internationalen Erfolg, löste sich aber zwei Jahre nach der letzten Langspielplatte „Meskalin“ von 1997 auf.

Nationalgalerie: Alles (CD-Box-Set 5 CDs + DVD). Rakete Medien. Zur Facebookseite.

adriancrowley_jamesyorkston_myyokeisheavyAusrufezeichen

(TM) Diese Platte ist zwar schon Ende letzten Jahres herausgekommen, trotzdem wäre es ein großer Fehler, sie hier nicht mehr zu erwähnen. Wenn zwei tolle Singer/Songwriter (Adrian Crowley und James Yorkston) die Songs eines der größten Songwriter der Gegenwart (Daniel Johnston) interpretieren, dann kommt ein kleines, leises, aber umso umwerfenderes Album dabei heraus.

„My Yoke Is Heavy“ wurde bereits 2008 in den heimischen Studios der beiden Musiker aufgenommen und bisher nur als gebrannte CD an treue Fans verkauft. Chemikal Underground macht das Kleinod jetzt als limitierte Ausgabe erhältlich. Daniel Johnston leidet an einer bipolaren Störung, die ihn buchstäblich zwischen Genie und Wahnsinn pendeln lässt. Das Leid, das diese Krankheit ihm aufbürdet, sorgt gleichzeitig für einige der bewegendsten Momente der zeitgenössischen Musik und für eine Authentizität, die ihresgleichen sucht.

Crowley und Yorkston setzen mit ihrer wunderbaren Platte ein kurzes (das Album ist nur 25 Minuten lang), aber großes Ausrufezeichen hinter den Namen von Daniel Johnston. Und wem bei zärtlich intonierten Zeilen wie „I’m walking down the empty road/ but it’s not empty now/ because I’m on it“ („The Sun Shines Down On Me“) nicht das Herz bricht, der hatte eh keines.

Adrian Crowley and James Yorkston: My Yoke Is Heavy – The Songs Of Daniel Johnston. Chemikal Underground (Rough Trade).

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