Geschrieben am 12. November 2011 von für Bücher, Crimemag

Wolfram Fleischhauer: Torso

Durchgenudelt

– Wie ein Widergänger springt er immer wieder aus seiner Gruft. Der Mehr-als-ein-Grimmi, der „literarische Krimi“ – hier als „Torso“, nicht der von Apoll, sondern von Wolfram Fleischhauer. Klaus Kamberger kommt um ein paar grundsätzliche Gedanken nicht herum …

Den mal guten, mal biederen, mal bemühten, aber auch oft genug ausdrucksstarken Deutsch-Krimi kennen wir ja spätestens seit glausig-fleschigen Zeiten. Derzeit aber scheint er sich in seinen komparativen Aggregatzustand aufzuschwingen, er wird nämlich „literarisch“. Kürzlich erst bei Blessings (vom CrimeMag bereits gewürdigt), nun auch bei Droemers. Jedenfalls preisen sie dort gerade „ersten literarischen Thriller“ eines gewissen Herrn Fleischhauer an.

Was aber ist ein „literarischer“ Thriller? Was könnten die pp. Verlage mit solchen Etiketten im Sinn haben? Etwa: Wir machen zwar immer schon Krimis, und die verkaufen sich im Moment  ja wie von selbst, und so gehen wir das jetzt ein bisschen edler an, sagen wir: mit Distinktion, weil wir nämlich besser sind. Oder so.

Aber nun mal ganz grundsätzlich: Der Krimi gehört doch – wie alles, was zwischen zwei Buchdeckel passt, bis hin zur Marlitt und zum Konsalik – ins Schubfach mit dem großen Aufkleber „Literatur“. Oder? Das also kann es nicht sein. Es scheint vielmehr noch so etwas wie „literarische Literatur“ zu geben, etwas, mit dem man sich abhebt vom Mainstream, um nicht zu sagen, von der Dutzendware. Danach wäre, um in unserem Genre zu bleiben, dann der Schändungs- und Erlösungs-Adler-Olsen beispielsweise Mainstream. Manche mögen auch noch den Larsson dazuzählen, oder die … ach, lassen wir die aktuellen Sellerlisten. Doch wie steht es mit Chandler hier und Wallace dort? Da haben wir sie doch schon, die klassische Trennung. Und was ist mit  Ambler? Highsmith? Aber klar doch, hohe Literatur.

Die Latte …

Womit die Latte justiert wäre, unter der, geben wir es zu, noch so manche(r) aufrecht und ohne anzustoßen durchkäme. Und unser „literarischer“ Herr Fleischhauer? Schafft oder reißt er sie mit seinem „Torso“? Oder hängt da nicht doch nun ein veritabler Mühlstein an den Hälsen der beiden? (Pardon, das Bild hängt etwas schief, nicht nur, weil Torsi bekanntlich keinen Kopf mehr haben … aber sei’s drum.)

Die Antwort lautet: nicht einmal das. Nicht mal den Anlauf hat er geschafft, sondern gleich verstolpert. Dass man eine Geschichte in diversen Strängen an- und eine Weile parallel laufen lässt, ist ja nicht gerade neu. Wenn man diese Methode aber immer hektischer und kurzatmiger bedient, bis einem auf dem einen Strang dann ganz die Luft ausgeht, kann man sein Handwerk einfach nicht. Und wenn man sich als Autor auch sonst munter aus dem Standard-Modellbaukasten des aktuellen Storydesigns bedient,  verrät man zumindest, dass man weiß, was gerade angesagt ist, kann aber kaum erwarten, für originell gehalten zu werden.

Gruseli, gruseli …

Oder ist es heute etwa noch originell, erst einmal mächtig gruselig verstümmelte Leichen zu präsentieren (wie wär’s mit den Gliedern einer zersägten Frau, eingenäht in einen ausgeweideten Schafskadaver – oder einem Ziegenkopf auf einem Frauentorso) und im Verlauf noch ein ums andere Mal – schwer angesagten – mittelalterlich-allegorischen Mystery-Schnickschnack hineinzurühren?

Hinter alldem steckt dann – wir sind ja up to date – die im Deutsch-Krimi derzeit schwer in Mode gekommene, möglichst plakative Kapitalismuskritik. Und was heute ein moralisch integrer Kommissar ist, der kämpft natürlich nicht nur als Beamter mit seinen legal gegeben Mitteln gegen dessen schlimme Auswüchse, sondern sieht sich geradezu notstandslegitimiert, wenn er – wie im Mittelalter – Geiz, Korruption, Zwietracht und Verrat so behandelt, wie sie es verdient haben.

Jetzt wissen wir also, was ein „literarischer“ Thriller ist: eine Mixtur aus allem, was wir ohnehin schon kennen, und das auch noch zusammengestoppelt aus anderswo schon hundertfach durchgenudelten Versatzstücken.

Klaus Kamberger

Wolfram Fleischhauer: Torso. Roman. München: Droemer 2011. 429 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage des Autors.